Die ZR (die Vereinigte Rechte), hat die Wahlen mit 37,6 Prozent klar gewonnen. Die ZR, in der neben der national-konservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) noch zwei kleine Rechtsparteien vertreten sind, führte einen geschickten Wahlkampf (vgl. Journal21 vom 21. Oktober). Die moderat agierende Premierministerkandidatin Beata Szydlo konnte das Wählerspektrum zur Mitte erweitern und mit der Betonung sozialer Anliegen punkten. Der starke Mann, Parteichef Jaroslaw Kaczynski, appellierte mit markigen Sprüchen an nationalistische Gefühle und machte Stimmung gegen Flüchtlinge.
Zitterpartie um absolute Mehrheit
Die PiS hat gegenüber den letzten Wahlen 8 Prozent zugelegt. Sie hat damit aber die von Kaczynski geforderte absolute Mehrheit im Sejm nur knapp erreicht. Kaczynski hatte immer wieder betont, die PiS brauche einen absoluten Sieg, denn nur so könne ein wirklicher Wandel und politische Stabilität erreicht werden. Das hat bisher keine Partei nach der Wende erreicht, obwohl die liberal-konservative PO vor vier Jahren mit 39 und die linksorientierte SLD 2001 mit 41 Prozent mehr Stimmen erzielten.
Das Wahlsystem begünstigte die ZR . Sie gewann in 13 von 15 Wojewodschaften. In den ärmeren Provinzen des Osten, bei den älteren und weniger gebildeten WählerInnen, sowie auf dem Lande schnitt sie besonders gut ab.
Die seit acht Jahren regierende Partei PO (Bürgerverständigung) erreichte unter Premierministerin Ewa Kopacz nur 24,0 Prozent. Dies stellte aufgrund der Umfragen und des schwachen Wahlkampfes keine Überraschung dar. Selbst in ihren Hauptbastionen, unter den Akademikern und in den grossen Städten, musste sie massive Verluste hinnehmen.
Absturz trotz verbreiteter Zufriedenheit
Unpopuläre Reformen wie die Erhöhung des Rentenalters und die missglückte Gesundheitsreform, interne Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten, Affären und Skandale sowie der Schock der verlorenen Präsidentschaftswahlen hatten die Unterstützung erodieren lassen. Zudem hatte die PO soziale Probleme wie das Fehlen erschwinglichen Wohnraums und anständiger Arbeitsbedingungen für die Jungen völlig vernachlässigt.
Da halfen auch der relativ gute Zustand der Wirtschaft und die Zufriedenheit einer grossen Mehrheit mit ihrer persönlichen Situation wenig. Im September gaben 51 Prozent an, dass die Familie gut lebe, nur 9 Prozent schlecht. Vor acht Jahren waren es 40 bzw. 15 Prozent. Ihr bisheriges Leben beurteilten 81 Prozent positiv, mehr als in allen andern osteuropäischen EU-Ländern. Entscheidendes Detail: verantwortlich für den Lebenserfolg sind einer grossen Mehrheit zufolge die einzelnen Personen selbst, dann erst kommt das Schicksal und nur eine Minderheit sieht die Regierung und die Politik als wichtigen Faktor an.
Darin kommt eine Eigenheit zum Ausdruck, die sich aufgrund der turbulenten polnischen Geschichte mit langer Fremdherrschaft und hohen Kriegsverlusten herausgebildet hat. Die Polen mussten sich auf sich selber verlassen bzw. auf Familie und persönliche Beziehungsnetze. Mit dem Staat und seinen Institutionen hingegen identifizierte man sich wenig, sehr wohl jedoch mit der polnischen (katholisch geprägten) Kultur und der Nation.
Die Hälfte hat nicht gewählt
Parteien und Politiker sind in Polen denn auch besonders unbeliebt. Sie gelten vor allem als Vertreter ihrer eigenen Interessen. In einer Umfrage hat eine grosse Mehrheit von 72 Prozent der Meinung zugestimmt, das politische System brauche viele Änderungen. Gleichzeitig aber wird der Einfluss, den gewöhnliche Leute auf die landesweiten Entscheidungen ausüben könnten, von drei Viertel der Befragten als nicht existent betrachtet.
So überrascht es nicht, dass die Nichtwähler auch diese Mal die grösste „Gruppierung“ stellten. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten ging nicht an die Urne.
Aber immerhin kam etwas Bewegung in die stark polarisierte Parteienlandschaft. Von den acht landesweit angetreten Parteien waren drei Gruppierungen Neugründungen mit jüngeren Leadern und Anhängern.
Die radikal-liberale Partei Nowoczesna (die Moderne) von Roman Petru, erreichte 7,6 Prozent, vor allem auf Kosten der PO, und schaffte damit auf Anhieb den Einzug ins Parlament. Die radikale national-populistische „ Protestbewegung Kukiz ’15 erzielte 8,8 Prozent, unter jungen Wählern gegen 20 Prozent. Und dies trotz eines schwachen Wahlkampfes und dem verblassenden Charisma ihres Leaders, des Rocksängers Pawel Kukiz, der in den Präsidentschaftswahlen noch 20 Prozent erzielt hatte.
Selbst die linke Partei Razem (Zusammen), die in Programm und Auftreten an die spanische Podemos erinnert, erreichte 3,6 Prozent, obwohl sie in den Medien weitgehend ignoriert wurde. Sie punktete vor allem in den grossen Städten und unter den Jungen.
Linke nicht mehr im Parlament
Eine herbe Niederlage erlitt die ZL (die Vereinigte Linke), eine Koalition von vier linken oder linksliberalen Parteien. Sie erzielte nur einen Wähleranteil von 7,6 Prozent, und schaffte es damit nicht, die für Koalitionen geltende Hürde von 8 Prozent zu überwinden. Vor vier Jahren hatten die Parteien der ZL noch 18 Prozent geholt. Sie schlossen sich zu spät zusammen, traten zu wenig einheitlich auf und wählten erst in den letzten Wochen eine junge Leaderin.
Mit einem blauen Auge davongekommen ist die PSL (die polnische Volkspartei), der bisherige Koalitionspartner der PO und vieler vorangegangener Regierungen. Sie übersprang die Eintrittshürde mit 5,1 Prozent nur noch knapp. Sie musste vor allem in ihrer Bastion, auf dem Land, grosse Verluste hinnehmen.
Knapp unter der Eintrittshürde blieb die radikale rechtsnationalistisch-liberale Partei Korwin des Altpolitikers und Exzentrikers Korwin-Mikke. Sie erzielte 4,8 Prozent. Sie war vor allem wie Kukiz ’15 unter den Jungen erfolgreich, was die hohe politische Entfremdung in dieser Altersschicht unterstreicht. Sie verfünffachte ihren Wähleranteil gegenüber den Wahlen von 2011.
Insgesamt ergibt sich also ein klarer Rechtsrutsch gegenüber den letzten Wahlen. Rechte Parteien holten eine deutliche Mehrheit, die liberale bzw liberal-konservative Mitte wurde massiv geschwächt, die Linke zum ersten Mal seit der Wende aus dem Parlament verbannt. Das wird weitreichende Folgen haben.
Szydlo am Gängelband Kaczynskis?
Die PiS wird schnell eine Regierung bilden. Die meisten Ministerposten sollen schon vor den Wahlen unter der Führung von Kaczynski verteilt worden sein. Beata Szydlo wird es als Ministerpräsidentin nicht leicht haben, nicht nur wegen ihrer mangelnden Erfahrung – sie verfügt einzig über Exekutiverfahrung als Präsidentin einer Provinzstadt. Hinter ihr oder eher über ihr wird Jaroslaw Kaczynski als „naczelnik“, als der eigentliche Chef stehen. Sie und ihre Minister müssen nun daran gehen, die zahlreichen, teilweise kostspieligen Versprechungen umsetzen.
In der Fernsehdebatte mit Kopacz hatte Szydlo grosspurig eine Mappe präsentiert, in der schon die Gesetzesvorschläge für die Umsetzung der Wahlversprechen enthalten seien. Es ist allerdings anzunehmen, dass die PiS vorsichtiger vorgehen wird als bei ihrer letzten Regierungsübernahme vor zehn Jahren. Damals verlor sie durch radikale Massnahmen schnell an Popularität.
Symbolpolitik und national-katholische Restauration
Einige werbewirksame soziale Massnahmen wird sie schnell einführen, wie etwa die Auszahlung von Kinderzulagen, andere wie die Rücknahme der von der PO eingeführten Erhöhung des Rentenalters abschwächen oder auf die lange Bank schieben. In weltanschaulich-ideologischen Bereich wird sie wohl anfangs mehr auf einer symbolischen Ebene agieren, beispielsweise mit Einsetzung von Untersuchungskommissionen, mehr Massenveranstaltungen, verstärkter Präsenz der Kirche. In der Flüchtlingsfrage wird ein unnachgiebiger Kurs eingeschlagen. Gegenüber Brüssel wird die neue Regierung demonstrativ Unabhängigkeit markieren.
Ein Verbot der In-Vitro-Befruchtung oder eine Verschärfung der ohnehin schon äusserst strengen Abtreibungsgesetze stehen an, um der eigenen Basis entgegenzukommen
Sicher wird es in den staatlichen Institutionen, insbesondere in den Medien und den staatlich kontrollierte Firmen, zu grossen Personalrochaden kommen. Kaczynski strebt eine vermehrte Kontrolle und eine Stärkung des Staateinflusses generell an. Letztlich wollen er und seine Gefolgschaft eine neue Verfassung, die auf der national-katholischen Tradition aufbaut und in Richtung eines mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Präsidialsystems geht. Ein erster Entwurf wurde schon vor einigen Jahren veröffentlicht. Budapest lässt grüssen.
Allerdings wird das in Polen alles andere als einfach, denn einem solchen Programm steht nicht zuletzt die erwähnte Staatsskepsis entgegen. Auch die Enttäuschung über nicht umgesetzte Wahlversprechen wird die Position der PiS schwächen. Man darf schon auf die nächsten Wahlen gespannt sein.