Im Zuge der Hildebrand-Affäre waren die Schweizer Medien voll von Berichten über E-Mails.
Sagt man die E-Mail oder sagt man das E-Mail?
Die Sache scheint klar: E-Mail steht für electronic mail, also elektronische Post. Da es heisst die Post, heisst es auch „die E-Mail“. Die meisten Deutschen verwenden denn auch den weiblichen Artikel. Das tun auch grosse Schweizer Zeitungen.
Aber. In der Umgangssprache sagen viele Schweizer, Süddeutsche und Österreicher eben das E-Mail, das Mail.
Wieso eigentlich? Es gibt keinen sächlichen Ausdruck, der die/das E-Mail umschreibt. Die Nachricht, der Brief, die Postsendung,die Botschaft, die Message, die Meldung, die Kunde, das Schriftstück, die Mitteilung, die Zuschrift, die Benachrichtigung, die Postkarte, die Notiz.
Weshalb also das Mail? Wir wissen es nicht. Wir können nur Vermutungen anstellen. Liegt es etwa daran, dass man bei der Einführung der Mails nicht so recht wusste, um was für ein Ding es sich da handelt? Eben: das Ding, das E-Mail-Ding. Oder wurde insgeheim die/das E-Mail als „kleine Postsendung“ wahrgenommen und dachte man an die Verkleinerungsform das Brieflein? An den Haaren herbeigezogen scheint die Erklärung, dass die Schweizer so unbedarft sind und zunächst an das Email gedacht haben. Email als Schmelzglas.
Überzeugender wirkt die Erklärung, dass die Schweizer bei E-Mails an das Schreiben denken – oder das Telegramm.
Gibt man bei Google „das E-Mail“ ein, werden 39 Millionen Einträge angezeigt, gibt man „die E-Mail“ ein, so erscheinen 191 Millionen Ergebnisse.
Hilfe erhalten die Schweizer vom Duden. Der erlaubt nämlich beide Artikel. „E-Mail, die oder das (Substantiv, feminin oder Substantiv, neutrum)“.
Unzweideutig ist der Duden in der Rechtschreibung. Es heisst E-Mail oder Mail, aber nicht Email, eMail, e-mail.
(hh)
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