Die gleichnamige Marketing-Maschine sorgt Jahr für Jahr dafür, dass bald jeder zweite Erdenbürger sofort weiss, auf wen der Preissegen fällt. Und dass in ihrer 84. Ausgabe erstmals eine Statuette nach Pakistan gegangen ist. Es war zwar nur in der bescheidenen Kategorie ‚Kurzer Dokumentarfilm‘. Aber dies störte die Pakistaner kaum, ebenso wenig wie der Umstand, dass die Filmerin Sharmeen Obaid-Chinoy inzwischen in den USA wohnt. In den Medien wurde sie als Nationalheldin gefeiert, sodass auch die Politiker sofort hinterher hecheln mussten. Premierminister Gilani wusste zwar noch nicht recht, wie er auf den Zug springen könnte, aber, so sagte er, „sie hat uns als Nation stolz gemacht. Wir werden ihr einen ganz grossen nationalen Preis verleihen“.
Die Frauen mit Schwefelsäure bespritzt
Auch der virtuelle lokale Twitter-Raum soll förmlich geglüht haben. Aus den vielen Kurz-Kommentaren wählte die BBC auch die folgende aus, von einem jungen Pakistaner aus Islamabad namens Amjad Abbasi: „It’s awesome. It’s amazing. But it belittles Pakistan“. Und damit wären wir bei der schlechten Nachricht, die in der guten verpackt liegt. Der vierzigminütige Film ‚Saving Face‘ handelt über die barbarische Praxis pakistanischer Männer, Frauen Schwefelsäure ins Gesicht zu spritzen. 150 Opfer wurden letztes Jahr allein von der ‚Acid Survivors Foundation‘ betreut, doch wie ihre Präsidentin Valerie Khan in der ‚Express Tribune‘ erklärte, ist die Dunkelziffer hoch.
Dies ist dem perversen Umstand zu verdanken, dass die Säure genau das tut, was viele Männer zu dieser Untat provoziert: Sie sorgt dafür, dass die Frauen ihr Gesicht endlich hinter dem Schleier verbergen, oder dass sie sich ganz in die abgeschotteten ‚Pardah‘-Räume ihrer Häuser einschliessen. Die Scham eines entstellten Gesichts und das soziale Stigma, das damit einhergeht, halten viele Opfer davon ab, ihre Angreifer zu benennen und anzuklagen. Es ist ein ‚intimes Verbrechen‘, sagt Sharmeen Obaid im Film.
Das Gesicht zurückgeben
Oft sind es Ehemänner, die die Tat ausführen und das Opfer damit zwingen, ihre Rolle als Sklavin des Hauses noch unsichtbarer als zuvor auszuführen. Im Film tritt eine Frau auf, die noch immer bei ihrem ehelichen Peiniger lebt, „aus Sorge um die Kinder“. Dafür sonnen sich dann manchmal die Täter im stolzen Gefühl, einem religiösen Gebot Nachachtung verschafft zu haben. Vor einem Jahr wurden drei Schwestern zwischen Vierzehn und Zwanzig in der Nähe der Stadt Kalat in Balutschistan, auf dem Weg zu einer Hochzeit, von zwei Motorrädern überholt. Dabei schütteten die Beifahrer den jungen Frauen Säure in die unverschleierten Gesichter. Die vier Täter gehörten zur ‚Baluch Ghairatmand‘, der ‚Ehrenhaften Balutschen-Vereinigung‘, die Frauen zwingen will, den ‚Hijab‘ zu tragen. In diesem Fall flohen die drei Frauen allerdings nicht in die Scham des Schleiers. Sie klagten gegen die vier Täter. Sie waren es, die im Gefängnis verschwanden.
‚Saving Face‘ handelt von Pakistanerinnen, die den Mut hatten, ihr Gesicht zu zeigen. Die Filmerin folgt einem britisch-pakistanischen Arzt, Mohammed Jawad. Er hatte von diesen Schandtaten gehört und beschloss, seine Praxis für Schönheitschirurgie in einem Londoner Nobelviertel periodisch zu schliessen und mit seiner Ausrüstung in die Heimat zu reisen. In städtischen Krankenhäusern, aber auch in kleinen Landpraxen macht er sich daran, das Gesicht von Opfern Hautschicht um Hautschicht wieder herzustellen. Im Film erklärt er, wie zerstörerisch die Säure wirkt. Sie verbrennt nicht nur wie bei einem Brandunfall das Gewebe, sondern richtet sich regelrecht darin ein und frisst sich weiter. Manchmal seien bis zu 25 Operationen nötig, um dem Gesicht wieder einen Anflug seiner früheren Lebendigkeit zurückzugeben. Für Augenlicht und Geruchsnerven sei es meistens zu spät. Die Säure ist leicht zu beschaffen, da sie in der Textilindustrie, einem wichtigen Erwerbszweig in Pakistan, leicht zugänglich ist.
Auch Frauen der Oberschicht sind Zielscheibe
Wie Dr.Jawad gibt auch der Film diesen Frauen wieder ein Gesicht. Er ist ein wahrhaft flammender Aufruf, aber er ist dennoch kein Pamphlet. In ihren Dankesworten bei der Verleihung des Preises widmete ihn Sharmeen den Opfern, aber auch, sagte sie, „allen Frauen in Pakistan, die für einen Wandel kämpfen: Verzweifelt nicht an Eurem Traum!“. Damit meinte sie auch die wenigen mutigen Politikerinnen, die den Kampf gegen die Säure-Täter auf der Gesetzesebene führen. Eine der Heldinnen in ‚Saving Face‘ ist die Abgeordnete Marvi Memon. Die Kamera begleitet sie ins Parlament und filmt den Augenblick, in dem dieses nach jahrelangem Lobbying durch Memon und ihre Kolleginnen Doniya Aziz und Shahnaz Sheikh eine Verschärfung des Gesetzes über die Rechte von Frauen verabschiedet.
Das pakistanische Parlament ist immer noch ein Kammerspiel unter Privilegierten. Viele Abgeordnete sind Vertreter des feudalen Grossgrundbesitzes aus Panjab und Sindh. Die Gesetzesänderung unter dem Titel ‚Acid Control and Acid Prevention Bill‘ wäre wohl kaum gelungen, wenn Säureangriffe nur in den Häusern von Armen oder der Mittelklasse geschähen. Auch Frauen der Oberschicht sind oft Zielscheiben von patriarchalischer Willkür und dem Besitzanspruch ihrer Männer. Im Jahr 2001 schüttete Bilal Khar einen ganzen Behälter Schwefelsäure seiner jungen Frau Fakhra ins Gesicht, vor den Augen der fünfjährigen Tochter. Khar ist der Sohn von Ghulam Mustafa Khar, einem Politiker und ehemaligen Minister (unter Benazir Bhutto!). Khar sen. war selber einmal Gegenstand eines Buches, in dem seine frühere Gattin im Detail die physische Gewalt beschrieb, mit der er sie traktierte (‚My Feudal Lord‘ wurde ein Bestseller, schadete der politischen Karriere Khars jedoch nicht).
Dank Hollywood…
Die Gesetzesverschärfung – sie schreibt bei Säureangriffen 14 Jahre Haft vor – wurde vor zwei Jahren verabschiedet, ist aber in mehreren Provinzen immer noch nicht in Kraft. So konnte es geschehen, dass die Zahl der – bekannten – Säureangriffe im letzten Jahr um 25 Prozent zunahm. Erst vor einem Monat wurden vier Frauen in der Stadt Faisalabad nördlich von Lahore gleichzeitig mit dem Gift überschüttet. Vertreterinnen von Frauenorganisationen sind allerdings überzeugt, dass die weltweite Aufmerksamkeit, die ‚Saving Face‘ dank dem Oscar geweckt hat, und die Euphorie darüber in Pakistan, die Politiker und Polizei zwingen werden, zu handeln. Einmal mehr sind wir damit Zeugen, wie das Medium Film wichtige soziale und politische Änderungen durchsetzen kann, und wie wirksam Hollywood mit seinem oftmals belächelten Starkult dabei den Part des Guten Samariters spielt.