Nun ist er also gestorben, Efraín Ríos Montt, General, Putschist und Präsident. Endlich, ist man versucht zu sagen. Die wenigen Monate vom 23. März 1982 bis zum 8. August 1983 seiner Amtszeit als Präsident zählen zu den blutigsten in der blutigen Geschichte Guatemalas.
Ohne Unterstützung
Kaum einen Politiker oder Militär beobachtete ich genauer und häufiger in jenen achtziger Jahren, als ich als Korrespondent aus den von mörderischen, US-unterstützten Militärs und Todesschwadronen gepeinigten Staaten Mittelamerikas berichtete. Guatemala gehörte damals einer kleinen Zahl von einheimischen Landoligarchen, dem Brausehersteller Coca Cola und einer amerikanischen Obstfirma, die dermassen verrufen war, dass sie beinahe regelmässig ihren Namen ändern musste, mal hiess sie United Fruit, mal Standard Fruit, dann Del Monte.
Nur wenige wagten damals den verzweifelten Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Weil diese Guerrilleros von der sogenannten freien Welt keine Unterstützung in ihrem Kampf um eine freie Gesellschaft erhielten, gaben sie sich sozialistisch und hofften auf Hilfe aus der sogenannten unfreien Welt, weshalb sie plötzlich zu Bauern im angeblichen Schachspiel um die Weltherrschaft wurden.
Ein wiedergeborener Prediger
Als die CIA 1954 die erste demokratische Regierung Guatemalas seit der Unabhängigkeit stürzte, spielte Ríos Montt, damals gerade 28 Jahre alt, nur eine Nebenrolle. Doch das sollte sich ändern. 1970 wurde er Stabschef, und bei den Wahlen 1973 trat er als Kandidat einer von den Christdemokraten unterstützten Nationalen Oppositionsfront an. Die Generäle und Unternehmer jedoch manipulierten den Sieg eines anderen Generals, den Ríos Montt als Ergebnis einer „Verschwörung der katholischen Kirche und der Maya-Minderheit“ sah. In den Priestern der katholischen Kirche und den Mayas sah der verhinderte Präsident ohnehin nur linke Agenten. Aber eines Tages, so versprach er damals, werde er sich „revanchieren“.
Dazu wechselte er erst einmal die Konfession. Er wurde „wiedergeboren“ als Prediger der evangelischen Pfingstgemeinde „El Verbo“ (Das Wort), eine jener rechtsgerichteten, fundamentalistischen Sekten, die damals unter den vormaligen Hippies von Height Ashbury blühten, und freundete sich mit so populären Evangelisten wie Jerry Falwell oder Pat Robertson an.
Der Putschist
Den überflüssigen Wahlkampf Anfang 1982 beobachtete ich vor Ort. Den Wahlsieger hatten die Generäle längst ausgeguckt. Doch auf einer Fahrt mit Soldaten in den Bergen von Huehuetenango erfuhr ich damals unerwartet von Putschplänen. „Wir diskutieren mögliche Alternativen“, versicherte mir ein junger Offizier. „Wir glauben, dass mindestens sechzig Prozent des Offizierskorps unsere Kritik teilen und auch bereit sind, zu handeln“, zitierte ich einen dieser jungen Offiziere am 27. Februar in einem Artikel in der „Stuttgarter Zeitung“.
Die Wahlen am 7. März gewann in einem weltweit bekannten Wahlbetrug erwartungsgemäss der offizielle Kandidat. Und am 23. März putschte sich Ríos Montt mit einer Handvoll weiterer Generäle an die Macht, rief das Kriegsrecht aus, setzte die Verfassung ausser Kraft, löste das Parlament auf, ersetzte die ordentlichen Gerichte durch geheime Gerichte und initiierte einen gnadenlosen Feldzug gegen politische Dissidenten. Entführungen, Folter und aussergerichtliche Hinrichtungen gehörten nun zum Alltag.
Innerhalb nur weniger Monate konvertierte ein Viertel der traditionell katholischen Bevölkerung Guatemalas und trat der Religion des Militärdiktators bei – in der Hoffnung, auf diese Weise einen Job im Staatsdienst ergattern zu können. Schon einen Monat nach seiner Machtübernahme startete der Präsident, Verteidigungsminister und Chef der Streitkräfte unter dem Motto „frijoles y fusiles“ (Bohnen und Gewehre) „Operation Victoria 82“ gegen die erstarkenden Guerillaorganisationen, wobei allerdings kaum frijoles, dafür umso mehr fusiles zum Einsatz kamen. Mit der altbekannten Taktik der verbrannten Erde suchte das Militär vor allem die Zahl der Mayas, die damals immer noch fünfzig Prozent der Bevölkerung ausmachten, zu reduzieren.
Der Kriegsverbrecher
Die UN-Wahrheitskommission unter Leitung des deutschen Juristen Christian Tomuschat berichtete Jahre später, 1999, dass bei den Angriffen der Armee, durch Artilleriebeschuss und Luftangriffe 600 Mayadörfer „ausgelöscht“ worden seien. Hunderttausende Bauern flohen nach Mexiko. Mehr noch wurden in sogenannte Wehrdörfer und Umerziehungslager gezwungen, wo sie Fronarbeit für Guatemalas Kaffeebarone leisten mussten. Amnesty International schätzte 1982, dass alleine zwischen März und Juli jenes Jahres 10’000 indigene Bauern getötet und 100’000 in die Flucht gejagt wurden. Neuere Schätzungen gehen von einigen Zehntausend Zivilisten aus, die in den 17 Monaten der Herrschaft Ríos Montts von Todesschwadronen ermordet wurden. Auf dem Höhepunkt des Gemetzels seien monatlich 3’000 Menschen ermordet worden oder „verschwunden“.
„Die guatemaltekische Regierung ist aus der Dunkelheit ins Licht getreten“, rühmte der US-Botschafter solche Politik. Wie Hohn klang Präsident Reagans Eloge, der den Diktator im Dezember des Jahres in Guatemala-Stadt besuchte und als einen „Mann von grosser Integrität mit viel Engagement“ rühmte: „Ich weiss, dass er die Lebensqualität aller Guatemalteken verbessern und soziale Gerechtigkeit fördern will.“ Um der „Kommunisten“ Herr zu werden, erhöhte Ríos Montt die Truppenstärke von 22’000 auf 50’000 Mann.
Waffenlieferungen
Die Bewaffnung dieser zusätzlichen Soldaten übernahmen vor allem die USA (Lastwagen, Jeeps) und Israel, das Militärberater schickte, Flugzeuge vom Typ Arava, Panzerfäuste, Granatwerfer, uralte Mauser-98- und nagelneue Galil-Gewehre, Funkgeräte, Radarstationen und dazu auch gleich das technische Bedienungspersonal lieferte. Nach der israelischen Invasion im Libanon und dem Vorstoss bis Beirut 1982 überschwemmten Waffen aus den vormaligen PLO-Lagern Mittelamerika. Der „Philadelphia Inquirer“ (24. April 1984) zitierte einen guatemaltekischen Politiker: „Die Israelis lassen nicht zu, dass Menschenrechte die Geschäfte verderben. Man zahlt, sie liefern. Ohne, wie die Gringos, viele Fragen zu stellen.“ Und Ríos Montts Vorgänger im Präsidentenamt, General Fernando Lucas García, lobte den nahöstlichen Waffenbruder in der israelischen Zeitung „Ha’aretz“ (7. Feb. 1986): „Israel war das einzige Land, das uns in unserem Kampf gegen die Guerilla militärisch unterstützte.“ Daneben lieferten Italien Beretta-Pistolen, Jugoslawien 105mm-Kanonen, und dann flogen da noch ein paar Pilatus-Flugzeuge herum.
Am 8. August 1983 hatten Ríos Montts Generalskameraden genug Waffen erhalten, und der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Nach drei vorangegangenen gescheiterten Umsturzversuchen putschte sich schliesslich sein eigener Verteidigungsminister an die Macht. Das Morden ging jedoch unvermindert weiter.
Der Kandidat
Ríos Montt gründete seine eigene Partei, und 1990 hörte ich plötzlich neue Töne. Nun predigte der blutrünstige General die Liebe: „Liebe ist gehorchen, respektieren, treu sein. Wir brauchen eine Regierung mit Herz.“ Guatemala werde sich nur ändern, wenn sich euer Herz ändert. „Wie schön ist Liebe.“ Es half nicht. Denn inzwischen waren Putschisten per Gesetz von der Präsidentschaft ausgeschlossen. Inzwischen bereute auch Washington die alte Liebe zu antikommunistischen Diktatoren. „Ich sage ganz deutlich, dass die Unterstützung für Streitkräfte und Geheimdienste, die an Gewalttaten und Unterdrückung beteiligt waren, falsch war und dass die Vereinigten Staaten diesen Fehler nicht wiederholen dürfen“, entschuldigte sich Präsident Bill Clinton für die Unterstützung, die seine Vorgänger den Diktatoren Guatemalas gegeben hatten.
Ohne Aussicht auf den Topjob im Land bewarb sich Ríos Montt mehrere Male erfolgreich als Kongressabgeordneter, bis er nach Ablauf seiner letzten Amtszeit im Kongress, 2012, seine Immunität verlor.
Inzwischen war die Sowjetunion längst Geschichte, und Antikommunismus zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Im Januar 2013 wurden er und sein einstiger Geheimdienstchef angeklagt, für Massaker in 15 Dörfern verantwortlich zu sein, in denen 1771 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Ixil-Maya getötet wurden. Vier Monate später, am 10. Mai, verurteilte die vorsitzende Richterin, Yassmín Barríos Aguilar, den 86-jährigen General für Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 80 Jahren Gefängnis. Nur zehn Tage später hob das Verfassungsgericht von Guatemala das Urteil auf und ordnete ein neues Verfahren an, das im Januar 2016 beginnen sollte. Eine mögliche Verurteilung, so entschied das oberste Gericht des Landes schon damals, sollte jedoch angesichts seiner (angeblichen) Senilität ausgesetzt werden. Ohne jemals für seine Verbrechen büssen zu müssen, starb Ríos Montt nun nach einer Herzattacke im Alter von 91 Jahren.