Lässt sich Fussball im philosophischen Sinne als „schön“ bezeichnen? Das ist eine der vielen Fragen, die im aktuellen Heft aufgeworfen werden. Darüber diskutieren der Sportphilosoph Gunter Gebauer und der bekannte Trainer Volker Finke. Beide können aus dem Thema Funken schlagen. Und je nach Interesse und Vorbildung werden die Leser ganz Unterschiedliches finden: Betrachtungen zur Ästhetik Kants, Beschreibungen moderner Spieltaktiken, kulturelle Prägungen oder die soziologische Verortung des Massenphänomens Fussball.
Heidegger und die Grünen
Diese Vielschichtigkeit und Offenheit ist das Markenzeichen des „Philosophie Magazins“. So zeichnet mit scheinbar leichter Hand der deutschamerikanische Romanist, Literaturwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Komparatistik an der Stanford-Universität Hans Ulrich Gumbrecht eine Skizze der Mentalität der Grünen. Seine Frage: „Wie viel Heidegger steckt in den Grünen?“ Die Art, wie Gumbrecht kulturelle Linien zieht, ist ebenso überraschend wie faszinierend.
Und so könnten viele weitere Beiträge dieses Heftes hervorgehoben werden, zum Beispiel die Argumentation des französischen Philosophen Michel Serres, dass das allgegenwärtige Internet eine wunderbare All-Zugänglichkeit des Wissens bedeute, die in positivem Sinne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden könne.
Freiheit
Dazu muss man wissen, dass der 1930 geborene Michel Serres an der Sorbonne ebenso lehrt wie an der Stanford Universität und 1990 in die Académie Française aufgenommen wurde. 2013 wurde ihm von der Universität Köln der Meister Eckhart Preis verliehen. Wenn ein solcher Geistesriese das Internet als die grosse Entlastung unseres Kopfes vom Wissenserwerb preist, dann hat das Gewicht. Aber man muss den Beitrag selbst lesen, um herauszufinden, ob Serres mehr bietet als einen typisch französischen wortreichen „discours“.
Schwerpunkt des Heftes vom Oktober/November 2013 ist das Thema der Freiheit. Jeder halbwegs Informierte weiss: Das ist „das“ Thema der Philosophie, und es gehört gar so viel dazu, um sich daran die Zähne auszubeissen. Wie also lässt es sich „magazingerecht“ aufbereiten? Das Thema des „Dossiers“ lautet: „Wie werde ich (ein bisschen) freier?“ Und der Untertitel verweist auf das Gefühl, dass wir uns „eingeengt“ fühlen. Entsprechend tritt Ariadne von Schirach für die freie Liebe in Paarbeziehungen ein, und Thea Dorn beschäftigt sich im Gespräch mit Byung-Chul Han mit dem Thema der Angst, die die Freiheit abschnürt.
"Falsch gemünzt"
Das ist geschickt, aber wie unterscheidet sich das „Philosophie Magazin“ damit etwa von „Psychologie heute“? Stünde das Dossier für sich allein, würde man philosophischen Tiefgang vermissen. Aber es ist eingebettet in ein Heft, das diesen philosophischen Tiefgang hat. Dazu besteht es auch aus zahlreichen Buchbesprechungen, von denen einzelne besondere Beachtung verdienen.
So beschäftigt sich der Chefredakteur Wolfram Eilenberger mit dem neuesten, hoch gepriesenen Buch von Daniel Kehlmann, „F“. Die Besprechung hat die Überschrift „Falsch gemünzt“, und die Argumentation von Eilenberger ist im Vergleich zum Maistream der Rezensionen frappierend.
Bob Dylan und der liebe Gott
Eine andere Rezension beschäftigt sich mit dem neuesten Buch des Philosophiehistorikers Kurt Flasch, „Warum ich kein Christ bin“. Pierfrancesco Basile stellt darin einen waghalsigen Vergleich an: Bob Dylan habe bereits 1965 in seinem Album „Highway 61 Revisited“ Gott als jenseitigen Tyrann dargestellt. Flasch habe mit seinen 83 Jahren ein ganzes gelehrsames Leben gebraucht, um zum gleichen Ergebnis zu kommen.
Natürlich, auch das beschreibt Pierfrancesco Basile, hat Flasch noch zahllose andere Argumente im Köcher, die vor allem auf die Dogmatik des Kardinals Joseph Ratzinger, dem schon fast vergessenen Papst Benedikt XVI., zielen. Aber die Pointe ist hübsch und zeigt, dass die Redaktion nicht zimperlich ist.
Der Holocaust und das Kreuz Christi
Ein weiteres Highlight diese Heftes ist das Schwerpunktthema „Goethe“, an dem mehrere Autoren mitgewirkt haben. Dazu hat Wolfram Eilenberger ein Gespräch mit Rüdiger Safranski, dessen gerade erschienene Goethe-Biographie verdientermassen zum Bestseller geworden ist, geführt. Aber auch die anderen Beiträge, zum Beispiel zu zentralen Begriffen in Goethes Werk, sind erhellend.
Das Gespräch mit dem Ägyptologen Jan Assman ist eine weitere Perle in diesem Heft. Auch hier zeigt sich wieder, dass Tiefgang und Verständlichkeit sich nicht ausschliessen müssen. Und es gibt Fragen, die nur ein Gelehrter wie Jan Assmann aufzuwerfen vermag: Könnte es sein, dass der Holocaust menschheitsgeschichtlich ein ebenso tiefgreifendes Ereignis ist wie die Kreuzigung Christi? Die Beobachtungen und Argumente, die der Kenner der ägyptischen und antiken Religionen anführt, lassen aufhorchen.
Im November vor zwei Jahren erschien das „Philosophie Magazin“ zum ersten Mal. Aus heutiger Sicht kann dieses Projekt nur als äusserst gelungen bezeichnet werden.
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Philosophie Magazin, Nr. 06, Oktober / November 2013