Für die Messung der Fernsehnutzung war es ein Quantensprung, als in der Schweiz 1985 Telecontrol erfunden wurde, ein elektronisches Kästchen zur Erhebung der TV-Nutzung, das in ausgewählten Fernsehhaushalten an die vorhandenen Fernsehapparate und Videorecorder angeschlossen wurde. Über Stichprobenmessungen an rund 2000 Nutzern konnte so die Quote der Nutzer bestimmt werden – von da an ein Must für den Verkauf von Werbeminuten und für die Bestimmung der Popularität des Fernsehangebots. Leergefegte Strassen waren nicht mehr das einzige Anzeichen für hohe Zuschauerquoten; man konnte jetzt auf Prozente genau bei den angeschlossenen Haushalten messen, wer den Kanal eingeschaltet hatte und wer nicht. Kein Wunder, dass Telecontrol über die Jahre ein Exportschlager war, der in vielen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Österreich zur Anwendung kam.
Von Telecontrol zu Kantar
Seit das Internet entstand, ist das alte Messinstrument stumpf geworden. Denn es erfasst zeitversetztes Fernsehen und Fernsehen am Computer oder Handy nicht. Um aktuellere Daten zu erhalten, wird deshalb das vom einstigen SRG-Forschungsleiter Matthias Steinmann entwickelte Messsystem Telecontrol ab 2013 abgeschafft und durch ein neues ersetzt. Die Mediapulse Gruppe hat den Auftrag für die Radio- und TV-Forschung neu an Kantar Medien vergeben, einen der weltweiten Marktführer im Media Monitoring. Die Firma baut dafür eigens Kantar Switzerland auf, um das neue Konzept zu realisieren. Im Panel von Kantar soll nun auch die Fernsehnutzung über PC oder Laptop gemessen werden. Zudem sollen alle Haushalte, die im Adressverzeichnis der Post erfasst sind, zur Basis der Untersuchung gehören – auch jene 18 Prozent der Haushalte, die über keinen Telefonanschluss verfügen.
Im Trend: interaktives Fernsehen
Doch auch das neue Messsystem kommt der technischen Entwicklung kaum nach. Gerade bei den Jungen hat sich das Fernsehverhalten in den letzten Jahren total verändert: Wenn Papa wie früher um 19.30 Uhr Tagesschau schaut, sind seine Kids längst ins eigene Zimmer verschwunden und auf Online-Kanälen wie Wilmaa oder Zattoo oder auf YouTube unterwegs. Fernsehen schaut man zudem auch auf Smartphones und Tablets. Viele Jugendliche interessiert es ohnehin nicht mehr, woher die Filme und Clips stammen, die sie im Netz schauen. Es ist wie in der Geschichte vom Igel und dem Hasen. Immer wenn man glaubt, dass der technische Stand eingeholt ist, hat sich die Technik schon wieder einen grossen Schritt weiter bewegt.
Auch die Fernsehsender selbst haben Mühe mit diesen rasanten Veränderungen. So hat das Schweizer Radio und Fernsehen SRF mit einem neuen und umfassenden Webportal im Internet reagiert. Doch reicht es für die Zukunft aus, wenn dort Sendungen heruntergeladen und rund um die Uhr angeschaut werden können? Wenn das Erwachsenen-Fernsehen und die Boulevardmedien monatelang diskutierten, wer der ideale Gottschalk-Ersatz für «Wetten, dass?» sei, so gehört dies zum Fernsehen des letzten Jahrhunderts. Denn die Mediengewohnheiten der Generation unter 25 Jahren sind längst im Umbruch. Sie sucht sich neue Formate, die wie der seit 2011 aktive Jugendsender Joiz stark interaktiv organisiert sind. Joiz versteht sich als Mitmach-Fernsehen, das im Stil von Social Media billig produziert wird. Der Sender ist auf Interaktivität angelegt und verbindet Fernsehen konsequent mit Chats, Skype und Facebook. Die Macher dazu: «Hier bekommst du interessante Zusatzinfos zum Programm und hast die Möglichkeit, mit anderen zu chatten, an Votings teilzunehmen und, und, und … Interaktives Fernsehen halt!» Cablecom weigerte sich lange, Joiz aufzuschalten, da der Sender weder einen kultureller, noch einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringe. Doch das Bundesgericht hat mit einem Machtwort entschieden, dass Joiz spätestens seit dem 26. Juni 2012 im analogen Kabelnetz und in HD aufzuschalten sei.
Ob der Stein des Anstosses wirklich der zu banale Inhalt war? Es sind vor allem die kulturellen Unterschiede zwischen den Generationen, die im Mittelpunkt stehen. An die Tatsache, dass die Zukunft neuen interaktiven Formen des Fernsehens gehört, tastet sich auch SRF heran. So wirkt deren Jugendsendung «Zambo» wie eine Kopie von Joiz, wenn auch weniger frech und konsequent gemacht. «Zambo» ist als Community angelegt, in der Kinder zwischen 6 und 14 ein Profil und einen eigenen Avatar gestalten können. Auf der Website heisst es: «Das Besondere an zambo.ch ist, dass sich alle Mitglieder aktiv an unserem TV- und Radioprogramm beteiligen und es mitgestalten können, indem sie eigene Videos, Fotos, Audios oder Texte an unserer interaktiven Pinnwand veröffentlichen.»
Traditionelle Fernsehwerbung ist von gestern
Grundsätzlich ist daran zu zweifeln, ob die traditionelle Fernsehwerbung, für welche die Quotenmessung ja bisher so wichtig war, in der Netzlandschaft noch dieselbe Bedeutung wie früher hat. So kann auf dem Internet von Google, Facebook und anderen Anbietern jeder Klick der User verfolgt werden. Mit gesponserten Links erscheint ein Produkt weit oben in der Auflistung einer Suchmaschine. Dazu kommt, dass viele Nutzer Produkte und Vorlieben aktiv mit Freunden tauschen, indem sie z.B. auf Facebook den Like-Knopf drücken. Solche aktive Werbung durch die Nutzer dürfte weit wirkungsvoller sein als Fernsehclips, die passiv zwischen den Sendungen platziert sind.
Das Fazit: Die Krise der Messmethoden für die Mediennutzung ist nur Symptom eines viel radikaleren Umbruchs. Die traditionelle Fernsehwerbung steht infolge Internet und mobiler Kommunikation unter massivem Druck, da Fernsehen und Internet immer mehr zusammenwachsen.