Produzenten und Verleiher beherrschen es ausgezeichnet, mit Superlativen um die Publikumsgunst für einen neuen Film zu kämpfen. Als Restrisiko bleiben die Kritiker, die zu früh, zu spät, zu kurz oder zu negativ über eine Premiere berichten. Mit ihrer Unabhängigkeit können sie das Werbekonzept stören. Dagegen lässt sich die Branche immer wieder etwas einfallen. Ein aktuelles Beispiel ist bemerkenswert.
Komfort mit Aufpreis
Es geht um einen Spielfilm mit zeitgeschichtlicher Thematik, der an den Solothurner Filmtagen die Uraufführung erlebt und Ende Januar in den Kinos der deutschsprachigen Schweiz startet. Der Verleiher räumt den Medien «die Möglichkeit für umfangreichere Berichterstattungen» ein, indem er die Pressevisionierung bereits auf den 22. November ansetzt.
Das Komfortangebot ist allerdings an die Bedingung geknüpft, «keine Filmkritik oder weitere Informationen aus dem Film vor dem 06.01.14 zu publizieren oder zu veröffentlichen». Brauchbare Klarheit in dieser Sperrklausel besitzt einzig der Begriff «Filmkritik», während «Informationen aus dem Film» so sehr der Auslegung bedarf wie der Unterschied zwischen «publizieren» und «veröffentlichen». Das sind, wie noch zu zeigen sein wird, keine amüsierenden Spitzfindigkeiten, sondern über Wohl und Wehe der Medien entscheidende Fragen.
Dass im Einladungsschreiben mal vom Dreikönigstag des kommenden und mal des ausklingenden Jahres die Rede ist, kann hingegen aus dem Sachzusammenhang eindeutig als Tippfehler bezeichnet werden. Als «Embargo» gilt der 6. Januar nächsthin.
Ereignishöhe und Falltiefe
Wenn ein Verleiher die öffentliche Diskussion über einen Film erst ab einem bestimmten Datum als richtig erachtet, kann er die Pressevorführung entsprechend terminieren. Unsinnig ist eine Sperrfrist. Sie schraubt den Film auf eine künstliche Ereignishöhe, die er naturgemäss nicht beanspruchen kann und in der Regel eventualvorsätzlich seine Falltiefe definiert.
Ein befristetes Publikationsverbot wirkt sich zudem als Schikane aus, weil es die schon aus praktischen Gründen erforderliche Handlungsfreiheit der Medien einschränkt und etwa Tageszeitungen gegenüber Periodika willkürlich bevorzugt.
Auch der Filmbranche sollte professionell daran gelegen sein, die Medienarbeit zu erleichtern und nicht mit wichtigtuerischen Massnahmen aus der finsteren Zeit der Intransparenz zu erschweren. Aber es kommt noch schlimmer.
Wolf auf Abwegen
Wer an der Pressevisionierung teilnimmt, muss sich «vor Ort» unterschriftlich zur Einhaltung der Sperrfrist verpflichten, deren Verletzung «den Strafverfolgungsbehörden gemeldet» wird und «straf- und zivilrechtliche Folgen» haben kann. Im Schafspelz einer freundlichen Einladung droht der böse Wolf mit der Polizei und der Justiz.
Das ist deshalb besonders abwegig, wenn nicht zynisch, weil die Hauptperson des besagten Films Berühmtheit erlangte als bedauernswertes und viel zu spät rehabilitiertes Opfer unseliger Strafverfolgung.
Unberührt davon, ob die Sperrklausel juristisch wasserdicht formuliert wurde oder doch vielleicht Schlupflöcher öffnet, die nicht im Gefängnis enden, walte hier die Vorsicht. Sie gebietet, weder den Filmtitel noch den Namen des Verleihers und andere möglicherweise als «Informationen aus dem Film» qualifizierbare Fakten zu erwähnen.
Gegensteuer
Gestattet möge jedoch sein, die sanktionsbewehrte Sperrklausel als Drohkulisse zu bezeichnen, dreist aufgebaut von einem Verleiher, «um die Kommunikation steuern zu können».
Dafür bedanken wir uns ganz und gar einsichtslos und bitten höflich um Gegensteuer von jenem koproduzierenden Medienunternehmen, das mit unseren Gebühren arbeitet, und von jenen Institutionen, die den Film mit Steuergeldern förderten. Die Solothurner Filmtage signalisierten bereits Distanz.