In Deutschland sind für den September Bundestagswahlen angesagt. Die meisten Auguren vermuten, dass danach die bisherige Bundeskanzlerin die neue sein wird – mit welcher Koalition auch immer. Diese Aussicht hat offenbar eine Reihe von Autoren motiviert, das Phänomen Angela Merkel und ihren steilen Aufstieg von der DDR-Pfarrerstochter und promovierten Physikerin zur „mächtigsten Frau Europas“ mit neuen Biografien zu ergründen. Zu den der häufigsten Begriffen, die bei Erörterungen in den Medien über die Person Merkels und ihrer erstaunlichen Karriere verwendet werden, gehören die Worte „Rätsel“ und „Geheimnis“. Dahinter steckt oft die journalistische Ambition, solche Rätsel restlos zu entschlüsseln. Dem Leser soll erklärt werden, was genau die Persönlichkeit der Kanzlerin ausmacht und warum sie die Politik in Deutschland so souverän dominiert. Als absoluter Anspruch ist das natürlich eine Illusion. Kein Mensch kann mit seinem Lebensweg auf ein eindeutiges Muster reduziert werden. Jeder Persönlichkeit haftet immer auch etwas Geheimnisvolles an. Das heisst keineswegs, dass Biografien sinnlos sind. Im Gegenteil - seriöse Biografien können viel zu einem vertieften Verständnis von herausragenden Akteuren der Geschichte, der Literatur oder Politik und ihren zeitbedingten Verhaftungen beitragen. Doch Fertigformeln, die alles auf einen Nenner bringen, gibt es nicht. Auch für Angela Merkel gilt Conrad Ferdinand Meyers Satz aus „Huttens letzte Tage“: „Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch in seinem Widerspruch.“ (Reinhard Meier)