Die Amerikaner hören die Franzosen (und andere) ab, die Franzosen die Amerikaner (und andere), aber auch sich selbst. Das alles wusste man schon vor dem amerikanischen Abhörskandal. Die Reaktionen fielen deshalb in Europa nach einigen Kraftwörtern eher gedämpft aus. Der Handelsvertrag sollte auf keinen Fall gefährdet werden. Auch Präsident Hollande musste sich diesem europäischen Druck beugen. Er tat dies um so leichter, als Frankreich mit den USA, Grossbritannien, Israel und China (zudem ein Hackerstaat) zu den fünf grossen Spitzelstaaten zählt. Sein sozialistischer Vorgänger Mitterrand hatte noch eine eigene Abhörzelle im Élysée, die für ihn Journalisten und politische Gegner ausspionierte. Seither ist das Gesetz theoretisch etwas strenger geworden, aber die Praxis ausufernder, vor allem mit der staatlichen Wirtschaftsspionage. Unterdessen hörten auch die Murdoch-Journalisten Mobiltelefone ab und spionieren Unternehmen ihre Angestellten aus oder registriert Google unsere Konsumgewohnheiten. Die Schweizer Fichenaffäre haben wir schon fast vergessen. Spionage ist, so wird uns erklärt, eine notwendige Schweinerei. Aber der Unterschied zwischen der totalen und der totalitären Kontrolle wird fliessend, auch in Demokratien. Orwell lässt leider immer noch grüssen. (Ulrich Meister, Paris)