Nein, er wurde todernst, aalglatt und mit gespielter Unschuld ausgesprochen, während eines Treffens mit Lesern der Tageszeitung "Le Parisien", vom Minister, der sich in der französischen Republik um Abschiebungen und Ausweisungen, um Jagd auf Ausländer und verdächtige Franzosen kümmert.
Eric Besson heisst er, ein feiner, glattrasierter Herr, mit perfekt sitzender Krawatte, zuständig für die Schmutzarbeit. Laut Bezeichnung seines Amtes hat er für "Immigration, Integration und Nationale Identität" Sorge zu tragen. "Gute Franzosen fabrizieren" – wie darf man sich das vorstellen? Vorne, auf der Strassenseite des Ministeriums, in der noblen Pariser Rue de Grenelle, gibt man die schlechten und mittelmässigen Franzosen hinein und hinten im Garten kommen die Guten raus?
Gute Franzosen fabrizieren, das heisst im Grunde doch vor allem eines: Es gibt schlechte Franzosen! Verdächtige, Gefährliche, Dunkelhäutige, Frischgebackene, solche, die nicht Dupont heissen und die berühmte Baskenmütze, die Baguettte und den Rotwein ständig bei sich tragen.
Es wird also wieder einmal, wie seit Ende Juli fast tagtäglich, im Grunde aber schon seit 8 Jahren, seit Nicolas Sarkozy damals das Innenministerium übernommen hatte, mit dem Finger gezeigt auf die nicht ganz stubenreinen Franzosen. Das Wort "stigmatisation" hat wohl beste Chancen, in Frankreich zum Wort des Jahres 2010 gewählt zu werden.
Eric Besson, der Minister, der diesen Satz ausgesprochen hat, verfügt über ein Lächeln, das so messerscharf ist, dass es einem kalt den Rücken runter läuft. Und man sagt sich, dieser Mann kann frühmorgens unmöglich in den Spiegel schauen, um sich zu rasieren, er muss sich rasieren lassen! Denn nach dem, was er selbst "fabriziert" hat, bei dem politischen Parcours, den er in den letzten drei Jahren hingelegt hat – da kann ihm niemand zumuten, sich im Spiegel anschauen zu müssen, das hält kein Mensch aus – nicht mal Eric Besson.
Verrat als Prinzip der Politik
Anfang 2007, als der französische Präsidentschaftswahlkampf schon im Gang war, fungierte Besson noch als einer der Wirtschaftsexperten der Sozialistischen Partei Frankreichs, hatte in den Monaten davor noch böse Traktate über den damaligen Inneminister und konservativen Präsidentschaftskandidaten, Nicolas Sarkozy, verfasst, dessen Gesetzgebungswahn in Sachen Innere Sicherheit, Immigration und Kriminalität gegeisselt, um dann, fast vom einen auf den anderen Tag, mit fliegenden Fahnen zu Nicolas Sarkozy überzulaufen, sich bei einer Wahlveranstaltung mit 10 000 Teilnehmern kurz vor der entscheidenden Stichwahl vom künftigen Präsidenten wie eine Kriegsbeute vorführen zu lassen. Auch da hat Eric Besson schon messerscharf gelächelt und ist nicht mal rot geworden.
So ungeniert hatte bis dahin noch kein französischer Politiker Verrat begangen. Als Lohn dafür ernannte Nicolas Sarkozy ihn 2007 zunächst zum Staatssekretär, Anfang 2009, im Rahmen einer Regierungsumbildung, folgte dann die Krönung: Eric Besson übernahm das Ministerium, in dem er noch heute sitzt und wo er gute Franzosen fabrizieren möchte. Dessen Bezeichnung "Ministerium für Immigration, Integration und Nationale Identität" ist im übrigen dem Kopf eines Mannes mit eindeutig ultrarechter Vergangenheit entsprungen, der seit drei Jahren, wenn auch inoffizieller, so doch einer der wichtigsten politischen Berater von Präsident Sarkozy ist. Patrick Buisson heisst der Mann, ein Name, den man sich merken sollte.
Wie gut sind gute Franzosen?
Ein so aufrechter und charakterfester Mensch wie Eric Besson darf jetzt also den Franzosen sagen wollen, wer ein guter und wer ein schlechter Franzose ist? Es brennt einem auf der Zunge zu fragen: Ist Lilianne Bettencourt zum Beispiel eine gute oder eine schlechte Französin? Die alte Dame mit den 17 Milliarden, den Konten in der Schweiz, der Insel im Pazifik, und den Geldern, die Sarkozys Partei zugeflossen sein sollen?
Oder Bernard Tapie, der windige Geschäftsmann, der zwischenzeitlich ein ziemlich grossmäuliger Politiker war und wegen Insolvenzvergehen, Unterschlagung und Bestechung monatelang im Gefängnis sass, jetzt aber – mit Hilfe der Umgebung von Präsident Sarkozy – am Ende einer langjährigen juristischen Auseinandersetzung mit der Grossbank Crédit Lyonnais dank eines völlig unverständlichen Schiedsgerichtsverfahrens die Riesensumme von 400 Millionen Euro zugesprochen bekam – ist Bernard Tapie ein guter Franzose oder doch eher ein schlechter?
Oder Jacques Chirac? Bei allem Respekt, aber warum muss ein ehemaliger französischer Staatspräsident drei Jahre nach Ende seiner Amtszeit immer noch kostenlos am Seine-Ufer in einer 500 Quadratmeterwohnung residieren, die der libanesischen Milliardärsfamilie Hariri gehört? Guter Franzose? Schlechter Franzose?
"Die Republik stinkt"
Eric Besson, der Fabrikant guter Franzosen, hat in dem Furcht erregenden Gespräch mit Lesern der Tageszeitung "Le Parisien" noch eine Reihe weiterer bemerkenswerter Äusserungen getan. Etwa:
"Franzose oder Ausländer zu sein ist nicht dasselbe.
Und:
"Wir müssen den Stolz pflegen, Franzosen zu sein."
Man lässt sich den Satz auf der Zunge zergehen und fühlt sich schon wieder an die 30er-Jahre erinnert, in dieser Woche, in der Minister Besson dafür gesorgt hat, dass im Parlament bei der Abstimmung über das 5. Ausländergesetz innerhalb von nur sieben Jahren der umstrittene Paragraph durchkommt bezüglich der Aberkennung der Staatsbürgerschaft für eingebürgerte Franzosen, die einer staatlichen Autoritätsperson nach dem Leben getrachtet haben. Minister Besson räumte mit bewährtem Zynismus sogar selbst ein, dass dieses Gesetz in der Praxis so gut wie nie zur Anwendung kommen dürfte, wichtig sei jedoch seine symbolische Tragweite! Kommentatoren sprachen von einem Tag der Schande für Frankreich, von einem Dammbruch, der langjährige Grünenabgeordnete Noël Mamère von "einer Republik, die zu stinken beginnt".
Gewaltenteilung – was war das noch ?
Nebenbei bemerkt: Nicolas Sarkozys Tiraden gegen Roma, fahrendes Volk, Ausländer und gefährliche Ghettobewohner und das daraus resultierende Klima im Land waren ausgelöst worden durch gewaltsame Ausschreitungen in einem Vorort von Grenoble und durch ein tragisches Ereignis in Zentralfrankreich – beides geschah an einem Wochenende Mitte Juli.
Einige Dutzend Mitglieder des so genannten "Fahrenden Volkes" – man nennt sie in Frankreich "gitans, tsiganes, manouches, romanichels" und manchmal auch "roms" – hatten an einem Sonntag das Zentrum der zentralfranzösischen Kleinstadt Saint-Aignan und besonders die dortige Gendarmerie kurz und klein geschlagen. Am Vortag war einer der Ihren, ein 22 Jähriger, bei einer Verkehrskontrolle auf einer Landstrasse erschossen worden. Notwehr, sagten die Gendarmen, er wurde abgeschossen wie ein Hase, sagte der Fahrer des Autos, in dem der 22 Jährige starb.
Seit Ende letzter Woche ist der Gendarm, der bei der Verkehrskontrolle geschossen hat, angeklagt wegen unbeabsichtigten Totschlags – der Untersuchungsrichter sieht Notwehr nicht als gegeben an, hat zumindest berechtigte Zweifel. Kaum war dies bekannt geworden, trat der Innenminister vor Mikrophone und Kameras und sicherte dem Gendarmen seine moralische und finanzielle Unterstützung zu und die Solidarität seiner 97 000 Kollegen. Ein Innenminister darf die Justiz in unverschämter Offenheit desavouieren.
Auch dies ist möglich im Jahr 2010 im Land, in dem ein Montesquieu einst das Konzept der Gewaltenteilung entwickelt hat.
Hans Woller aus Paris_02: Die Roma, Frankreichs Präsident und sein Familienname
Hans Woller aus Paris_01: Allons les enfants etc.