Grossmäulig nannte die «Weltwoche» ihre einzige Quelle «Deep Throat II». Sie spielte damit auf den Informanten im Watergate-Skandal an, der damit endete, dass der US-Präsident Richard Nixon mit Schimpf und Schande zurücktrat. Übersehen hat das ehemalige Weltblatt allerdings, dass damals eine sinnvolle Regel im Recherchierjournalismus eingeführt wurde: Bei anonymen Quellen braucht es eine unabhängige Bestätigung durch einen zweiten Informanten, bevor brisante Anschuldigungen erhoben werden können.
Rette sich, wer kann
Wenn man die Verwendung einer einzigen Quelle als ausreichend erachtet, wie es der preisgekrönte Autor des WeWo-Hetzartikels genauso grossmäulig verkündete, dann hat man gute Chancen, in die Bredouille zu geraten. Besonders, wenn man mit dieser Quelle nicht einmal direkt Kontakt hatte, sondern sich auf einen Mittelsmann verliess. Inzwischen gilt da ein allgemeines «rette sich, wer kann», es spielen sich Szenen wie in einem derben Bauernschwank ab.
Künstlerische Kopierarbeit
Die gesammelten Anschuldigungen der «Weltwoche» beruhen auf einem «Dokument», das am 5. Januar als «Beweis» abgedruckt wurde. Alle am zugrunde liegenden Datendiebstahl und der Weiterleitung Richtung Christoph Blocher und «Weltwoche» Beteiligten lassen sich inzwischen von Anwälten vertreten, die sich munter widersprechen. Der Anwalt des Datendiebs Reto T. gibt bekannt, dass sein Mandant niemanden autorisiert habe, die Kontodaten weiterzugeben, der Postbote Hermann Lei zudem gegen seine Schweigepflicht verstossen habe, da ein Mandantenverhältnis zu Reto T. bestand. Dem widerspricht der Anwalt von Anwalt Lei diametral. Dieser räumt aber ein, dass er nicht nur Kopien der berühmten Screenshots hergestellt habe, sondern diese auch «zusammenzog, damit sie auf eine Seite passen».
Ist irgendwas echt?
Im allgemeinen Durcheinander sollte ein interessanter Satz von Leis Anwalt Valentin Landmann nicht untergehen, der nebenbei in den Raum stellt, dass man natürlich «nicht weiss, ob die Dokumente wirklich echt waren». Hoppla. Die Recherchierkunst der «Weltwoche» bestand also darin, dass sie sich auf die manipulierte Kopie angeblich echter Kontoauszüge verliess, die ihr von einem Mittelsmann übergeben wurde, während der eigentliche Informant, eben «Deep Throat II» inzwischen ausrichten lässt, dass diese Weitergabe gegen seinen erklärten Willen und unter Bruch des Anwaltsgeheimnis erfolgt sei.
Der Zweck heiligt die Mittel
Man kann es natürlich so sehen wie Anwalt Lei, der unbekümmert festhält: «Die Angaben stimmen auch. Sonst wäre Philipp Hildebrand ja nicht zurückgetreten.» Man kann es auch wie der verantwortliche Chefredaktor Köppel sehen: «Was den offenbar erhobenen Vorwurf der Urkundenfälschung angeht, kann ich dies nicht kommentieren, da sich ein solcher Vorgang meinen Kenntnissen entzieht.» Man sollte es aber so sehen: Wir haben es hier mit einem «Weltwoche»-Skandal zu tun, der Konsequenzen haben muss. Wenn dermassen schludriger Hinrichtungsjournalismus ungestraft und ohne Konsequenzen hingenommen wird, hat der Schweizer Recherchierjournalismus ein echtes Problem.
Und wo bleibt die Kritik?
Konfrontation des Beschuldigten mit schwerwiegenden Vorwürfen vor der Veröffentlichung, Verifizierung von Quellen und Dokumenten, Überprüfung von Informationen durch eine zweite, unabhängige Quelle, Verzicht auf die Verwendung von ehrenrührigen, haltlosen und falschen Anschuldigungen, das ist das Einmaleins des Journalismus. Nur damit bleibt er glaubwürdig, nur das gibt ihm die Legitimität, auf Missstände, Skandale, Übelstände aufmerksam zu machen. Es ist mehr als verwunderlich, dass von all den Bannerträgern des aufrechten Journalismus kein Ton zu vernehmen ist. Stattdessen wird die Exegese des E-Mail-Verkehrs von Hildebrand betrieben, herrscht allgemeiner Konsens, dass sich der Ex-Präsident der SNB keiner strafrechtlichen Verfehlung und auch sonst keines Verstosses schuldig gemacht habe, aber dennoch zu Recht habe zurücktreten müssen.
Köppel muss zurücktreten
Genauso interessant ist, dass die hier schon vor einiger Zeit begründet vorgetragene Forderung, dass der für dieses Schlamassel verantwortliche Chefredaktor sein Amt zur Verfügung stellen muss, nur als übertriebene und eher humoristisch zu betrachtende Randnotiz in den Medien aufgenommen wurde. Liebe Kollegen von der schreibenden Zunft, ist euch eure eigene Reputation wirklich so wenig wert?