Frisch verschneit präsentieren sich diese verlotterten kleinen Häuser. Der Kirchturm ist schief, ringsum eine grosse Wasserfläche, der Anblick macht Gänsehaut. Nicht so bei Elisabeth Sobotka. Sie strahlt, genauso wie die Sonne, die an diesem Tag auf den glitzernden Bodensee scheint.
Elisabeth Sobotka ist die Intendantin der Bregenzer Festspiele und die grauslige Szenerie gehört zu Carl Maria von Webers «Freischütz», der dieses Jahr auf der Seebühne in Bregenz aufgeführt wird. Eine Schauergeschichte aus dem Dreissigjährigen Krieg. Der junge Amtsschreiber Max möchte Agathe, die Tochter des Försters Kuno, heiraten und muss – gemäss archaischem Brauch – zunächst einen Probeschuss absolvieren. Dafür schliesst der ungeübte Schütze in seiner Verzweiflung in der Wolfsschlucht einen Pakt mit dem Teufel. Ein Krimi mit grandioser Musik. Perfekt für die Seebühne.
Für Elisabeth Sobotka ist es diesmal eine besondere Saison. Es ist ihre letzte in Bregenz. Nach zehn Jahren nimmt sie Abschied vom See und zieht auf ihrer beruflichen Reise weiter nach Berlin, wo sie ab September Intendantin der Staatsoper «Unter den Linden» wird, einem der bedeutendsten Opernhäuser in Deutschland. Dort tritt sie die Nachfolge von Matthias Schulz an, der seinerseits nach Zürich wechselt und Intendant des Opernhauses wird.
Damit schliesst sich ein Kreis. Vor 22 Jahren hat sie schon einmal ihr Bündel gepackt, um «Unter den Linden» Operndirektorin zu werden, damals noch unter der Leitung von Daniel Barenboim. Das nötige berufliche Rüstzeug hatte sie sich zuvor im Studium geholt, aber auch ganz praktisch als Disponentin in der Wiener Staatsoper, im Betriebsbüro der Salzburger Festspiele und in Leipzig als Mitarbeiterin des Komponisten Udo Zimmermann. Später zog sie als Opern-Intendantin nach Graz und schliesslich nach Bregenz. Ein beachtlicher Weg durch die verschiedensten Musik-Institutionen.
Hier und jetzt
Einen Blick zurück auf ihre höchst erfolgreiche Zeit in Bregenz mag sie an diesem Tag nicht werfen und einen Blick voraus nach Berlin auch nicht. Hier und jetzt interessieren sie der «Freischütz» auf der Seebühne und Rossinis «Tancredi» im Festspielhaus. Und die verschiedenen anderen Veranstaltungen darum herum ebenso. Also ist diese letzte Saison für sie einfach wie immer?
«Ja, bis zu einem gewissen Grad ist es wie immer», sagt sie. «Es gibt keine spannendere Zeit, als wenn eine Produktion dem Ende zustrebt und die Premiere bevorsteht. Sowohl beim ‘Freischütz’ als auch bei ‘Tancredi’ stehen wir vor der Klavierhauptprobe, wo wir erstmals die gesamte Gestalt des Stücks sehen. Da ist man wirklich so im Moment – das ist Theater, das ist Oper! in diesem Moment stecken wir gerade. Da bin ich wirklich komplett hier. Das ist ein Gefühl, das ich unglaublich mag.»
Elisabeth Sobotka platzt fast vor Energie, Neugier, Spannung und auch Freude. «Es hat noch niemand gesagt, ‘es gefällt mir’ oder ‘es gefällt mir nicht’, wir sind immer noch dran, unsere Produktionen fertig zu machen. Das ist eine ganz spezielle, wunderbare Zeit».
Weit mehr als 200’000 Zuschauer kommen während der rund vier Wochen Spielzeit im Sommer nach Bregenz. Und die Auswahl der Stücke ist nicht gleich wie in einem Opernhaus. Sie müssen mehrheitsfähig sein, möglichst ohne Pause und nicht allzu lang. «Es war und ist für mich eine besondere Zeit hier in Bregenz», sagt Sobotka. «Das Beeindruckende ist, dass man so frei in der Gestaltung ist. Viele meinen, am See könne man doch nur Hits aufführen. Aber es gibt zum Glück genug Stücke, die noch nicht auf der Seebühne waren. Natürlich muss ich Erfolg haben, sowohl finanziell als auch einen Zuspruch vom Publikum. Dann kann ich in Bregenz auch in anderes investieren: in Uraufführungen, oder in Schauspiel. Diese Fülle und Vielfalt sind ein Geschenk und das hat mich all die Jahre fasziniert.»
Noch keine Wehmut
Wenn Elisabeth Sobotka so von ihrer Tätigkeit und ihren Möglichkeiten an diesem Ort schwärmt, dann fragt man sich schon, ob sie jetzt in diesen Tagen nicht ständig auch der Hintergedanke begleitet, dass es das letzte Mal ist. «Nein, diesen Hintergedanken hat man in dieser Form nicht», winkt sie ab. «Aber klar, man weiss es. Es ist für mich fast so wie im Theater: Da weiss ich auch, wenn er oder sie auf der Bühne stirbt, ist sie nicht wirklich tot, und ich bin trotzdem ergriffen in diesem Moment. Natürlich weiss ich, es ist für mich vorbei in Bregenz, aber alles ist so präsent und lebendig, dass ich mich damit noch nicht auseinandersetze.» Und sie lacht und strahlt.
Also gar keine Wehmut? «Noch nicht! Die wird erst noch kommen. Aber jetzt noch nicht. Es herrscht hier eine Lebendigkeit und eine Fülle, die einen im Jetzt verankert.»
Und im «Jetzt» steht erst einmal die Premiere bevor: am 17. Juli mit dem «Freischütz» auf der Seebühne – sofern das Wetter sich auch an den Spielplan hält – und am 18. Juli folgt «Tancredi» im Festspielhaus.
Toi toi toi!
«Der Freischütz»
Premiere: 17. Juli
Seebühne Bregenz
www.bregenzerfestspiele.com