Die iranischen Präsidentenwahlen, die gegenwärtig stattfinden, kann man nur als gelenkte Wahlen bezeichnen. Die Behörden haben sehr klar gemacht, dass sie unter allen Umständen eine Wiederholung der Ereignisse vermeiden wollen, welche die letzten Wahlen von 2009 auszeichneten. Damals war eine gewaltige Protestbewegung sofort nach den Wahlen ausgebrochen, weil ein grosser Teil der Wählerschaft überzeugt war, das veröffentlichte Resultat sei zu Gunsten Ahmedinejads gefälscht worden, und man habe sie «ihrer Stimme beraubt».
Erstickte Reformbewegung
Der Protest wurde von einer Reformbewegung getragen, die demokratische Reformen innerhalb der Islamischen Republik Irans anstrebte und versprach. Er wurde schlussendlich abgewürgt. Die Reformbewegung existiert noch immer. Doch die Behörden sorgten dafür, dass sie diesmal nicht einmal durch Demonstrationen zum Zuge kommen kann. Die wichtigsten der Reformkandidaten wurden zu den Wahlen nicht zugelassen. Die damaligen Reformkandidaten und Anführer der Bewegung von 2009 sind unter Hausarrest oder in den Gefängnissen isoliert.
Im Vorfeld der Wahlen wurde der Zugang zum Internet und zu den elektronischen Medien eingeschränkt. Viele Journalisten wurden verhaftet. Die meisten Zeitungen der Reformtendenz, die dank grosser Vorsicht noch überlebten, wurden geschlossen. BBC aus London berichtet, dass die 15 Angehörigen des persischen Dienstes des Senders und deren Familien «schwerer als je» bedroht worden seien. Sie seien gewarnt worden, die 15 dort angestellten Journalisten, die in London leben, hätten den britischen Sender zu verlassen oder ihr Leben und das ihrer Angehörigen schwebe in Gefahr.
Doch noch ein – sehr umsichtiger – Reformkandidat
Trotz alldem ist im Vorfeld der Wahlen eine Überraschung eingetreten. Derjenige unter den acht zugelassenen Kandidaten, der noch am ehesten als der Reformtendenz zugeneigt galt, Reza Aref, trat zurück. Wie er erklärte, entschloss er sich zu diesem Schritt auf Anraten des ehemaligen Präsidenten Khatami, der selbst als ein vorsichtiger Reformfreund eingestuft wird.
Daraufhin entschloss sich ein anderer der nach einem weiteren Rücktritt nur noch sechs Kandidaten, Hassan Rouhani, mit einem vorsichtig reformierenden Programm hervorzutreten. Er erklärte in den Vorwahldebatten der letzten Stunde, das Verhältnis Irans zum Westen müsse verbessert werden. Das Gespräch mit dem Westen sei wieder aufzunehmen. Er versprach auch, im Fall seiner Wahl Gefangene zu befreien und eine Reform der Medien zuzulassen. Khatami hatte seinerzeit seine Reformansätze, die später auch abgewürgt wurden, mit einem Versuch, die Medien zu befreien und zu beleben, begonnen.
Hauptthema: Wirtschaftsmisere
Die Hauptfrage, die das Verhältnis Irans zum Westen belastet, den Atomstreit, erwähnte Rouhani nicht. Doch wissen natürlich die meisten politisch interessierten Iraner, dass dies der entscheidende Punkt ist, der eine Lösung finden müsste, wenn es zu einer wirklichen Neuaufnahme der Beziehungen zu den westlichen Staaten kommen soll.
Die Wahlkampagne, soweit es eine solche überhaupt gab, war in erster Linie durch die wirtschaftliche Krise bestimmt, die den Iranern, besonders natürlich den Mittel- und Unterschichten, schwer zusetzt. Der Rial, die iranische Währung, hat mehr als die Hälfte seines Wertes verloren. Die Inflation steigt immer weiter an, sie soll nun auf 40 Prozent stehen. Die Grundlebensmittel werden immer teurer. Die Frage der Notwendigkeit von Rationierung der Grundnahrungsmittel wird diskutiert. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Wirtschaft ist in Rezession. Viele Industrieunternehmen leiden unter den stark erhöhten Energiepreisen, die auf den Abbau der staatlichen Subventionen zurückgehen. Manche Fabriken haben geschlossen, andere arbeiten mit halber Produktion.
Es sind die Sanktionen der Amerikaner und der europäischen Staaten, die dies bewirken. Obwohl nach dem Urteil der Wirtschaftsfachleute ein völliger Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft durch sie nicht erreicht werden kann, weil das Regime seine Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern, die den Boykott nicht mitvollziehen, intensiviert hat. Indien gehört dazu sowie mehrere Staaten Südamerikas. Iran kann seine Erdölexporte, allerdings zu reduzierten Preisen, dorthin umleiten. Teheran hat auch grosse Erfahrung darin gesammelt, wie die Boykottbestimmungen unterlaufen werden können. Doch alle solchen Umgehungsmassnahmen haben natürlich ihren Preis.
Dass die Wirtschaftsmisere durch demagogische und undurchdachte Manöver Ahmedinejads verschärft worden ist, wird inzwischen von den vielen Kritikern des scheidenden Präsidenten offen dargelegt. Doch das Grundproblem, die Atomstreitigkeiten, blieb unerwähnt. Alle Kandidaten versprachen, sie würden die Wirtschaftslage verbessern. Doch keiner legte ein detailliertes Programm vor, wie dies zu erreichen sei..
Wieviele Stimmen erhält Rouhani?
Die Wahlen haben in letzter Stunde doch noch eine gewisse politische Spannung hervorgebracht. Hassan Rouhani hat die Zustimmung der beiden wichtigsten Figuren erhalten, die immer noch, allerdings äusserst vorsichtig, für Reformen zu sprechen wagen: der beiden ehemaligen Präsidenten Rafsanjani und Khatami. Khatami hat nicht selbst kandidiert, Rafsanjani meldete sich für die Wahl an und wurde im Vorfeld der Wahlen mit über 300 anderen Bewerbern als «ungeeignet für die Präsidentschaft» vom Wächterrat ausgeschlossen. Die fünf anderen Wahlkandidaten gelten alle als reine Loyalisten des Herrschenden Gottesgelehrten Khamenei. Ihnen ist nicht zuzutrauen, dass sie irgend etwas unternähmen ohne im Auftrag Khameneis zu handeln. Als die aussichtsreichsten von ihnen gelten Saeed Jalili, der ehemalige Atom-Unterhändler, und Baqer Qalibaf, der bisherige Bürgermeister von Teheran.
Das Spannungselement in den gegenwärtigen Wahlen besteht nun aus der Frage, wie viele Stimmen der «Reformkandidat» letzter Stunde, Hassan Rouhani, zu erlangen vermag. Sogar wenn er, wie zu befürchten ist, sich nicht durchsetzen kann, ist diese Zahl von Bedeutung, weil sie darauf hinweisen kann, wie weit die Reformbewegung in Iran noch überlebt, und ob sie für die Zukunft des Landes noch eine Rolle zu spielen vermag.