Es hat genügt, dass einer EU-Kommissarin der Kragen geplatzt ist, dass Viviane Reding sagte, es reiche jetzt, das Schauspiel, das Frankreich mit den Roma inszeniere sei eine Schande und schon hatte sich der Präsident zurückgemeldet.
Zunächst hat er noch mal reden lassen, den Europastaatssekretär, der sich empörte, in so einem Ton könne man über ein grosses Land wie Frankreich nicht sprechen.
Ein grosses Land mit einem klitzekleinen, schrumpfenden Präsidenten – so zumindest hatte dies letzte Woche „The Economist“ gesehen, auf der Titelseite eine Photomontage platziert, die Nicolas Sarkozy zeigte, „ soooo klein mit Hut“, nur die präsidialen Füsse schauten unter einer napoleonischen Hutkrempe hervor, mit dem bösartigen Detail, dass da tatsächlich Sarkozys Schuhwerk abgebildet ist - die stark überhöhten Absätze lassen keinen Zweifel zu.
Voyou de la République
Am Mittag speiste der Präsident dann in Paris noch mit einigen Senatoren und hatte bei dieser Gelegenheit das Niveau der Debatte über EU-Recht, Menschenrechte und Minderheiten mitten auf den Stammtisch gehoben, zwischen Bierlachen, abgenagten Knochen und Zigarettenasche, er hatte einen Senator rülpsen lassen, die Luxemburger Kommissarin solle die Roma doch in Luxemburg aufnehmen!
Jawohl, so hat er ihr’s gegeben, dieser Frau aus dem kleinen Land und dem französischen Volk gezeigt, aus welchem Holz man geschnitzt ist im Mutterland der Menschenrechte.
Sarkozy liess dies sagen und fuhr dann umgehend nach Brüssel, um dort eigenhändig den EU-Gipfel aufzumischen. Dabei legte er ein Verhalten an den Tag, das einen daran erinnerte, dass die Wochenzeitung Marianne im August über Nicolas Sarkozy hatte titeln lassen: „ Le Voyou de la Republique“, "Der Ganove der Republik„ - einschüchternd, brutal, überrumpelnd, fast erpresserisch wirkte sein Auftreten in Brüssel und, passend zum Bild, pokerte er dann auch noch und log, dass sich die Balken bogen, erfand aus heiterem Himmel, vor versammelter Presse, die Mähr, Kanzlerin Merkel habe ihm anvertraut, auch sie werde bald Roma aus ihrem Land abschieben und deren Lager auflösen.
Eine plumpe Lüge, die nebenbei zeigt, dass der Franzose von seinem Nachbarland Deutschland definitiv keine Ahnung hat, nicht weiss, dass es dort wild gewachsene Roma Camps zwischen Autobahnkreuzen und Bahngleisen schlicht nicht gibt und dass dort ein gewisser Thilo Sarrazin – obwohl, der müsste Sarkozy doch gerade recht kommen, hat ihm niemand von ihm erzählt ? – mit ausländerfeindlichen Thesen soeben die deutsche Volksseele derart aufgekocht hat, dass eine Angela Merkel nicht den Bruchteil einer Sekunde daran denken dürfte, eine Anti-Roma-Initiative à la Sarkozy zu starten.
Wiederholungstäter
Schon wieder eine Lüge Sarkozys im deutschen Kontext. Glaubt Frankreichs Präsident, alle hätten schon vergessen, welche Lüge er sich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls hatte einfallen lassen, mit der allein er sich eigentlich schon für alle Ewigkeit lächerlich gemacht hatte? Als er vorgab, er, der künftige historische Präsident Frankreichs sei im historischen Moment am 9. November 89 sofort am historischen Ort gewesen gewesen - zu einer Stunde, als die Menschen selbst im Grossraum Berlin noch nicht wirklich verstanden hatten, dass die Grenze tatsächlich offen war, da wollte Speedy Sarko schon mit dem Hämmerchen dem volkseigenen Beton zu Leibe gerückt sein.
Historische Vergleiche
Wie haben sie sich empört, Frankreichs Minister und der Präsident: skandalös, unerträglich, schockierend seien diese ständigen Vergleiche mit der tragischen Periode unsere Geschichte während des 2. Weltkriegs, jetzt auch noch aus dem Mund einer EU-Kommissarin.
Gewiss, Europastaatssekretär Lellouche hat Recht: Charterflüge nach Bukarest sind keine Züge nach Auschwitz und das Frankreich Nicolas Sarkozys ist nicht Vichy-Frankreich, aber nach den 30er-Jahren riecht es in diesem Land allemal und immer stärker. Es fällt zusehends schwerer, einen grundsätzlichen Unterschied auszumachen in der Art und Weise, wie damals bestimmte Gruppen der Bevölkerung von höchster staatlicher Stelle aufs Korn genommen wurden und wie dies heute geschieht.
Im Frühjahr 1938 hatte der damalige französiche Innenminister den Präfekten der Departements eine Dienstanweisung geschickt, in der er ankündigte, die «unerwünschten Mitbürger» blosstellen zu wollen, durch energische, methodische und sofortige Massnahmen, um den Wünschen der Bevölkerung zu entsprechen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.
Anders als in der Dienstanweisung des Innenministers vom 5. August 2010, welche die Frankreichschelte der EU-Kommissarin Reding nach sich zog und in der es hiess, alle illegalen Lager, besonders die der Roma seien umgehend aufzulösen, waren die „unerwünschten Mitbürger“ 1938 nicht konkret genannt, doch jedem war klar, um welche es ging: um Italiener, Russen, Deutsche und Österreicher, die in den letzten Jahren eingebürgert worden waren, viele von ihnen Juden.
Zwei Jahre später unter der Vichyregierung sollte man ihnen dann tatsächlich die Staatsbürgerschaft wieder aberkennen. Es fällt schwer, nicht sofort an diese dunkle Periode zu denken, wenn der Frankreichs Präsident heute davon spricht, bestimmten neu Eingebürgerten die Staatsangehörigkeit wieder aberkennen zu wollen.
Und es ist ja schliesslich auch kein Zufall wenn Innenminister Hortefeux, seit 3 Jahrzehnten ein Intimus des Präsidenten, in eine Rede im Zusammenhang mit Roma und dem fahrenden Volk einfliessen lässt, Frankreich sei kein « terrain vague». Derjenige, der dem Innenminister diese Rede geschrieben hat, hat bei Charles Maurras nachgeschlagen, dort kann man diese Passage finden, und zwar in ihrem vollständigen Kontext. Zitat: « Frankreich ist kein ‚terrain vague’ . Wir sind keine Zigeuner, die zufällig am Wegrand geboren wurden. Unser Boden gehört seit 20 Jahrhunderten einer Rasse, deren Blut in unseren Adern fliesst«.
Maurras und sein Schriftstellerkollege Maurice Barres gehörten massgeblich zu jenen, die in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg für den geistigen Bodensatz des Vichyregimes gesorgt hatten und eben in diesem Sumpf räubern jetzt die Redenschreiber Sarkozys und seiner Minister!
Man erinnert sich noch: als die rechtsextreme nationale Front in Frankreich Ende der 70er-Jahre ihre ersten grossen Wahlerfolge erzielte und nationale, wie internationale Kommentatoren reichlich aufgeschreckt reagierten, da sagte Willy Brandt als alter, weiser Staatsmann noch sinngemäss: « Übertreiben wir nicht. Frankreich ist eine alte Demokratie und ich vertraue dieser Demokratie, dass sie dieses Problem bewältigen wird."
Ein Vierteljahrhundert später scheint Frankreich leider so weit, dass die Thesen der rechtsextremen Nationalen Front an der Spitze des Staates abgesegnet geworden sind und und für hoffähig befunden werden.
Immigrationsminister mit Heiratsproblemen
Die unselige, staatlich verordnete Debatte über die Nationale Identität Frankreichs Anfang des Jahres war der Beginn einer unterschwelligen Offensive gegen all jene französischen Staatsbürger – und das sind zwischen 6 und 10 Millionen - deren Hautfarbe ein wenig dunkler ist, in den Vororten würde man sagen, gegen all die Franzosen, die keine Gallier sind.
Diese Debatte war initiiert worden von einem, dessen Ministerium die reichlich anrüchige Bezeichnung « Ministerium für Immigration, Integration und Nationale Identität“ trägt - Eric Besson, dem zynischen Überläufer aus der sozialistischen Partei, der sich zu einem der eifrigsten und unterwürfigsten Minister Nicolas Sarkozys gewandelt hatte.
Dieser Minister hat nur vor 10 Tagen geheiratet, doch er konnte dies nicht öffentlich tun. Denn Eric Besson, der stolz darauf verweist, dass er vergangnes Jahr 29 000 Ausländer ohne gültige Papiere aus Frankreich abgeschobnen hat, er hat jetzt, 52 jährig, eine 24 jährige Tunesierin geheiratet. Wäre er nicht Minister, sagen böse Zungen, und die bildhübsche 24-Jährige nicht Urenkelin der Frau des früheren tunesischen Präsidenten Bourgiba, würden die Beamten der französischen Einwanderungsbehörde im Lauf der nächsten 2 Jahre sicherlich kontrollieren kommen, um zu überprüfen, ob es sich nicht um eine Gefälligkeitsheirat gehandelt hat und ob die beiden wirklich zusammenleben.
Via Facebook hatten Bessons Gegner dazu aufgerufen, am 6. September zahlreich zu dessen Hochzeit im Rathaus des noblen 7. Pariser Arrondissement zu erscheinen - prompt wurde die Hochzeit verschoben und am Sonntag darauf, nachmittags, hinter den gesicherten Mauern des Ministeriums zelebriert. Immerhin: einem Minister der französischen Republik ist es nicht möglich, in aller Öffentlichkeit zu heiraten.
*Bergsteigen für die Republik**
Derweil verliert man langsam den Überblick über die unterschiedlichsten Initiativen quer durch Frankreich gegen Präsident Sarkozys extrem rechtslastige Politik und die verschiedensten Aufrufe zur Verteidigung der republikanischen Grundwerte.
Hier ein namhaft besetztes Kolloquium mit der Fragestellung „ Welche republikanische Front gegen Sarkozy?„, dort ein öffentlicher Appell und ein Konzert unter dem Titel „Finger weg von unserer Nation“ und nicht zu vergessen Frankreichs Bergsteiger. Ja, auch sie, als Gipfelstürmer und Freiheitsliebende, haben sich am vorletzten Wochenende in die Debatte eingemischt, um dem Präsidenten aufs Dach zu steigen mit so genannten "republikanischen Seilschaften", um sich, wie es in ihrem Aufruf hiess, zu erheben über das von der Regierung verursachte, übel riechende Klima und die politisch Verantwortlichen dazu aufzurufen, die republikanischen Prinzipien wiederherzustellen und zu respektieren.
Auf Gletschern vor emblematischen Gipfeln der Alpen und der Pyrenäen haben mehrere Gruppen Delacroix’ berühmtes Gemälde « La liberte guidant le peuple» - nachgestellt, eine Marianne mit entblöstem Busen, in der einen Hand die französische Fahne, in der anderen ein Bajonett, die ihren Kletterkameraden den Weg weist, im Schnee ein einfaches Spruchband mit der schönen Devise der Republik: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ .
Allons les enfants etc._01: Hat es Präsident Sarkozy die Sprache verschlagen