„Seit einem Monat schlafe ich nicht mehr“, sagte Berlusconi letzte Woche. „In der Nacht erwache ich, starre an die Decke und denke an all das, was sie mir angetan haben.“
Angetan hat ihm das italienische Kassationsgericht jetzt dies: Berlusconi, der in viele Prozesse verwickelt ist, wird jetzt zum ersten Mal definitiv und unwiderruflich verurteilt – ein schwerer Schlag für das animal politique namens Silvio Berlusconi.
Doch ins Gefängnis muss er nicht. Wegen seines fortgeschrittenen Alters und einer früheren Amnestie wird die vierjährige Haftstrafe um drei Jahre reduziert. Auch das verbliebene Jahr muss er nicht im Gefängnis absitzen. Er hat nun einen Monat Zeit, um zu entscheiden, welche Strafe er wählen will. Da er über 70 Jahre alt ist, kann er sie unter Hausarrest in seiner Mailänder Villa verbüssen. Oder er entscheidet sich, unter Aufsicht des Sozialdienstes ein Jahr lang Sozialarbeit zu leisten. Fällt er keinen Entscheid, wird er unter Hausarrest gestellt.
Kurz nach der Urteilsverkündung brach auf den Strassen Roms Jubel aus. Auf dem Campo de‘ fiori und auf der Piazza del Popolo knallten Spumante-Flaschen. Vor dem Palazzo Grazioli, wo sich Berlusconi mit seiner Verlobten und seiner Tochter Marina verschanzt hatte, wurden die Richter als Kommunisten bezeichnet.
Noch kein Amtsverbot
Das Gericht hatte auch zu entscheiden, wie lange Berlusconi mit einem Amtsverbot belegt werden soll. Die Vorinstanz in Mailand hätte entschieden, dass Berlusconi fünf Jahre lang kein politisches Amt ausüben darf. Der Generalstaatsanwalt hatte vorgestern nur noch ein dreijähriges Amtsverbot gefordert. Das Kassationsgericht entschied nun, dass die Frage des Amtsverbotes ans Appellationsgericht zurückgewiesen wird. Dieses muss erneut entscheiden.
Es ist anzunehmen, dass der Appellationshof erneut ein mehrjähriges Amtsverbot fordern wird. Gegen diesen Entscheid kann Berlusconi dann erneut beim Kassationsgericht Berufung einlegen. All das bedeutet, dass er sein Amt als Senator nicht sofort verliert.
Comeback im Jahre 2016?
Schon vor der Urteilsverkündung am Donnerstagabend hatte der demnächst 77-jährige Berlusconi angekündigt, er werde so schnell wie möglich eine neue Partei gründen und in wenigen Jahren wieder als Ministerpräsident kandidieren.
Vor der Urteilsverkündung war spekuliert worden, Berlusconi könnte sich einer Strafe entziehen und ins Ausland flüchten – so wie es Ministerpräsident Bettino Craxi getan hatte. Craxi, ein Sozialist mit einem verschwenderischen Lebensstil, hatte Berlusconis Aufstieg entscheidend gefördert. Nach einem Schmiergeldskandal flüchtete er nach Hammamet in Tunesien, wo er im Jahr 2000 starb.
Berlusconis früherer Anwalt Gaetano Pecorella sagte noch letzte Woche: „Ich weiss nicht, ob er nach Hammamet, nach Russland oder sonst wohin geht. Doch er wird nicht hier bleiben“.
Doch dann wäre seine 20-jährige Ära endgültig zu Ende. Berlusconi aber, der ewige Stehauf-Mann, glaubt trotz Verurteilung an ein Comeback. „Craxi war gezwungen ins Exil zu gehen“, sagte er der ihm wohlgesinnten Zeitung „Libero“. „Ich gehe nicht ins Exil“. Auch sein engster Freund, der rechtskräftig verurteilte Mafioso Marcello dell’Utri, ist überzeugt, dass sich Berlusconi der Strafe stellen wird.
Ein Neuanfang ohne Berlusconi
Berlusconi unter Hausarrest – es ist nicht ausgeschlossen, dass ihm dieses Szenario gefallen könnte. Jedenfalls würde er dann endgültig zum Märtyrer und zum Mythos – zumindest bei seinen Anhängern. Er sieht sich wohl schon in den Geschichtsbüchern: Er, der zwanzig Jahre mit Inbrunst für ein besseres Italien kämpfte – und am Schluss: festgesetzt in der eigenen Villa.
Das könnte sich durchaus als Trumpf erweisen. In Italien ist nichts ausgeschlossen. Auch nicht, dass Berlusconi bei späteren Wahlen erneut gewählt wird – trotz krimineller Machenschaften und einer katastrophalen Regierungsbilanz.
Doch eine erneute Kandidatur des dann 80-Jährigen wird auch in seiner eigenen Partei da und dort als Zwängerei empfunden. Jene Kräfte, die der Partei einen Neuanfang ohne Berlusconi verordnen wollen, werden jetzt an Einfluss gewinnen.
“Das Fegefeuer des Hausarrests“
Auch wenn er die Strafe unter Hausarrest verbüssen kann, ist das Urteil ein schwerer Schlag für ihn. Seinen Titel „Cavaliere“ ist er los. Die Richter werden alles entscheiden: mit wem er telefonieren darf, ob er die Medien treffen darf, wann er für kurze Zeit das Haus verlassen darf. Wenn er jemanden treffen will, muss er um Erlaubnis bitten. Nichts wird sein wie früher. Für Berlusconi bedeutet das alles die Hölle. Die linksliberale Zeitung „La Repubblica“ spricht vom „Fegefeuer des Hausarrests“. Auch wenn er versuchen sollte, weiterhin die Fäden zu ziehen, bedeutet das alles, dass sein Einfluss radikal vermindert wird.
Beim jetzigen Prozess ging es um Film- und Fernsehrechte, die das Fernseh-Imperium Mediaset erworben hat. Mediaset war 1978 von Berlusconi gegründet worden. Es umfasst die landesweit sendenden Privatsender Canale 5, Rete 4 und Italia 1.
"Der planende Kopf"
Laut der Anklage kaufte Mediaset nicht direkt Fernseh- und Filmrechte in den USA. Das Berlusconi-Imperium tat es über verschiedene Off-Shore-Firmen, wie Century One oder Universal One – alles Scheinfirmen, die Berlusconi aufgebaut habe. Diese Firmen hätten fiktive Filmrechte gekauft und so den Preis künstlich in die Höhe getrieben. Die Anklage warf Berlusconi vor, auf diese Art seit den 80-er Jahren 280 Millionen Euro Schwarzgelder eingenommen zu haben.
Antonello Mura, der Generalstaatsanwalt, sah es als erwiesen an, dass Berlusconi der „planende Kopf“ in dieser Betrugsaffäre gewesen sei.
Berlusconis Verteidiger Franco Coppi und Niccolò Ghedini plädierten auf Freispruch. Berlusconis Schuld habe nicht bewiesen werden können.
Stürzt jetzt die Koalitionsregierung?
Führt Berlusconis Verurteilung nun zum Sturz der Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta? Vor allem jene Medien, die der Berlusconi-Familie gehören, malen seit Tagen den Teufel an die Wand. „Wenn Berlusconi ins Gefängnis geschickt wird, wird Regierungschef Letta in die Wüste geschickt“, hiess es in Kreisen der Berlusconi-Partei.
Italien wird zurzeit von einer grossen Koalition zwischen dem Links-Bündnis, dem Berlusconi-Lager und Mario Montis Bürgerbewegung Scelta Civica regiert. Ministerpräsident Letta, der dieser Koalition vorsteht, musste von Anfang an tun und lassen, was Berlusconi wollte.
Träte, wie angedroht, die Berlusconi-Partei, der Popolo della Libertà (PdL), aus der Koalition aus, würde die Regierung über keine Mehrheit mehr verfügen.
In zivilisierten Kreisen mutet es seltsam an, dass in einem zivilisierten Land mit Gewaltentrennung ein Teil des Parlaments den Entscheid des höchsten Gerichtes nicht hinnimmt und bewusst eine Regierungskrise auslöst. Der Sprecher des Linksbündnisses im Senat, Luigi Zanda, sagte es so: „Die Justiz kann nicht den Gang der Politik bestimmen und umgekehrt“. In einigen Teilen der Berlusconi-Partei scheint man dies noch nicht begriffen zu haben.
“Ich werde Letta nicht stürzen“
Würde die Berlusconi-Partei aus der Regierung austreten, hätte Regierungschef Letta die Möglichkeit, zusammen mit der Linksaussen-Partei SEL (Sinistra, Ecologia, Libertà) und einigen Abtrünnigen der „5 Sterne-Bewegung“ eine Koalition zu bilden. Ein solches Bündnis stünde wohl auf sehr wackligen Füssen.
Doch will der PdL die Regierung stürzen? Selbst im Berlusconi-Lager gibt es viele, die nicht an einen Bruch der Maggioranza, des jetzigen Regierungsbündnisses, glauben. Offenbar will man jetzt kein Öl ins Feuer giessen. Darauf deutet auch eine Twitter-Botschaft einer PdL-Spitzenpolitikerin hin. Ihr Aufruf zu einer gewaltigen Pro-Berlusconi-Sit-in in Rom wurde von der Parteileitung kurzerhand annulliert. Auch Berlusconi sagte: „Ich werde Letta nicht stürzen, aber seine Partei wird ihn stürzen“.
Da hat er vielleicht nicht Unrecht. Letta, ein Vertreter des Linksbündnisses, hat bisher kaum etwas erreicht. Seine Regierung steht auf schwachen Füssen. Er ist nicht nur eine Geisel Berlusconis, auch in seinem eigenen Lager ist er mehr und mehr umstritten. Dass Mario Montis Bürgerbewegung vor dem Zusammenbruch steht, schwächt Lettas Position weiter.
Der Tony Blair aus Florenz
Im eigenen, linken Haus wird Letta von einem Senkrechtstarter bedroht: dem „Tony Blair aus Florenz“. Der 38-jährige Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi hat seinem Parteikollegen Letta längst den Kampf angesagt. Renzi gehört zwar dem linken Lager an, gilt jedoch als sehr gemässigt und verfügt im Linksbündnis über etliche Unterstützung. Und er spricht auch Berlusconi-Wähler an.
Renzi ist sowohl für Letta als auch für Berlusconi eine Bedrohung. Sollte es bald einmal Neuwahlen geben – woran kaum jemand zweifelt – und sollte Renzi als Spitzenkandidat der Linken oder mit einer eigenen Formation antreten, könnte Italiens Politlandschaft wieder einmal umgekrempelt werden.
Italien hat schon viel erlebt – und überlebt. Vielleicht überlebt das Land auch einmal Berlusconi – irgendwann.