Südlich des Gotthards zieht sich die SRG aus der Musikproduktion zurück und spart über eine Million. Laut einem neuen Vertrag wird sie nur noch diejenigen Konzerte des Orchestra della Svizzera italiana zahlen, die sie in Auftrag gibt.
Rückzug aus der Verantwortung
Repräsentanten der italienischen Schweiz scheinen grundsätzlich zufrieden zu sein sein, dass überhaupt ein neuer Zusammenarbeitsvertrag zwischen der SRG/RSI (Radiotelevisione della Svizzera italiana) und der Stiftung für das Orchestra della Svizzera italiana (OSI) zustande gekommen ist. Der Vertrag gilt ab 2018 für mindestens sechs Jahre. Allerdings bedeutet der Vertrag einen Systemwechsel und einen weiteren Rückzug der SRG aus der Verantwortung fürs Orchester – und dies erst noch verbunden mit einer Art Erpressung.
Nach Aussagen von Kennern befindet sich das Orchester der italienischen Schweiz musikalisch gesehen in ausgezeichneter Verfassung. Es hat denn auch ein zahlreiches treues Publikum. Doch die SRG muss sparen und verschont das OSI nicht. Sie hat entschieden, ihren bisherigen Grundbeitrag für noch einen guten Drittel der Kosten (Orchester und Konzertproduktion) zukünftig nicht mehr zu leisten. Die SRG stellt somit ihre drei Millionen pro Jahr nicht mehr zur Verfügung. Stattdessen finanziert sie künftig die in Auftrag gegebenen Konzerte des OSI im Wert von nur noch mindestens zwei Millionen Franken pro Jahr.
Das Auftragsverhältnis hat zur Folge, dass das Orchester künftig für Proben und Konzerte im Musiksaal des Radiostudios in Lugano-Besso Miete zu bezahlen hat. Auch die Kosten für Dirigenten, Solisten und ganz allgemein die Produktion muss es nach neuem Vertrag übernehmen. Aufgrund dieses Systemwechsels wird die SRG nicht mehr im Stiftungsrat des OSI vertreten sein. Was diese tiefgreifende Änderung für die Musikabteilung der RSI bedeutet, ist noch nicht absehbar.
Kein Sieg, aber sehr zufrieden
Gleichwohl ist der neue Vertrag im Tessin mit Genugtuung aufgenommen worden. Trotz ihres Rückzugs aus der Verantwortung für das Orchester ist die SRG nicht öffentlich kritisiert worden. Der Vizepräsident des Stiftungsrats des Orchesters, der angesehene Anwalt Mario Postizzi, sagte: „Wir können keinen Sieg feiern.“ Das war der deutlichste, wenn auch sehr höfliche Einwand. Der Direktor der RSI (Radiotelevisione della Svizzera italiana), Maurizio Canetta, zeigte sich sehr zufrieden über den neuen Vertrag. Er hatte sich im Vorfeld der Verhandlungen nie öffentlich zugunsten einer möglichst vorteilhaften Vereinbarung für das Orchester eingesetzt.
Erstaunlich ist, dass alt Staatsrat Luigi Pedrazzini, der Präsident der Trägergesellschaft CORSI, sich befriedigt erklärt hat. Zum Passus im Vertrag, wonach dieser um zwei Jahre verlängert würde, sofern der Kanton Tessin das Gebäude des Radios in Lugano-Besso kaufe, sagte der Jurist Pedrazzini in seiner Stellungnahme gegenüber dem „Corriere del Ticino“ kein Wort. Diese kaum verhüllte Erpressung hat er offenbar klaglos hingenommen.
Roger de Weck, der Generaldirektor der SRG, anerkennt die herausragende Bedeutung des OSI für das kulturelle Leben der italienischen Schweiz und weist auch darauf hin, dass es für eine kleine Region eine Herausforderung sei, ein grosses Orchester zu finanzieren. In der Pressemitteilung der SRG wird de Weck zudem mit folgendem Satz zitiert: „Die SRG trägt mit der neuen Vereinbarung diesen besonderen Umständen Rechnung. In Erfüllung ihres Kulturauftrags und zugunsten der eidgenössischen Kohäsion unterstützt die SRG die Musikproduktion in der italienischen Schweiz weit stärker als in der Romandie oder der Deutschschweiz.“ – Es ist allerdings etwas irreführend, die Service-public-Leistungen für das Tessin, das weniger Einwohner zählt als die Stadt Zürich, mit denjenigen für die mehrfach grösseren und wirtschaftlich stärkeren Sprachregionen der Schweiz zu vergleichen.
Schrittweiser Abbau auf SRG-Seite
Als das Radio-Orchester im Tessin 1991 zum Orchestra della Svizzera italiana wurde und die SRG nicht mehr die vollen Kosten übernahm, beteiligte sich der Kanton Tessin mit jährlich drei Millionen. Im Rahmen der Finanzplanung der SRG für die Jahre 2005 bis 2008 waren es nach Aussagen des damaligen Direktors der Radiotelevisione della Svizzera Italiana, Remigio Ratti, die Kollegen aus den andern Sprachregionen, die wiederholt auf die Kürzung der Beiträge ans OSI drängten. Ihr Argument: auch sie müssten sparen. Der Ökonom Ratti entgegnete, dass beim Orchester nicht in buchhalterischer Weise der Spargriffel angesetzt werden dürfe und fügte bei, sofern diese Diskussion nicht aufhöre, reiche er seinen Rücktritt ein. Der damalige Generaldirektor Amin Walpen bat darauf die Sitzungsteilnehmer, das Thema ruhen zu lassen.
Im Jahr 2013 trat sodann ein neuer Zusammenarbeitsvertrag in Kraft, welcher den Beitrag der SRG auf die bis Ende 2017 geltenden zwei Millionen Franken beschränkte. Zu diesem Betrag sind die von der RSI erbrachten Leistungen für die Produktion von Konzerten sowie für Miete, Archiv und Weiteres im Wert von rund einer Million hinzuzuzählen, die nun mit dem neuen Vertrag wegfallen werden. Gegen jene Beitragsreduktion leistete die damalige Leitung der Radiotelevisione della Svizzera italiana keinen Widerstand. Als teilweise Kompensation erhöhte der Kanton Tessin im Jahr 2013 seinen Kostenbeitrag von 3,5 auf 4 Millionen. Überdies zahlt die Stadt Lugano seit 2013 jedes Jahr eine halbe Million Franken. Mehrere andere Gemeinden, die Freunde des Orchesters sowie verschiedene Sponsoren leisten weitere Beiträge von jährlich über 750‘000 Franken.
Rückzüge in allen Sprachregionen
Anlässlich der Gründung der SRG im Jahr 1931 (damals Schweizerische Rundspruchgesellschaft, heute Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) beschloss der Zentralvorstand an seiner ersten Sitzung, dass die drei Sprachregionen je ein eigenes Orchester haben sollten. Die während Jahrzehnten von der SRG finanzierten Orchester spielten im kulturellen Leben eine wichtige Rolle. In den 1990er Jahren begann sich die SRG zurückzuziehen – das Beispiel des OSI zeigt es. Weiter fusionierte 1997 in der deutschen Schweiz das Radio-Sinfonieorchester Basel mit dem Basler Sinfonieorchester. Noch heute besteht ein Vertrag mit der SRG über die Aufzeichnung, Übertragung und Abgeltung von Konzerten der Deutschschweizer Berufs-Sinfonieorchester.
In der Westschweiz bestand eine besondere Situation: Das 1918 vom herausragenden Dirigenten Ernest Ansermet gegründete Orchestre de la Suisse Romande (OSR) und die SRG arbeiteten seit den 30er Jahren eng zusammen, doch das OSR war nie ein eigentliches Radio-Orchester. Mit der SRG verbunden war ebenfalls das 1942 gegründete Orchestre de Chambre de Lausanne; die beiden Orchester bestritten einen wichtigen Teil der Musikproduktion für Radio- und Fernsehen der französischen Schweiz. Nach Auskunft der SRG ist die finanzielle Unterstützung der beiden Orchester stark reduziert worden, namentlich seit 2004; Zahlen nennt sie nicht.