Zum ersten Mal in seiner langen Karriere hat er einen Vizepräsidenten ernannt, und dieser ist Omar Solaiman, der Kandidat der hohen Offiziere. Das Amt des Vizepräsidenten ist in Ägypten bedeutsam, weil Anwar Sadat Vizepräsident von Nasser war, als dieser 1970 verschied und Sadat daraufhin Präsident wurde. Mubarak war Vizepräsident Sadats, und als dieser 1981 erschossen wurde, wurde er Präsident.
Omar Solaiman ist ein Mann des Geheimdienstes. Er hat Generalsrang und war bis jetzt Chef des Allgemeinen Nachrichten Direktorates (General Intelligence Directorate). Er gehört zur Armee, aber er hat seit vielen Jahren auch an den heissen diplomatischen Fronten gewirkt. Er hielt zu den Israeli und den Amerikanern beständig Kontakt. Auf diese Weise wurde er zu einer Art übergeordnetem Aussenminister, dem nicht die Routinearbeit, sondern die Krisenlösung mit dem Ausland oblag.
Der Vizepräsident als designierter Nachfolger
Omar Solaiman gilt in der Frage der Nachfolge Mubaraks als der Gegenspieler von Gamal Mubarak, dem Sohn des Präsidenten. Man weiss, dass die Armee ihn vorzieht, und den Sohn des Präsidenten, der ein Geschäftsmann ist, kein Offizier, lieber nicht als Nachfolger sähe. Mubarak hatte sich bisher immer geweigert, einen Nachfolger zu ernennen, und dieser Umstand hatte den Gerüchten, er wolle seinem Sohn die Nachfolge zuschanzen, immer neuen Auftrieb gegeben.
Die Konkurrenz zwischen den beiden Nachfolgekandidaten ist im vergangenen September scharf zu Tage getreten, als zuerst Plakate zu Gunsten von Gamal Mubarak in Kairo, anonym, angeschlagen wurden, dann aber, ebenfalls anonym, solche von Omar Solaiman an den Hauswänden erschienen und schliesslich beide verschwanden, während die Zeitungen Befehl erhielten, nicht darüber zu schreiben.
Auch der neu ernannte Ministerpräsident, Ahmed Shafiq, gehört zu den Militärs. Er ist ein pensionierter Oberbefehlshaber der Luftwaffe, und er hat im vorausgehenden Kabinett als Luftfahrtsminister gedient.
Die Armee zwischen Ordnung und Verbrüderung
In Kairo ist die Polizei von den Strassen weitgehend abgezogen worden, und sie wurde durch Militäreinheiten mit Tanks ersetzt. Das gleiche scheint auch für Suez zu gelten, die Stadt, in der die wildesten Ausbrüche der Demonstranten erfolgten und die Polizei am sichtbarsten die Herrschaft verlor. In Suez sind die Behörden Mubaraks aus der Stadt geflohen, und der Hauptsitz der Polizei wurde angezündet und geplündert. Von der Präsenz des Militärs wird auch aus Alexandrien berichtet.
Die Demonstranten verlassen sich darauf, dass die Soldaten nicht auf sie schiessen werden. Sie feiern sie und suchen ihre Gegenwart als einen Sieg der Revolution zu deuten. Der Sender „al-Jazeera“, den jedermann in Kairo beständig verfolgt, erhielt eine Erklärung von einem „hochgestellten Offizier“, der sagte: “Welcher Befehl auch immer an uns ergehen mag, wir werden nie auf die ägyptische Bevölkerung schiessen.“ Und ein arabischer Journalist, der für BBC arbeitet, schreibt aus Suez, er habe mit Offizieren gesprochen, die ihm gesagt hätten, ihr Auftrag sei, öffentliche Gebäude zu schützen, Plünderungen zu verhindern, aber nicht auf die Bevölkerung zu schiessen.
Die Armee erklärte, ab 17 Uhr sei ein Ausgangsverbot ausgerufen und „wer es nicht befolgt, befindet sich in Gefahr“. Doch die Demonstranten kehrten sich nicht daran, sie standen auch nach dem Ausgangsverbot dicht neben den Tanks der Armee, machten V-Zeichen und forderten weiterhin die Demission Mubaraks. Die Besatzungen der Tanks schauten ihnen dabei zu.
Aufstände in den Gefängnissen
Es gab einige neuralgische Punkte, die weiterhin von der Polizei mit Tränengas verteidigt werden mussten, die Nationalbank und das Innenministerium zum Beispiel. Dort wollten die Demonstranten eindringen. Aus den Gefängnissen wird gemeldet, es habe dort Aufstände der Gefangenen gegeben, welche die Polizei nur teilweise niederzuschlagen vermocht habe. Unter den Ägyptern gehen Gerüchte um, die Plünderer und Brandstifter, die am Freitag Nacht in Aktion getreten waren, seien keine Demonstranten gewesen, sondern Provokateure aus den Geheimdiensten. Es heisst, sie wollten Unruhe erzeugen, um die Unhaltbarkeit der Lage zu demonstrieren und noch brutaleres Eingreifen zu rechtfertigen.
Ägyptische Bürger haben am Freitag einen Kordon um das ägyptische Museum gebildet, um zu verhindern, dass Plünderer dort eindrangen, nachdem gemeldet worden war, zwei Mumien seien von Räubern beschädigt worden. Das Museum liegt am Tahrir Platz, einem Zentrum der Demonstrationen, nahe bei dem in Brand gesteckten Hauptsitz der Partei Mubaraks. Es ist wahrscheinlich, dass sowohl Plünderer wie auch Geheimdienstleute am Werk waren. In Suez und in Alexandria sind Bürgerwehren zusammengetreten, um die Geschäfte ihrer Quartiere vor Plünderungen zu bewahren. Die Polizei scheint dies nicht zu tun.
Die Armee in Schiedsrichterposition
Aus all diesen Entwicklungen kann man ablesen: Mubarak versucht, zunächst an der Macht zu bleiben, indem er sich der Armee unterordnet und ihr Prestige bei der Bevölkerung dazu zu benützen möchte, die Lage auf den Strassen zu beruhigen. Doch die Demonstranten fordern weiter die Demission des Staatschefs, nichts anderes. Die Armee steht so in einer Zerreissprobe: einerseits erwartet die Regierung von ihr, dass sie die Strasse beruhigt, anderseits aber sucht sie zu vermeiden, dass sie das Feuer auf die Demonstranten eröffnen muss. In ihrer grossen Mehrzahl verhalten sich die Demonstranten so, dass sie der Armee keine Gründe dafür liefern, auf sie zu schiessen. Sie handeln aus dem Gefühl heraus, dass die Armee allmählich zu der Erkenntnis gelangen wird, dass der Rücktritt Mubaraks die einfachste Lösung sei.