Wie vieles im Lande ist auch der Journalismus in Amerika ein Sport. Nirgendwo sonst werden so viele Preise vergeben, von der Auszeichnung für die beste High School-Zeitung bis hin zu den Pulitzers für die grossen Blätter. Allein der Sieg zählt, zweite Plätze gibt es nicht. Entweder hat die Redaktion ihren Primeur oder sie hat keinen. Verständlich, dass da in der Branche auch Neid im Spiel ist angesichts der Tatsache, dass sich journalistische Qualität nicht zweifelsfrei messen lässt. Und dass es viele fragile Egos gibt in einem Metier, dem es sonst an Selbstbewusstsein nicht mangelt.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die amerikanische Presse nicht eben frohlockt hat, als der britische «Guardian» als erste Zeitung und am umfänglichsten über Edward Snowdens Enthüllungen bezüglich der NSA und des GCHQ berichtete. Anfänglich war noch die «Washington Post» mit im Boot, die es aber bei einem einzigen Artikel aus erster Hand bewenden liess.
Anders als einige ihrer unabhängigen Kolumnisten stuften grössere Blätter Snowdens Enthüllungen als Gefahr für die nationale Sicherheit ein und übernahmen so weit gehend die Argumente, die Regierungsmitglieder und Kongresspolitiker vorgegeben hatten. Die «New York Post» etwa titelte wie folgt: «Schurkengalerie: Snowden gehört in die lange Liste jener berüchtigten, feigen Verräter, die nach Russland fliehen.»
Merkwürdiges Desinteresse und Kollegenschelte
Während sich Zeitungen und Fernsehstationen in den USA ihrer «scoops» sonst lauthals brüsten, blieben sie im Fall des «Guardian» merkwürdig stumm – ein Fall wohl von Primeur-Neid. Nicht nur war von ihnen kein Lob über die Kollegen und deren international Aufsehen erregende Berichte über fragwürdige Geheimdienstaktivitäten zu hören. Die Medien straften auch die landläufige Meinung Lügen, wonach eine Journalistenkrähe der andern kein Auge aushackt, und begannen zu mutmassen, ob sich der «Guardian» mit seinem Vorgehen allenfalls nicht strafbar gemacht habe. Die «Washington Post» blieb unbehelligt.
Ziel der Kollegenschelte war in erster Linie Kolumnist Glenn Greenwald, der seit einem Jahr für den «Guardian» über «Sicherheit und Freiheit» bloggt. Greenwald, Jurist und Autor mehrerer Bücher über Bürgerechte, gehört gemäss dem renommierten Monatsmagazin «The Atlantic» zu den 25 einflussreichsten politischen Kommentatoren Amerikas und laut «Newsweek» zu den zehn profiliertesten Online-Journalisten der Nation. Er war vom Web-Magazin «Salon» zum «Guardian» gestossen, also nie Mitglied des elitären Washingtoner Pressekorps gewesen.
In der sonntäglichen Sendung «Meet the Press» auf NBC fragte Moderator David Gregory Glenn Greenwald ungeschminkt, ob er sich nicht eines Verbrechens schuldig gemacht habe, da er Edward Snowden zu dessen Enthüllungen Beihilfe geleistet habe. Worauf der Beschuldigte antwortete, er finde es ziemlich aussergewöhnlich, dass jemand, der sich Journalist schimpfe, öffentlich darüber spekuliere, ob ein Kollege anzuklagen sei.
Medien voll auf Regierungslinie
Derweil forderte «New York Times»-Mitarbeiter Andrew Ross Sorkin in der Sendung «Squawk Box» auf CNBC, Edward Snowden, der angeblich nach Ecuador fliegen wolle, gehöre angesichts der Spionagevorwürfe der US-Regierung und des Hasses von China und Russland auf Amerika verhaftet. Und eigentlich, so Sorkin, gehörte auch Glenn Greenwald «beinahe» verhaftet, jener Journalist, der dem Informanten helfen wolle, nach Ecuador zu gelangen – eine Einschätzung, für die sich Sorkin, immerhin, in der Folge öffentlich entschuldigte.
Den Grund für die persönlichen Attacken von Kollegen ortet Glenn Greenwald, der in Brasilien lebt, im Umstand, dass er sich als Journalist bewusst als Aussenseiter sieht und nie Mitglied des Washingtoner Presse-Establishments werden wollte. Das würden ihm, meint er, die Kollegen nicht verzeihen: «Sie mögen mich nicht für etwas, wofür ich sie seit langem am stärksten kritisiere: Sie sind häufiger Diener der politisch Mächtigen als deren Überwacher.» Ihre Wut gelte nicht der Korruption in Washington DC (die sie nicht weiter störe), sondern jenen, die diese Korruption aufdeckten –insbesondere dann, wenn jene, die für Transparenz sorgten, ihren inzestuösen Medienzirkeln nicht angehörten, ja sie verachteten.
«Sie sind Höflinge», liess Greenwald den Medienblogger der «Washington Post» wissen, «und sie tun, was Höflinge stets gemacht haben: Sie verteidigen den Hof des Königs und attackieren jeden, der sie herausfordert oder mit ihnen nicht einig geht. So stützen sie ihren Status und behalten ihren Zugang.»
Unterstützung für Enthüllungsjournalismus
Seinerseits wirft Erik Wemple, der Blogger der «Post», David Gregory von NBC Naivität vor. Zum einen, so zitiert er einen Juristen, habe sich Greenwald keines Deliktes schuldig gemacht, falls er legal an Snowdens Informationen herangekommen sei – Angaben, die «zweifellos wahr und von öffentlichem Interesse» seien. Zum andern fragt Wemple, wie in aller Welt Greenwald Snowdene hätte helfen können, die Unterlagen der NSA zu beschaffen. Der Mitarbeiter des «Guardian» sei zwar ein erfahrener Jurist, gut auf Twitter und auch mit dem Netz vertraut. Wer aber andeute, er hätte einen erfahrenen Geheimdienstler und Computer-Spezialisten bei der Datenbeschaffung begünstigen können, räume ihm zu viel Kredit ein.
Auch der Brite Andrew Sullivan, der sich in den USA als erster Blogger verselbständigt hat, gibt Glenn Greenwald Schützenhilfe. David Gregory, der den «Guardian»-Mitarbeiter auf dem Sender nicht als «Journalisten», sondern als «Polemiker» bezeichnete, habe offenbar noch nicht gemerkt, dass Polemiker die Mächtigen irritierten, nicht aber Journalisten, die brav darauf warteten, bis ihnen Informationshäppchen zugeworfen würden, die vor allem den Informanten nützten.
Kumpanei zwischen Medien und Mächtigen
Ausserdem, so Sullivan, könne er sich nicht daran erinnern, dass David Gregory je einem wirklich Mächtigen eine ähnlich unverblümte Frage gestellt habe, zum Beispiel Dick Cheney und dessen Leuten, ob sie als Folge dokumentierter Kriegsverbrechen aufgrund der Genfer Konventionen nicht ins Gefängnis gehörten. Der Vizepräsident hatte seinerzeit persönlich dafür gesorgt, dass den amerikanischen Medien Geheiminformationen zugespielt wurden, als es darum ging, den Krieg im Irak zu rechtfertigen.
Auf jeden Fall dürfte die unheilige Allianz zwischen Regierung und Medien im Fall Snowden jene Journalisten lähmen, die sich in Amerika investigativ mit Fragen der nationalen Sicherheit beschäftigen und dabei auf vertrauliche Quellen angewiesen sind. Nicht nur müssen Informanten befürchten, künftig häufiger wegen Geheimnisverrats angeklagt zu werden. Auch investigative Reporter dürften ihre heikle Arbeit zunehmend juristisch erschwert sehen.
Zunehmende Verfolgung von Wistleblowern
Jane Mayer, Autorin des «New Yorker», berichtet, eine ihrer Quellen sei ins Visier der Bundespolizei (FBI) geraten, nachdem sie mit ihr gesprochen habe. Eine zweite Quelle befürchte, ihr würde es ähnlich ergehen: «Leute, mit denen Reporter sprechen können müssen, befinden sich plötzlich in juristischer Quarantäne, und es gibt keine Gelegenheit mehr, eine Geschichte zu verifizieren.» Der investigative Journalismus, folgert Mayer, sei aufgrund eines Klimas der Einschüchterung praktisch zum «Stillstand» gekommen.
Bevor Barack Obama 2008 an die Macht kam, hatte es in den USA insgesamt drei Anklagen gegen Informanten («whistleblowers») wegen Verletzung des Spionage-Gesetzes gegeben, das Washington 1917, während des 1. Weltkriegs, erlassen hat. Seit dem Amtsantritt des Präsidenten jedoch sind allein sieben solcher Verfahren eingeleitet worden, mehr als doppelt so viele wie unter allen anderen Präsidenten zuvor. Dass das Weisse Haus genau jene Aktivitäten verfolge, gegen die es jetzt ermittle, sei stossend, sagt Politologin Kori Schake von der konservativen Hoover Institution. Sie erinnert an die gezielten Enthüllungen der Regierung Obama nach der Ermordung Osama bin Ladens.
«Präsident Obama», hat James C. Goodale, ein früherer Hausjurist der «New York Times», geschrieben, «will das Berichten über Fragen der nationalen Sicherheit kriminalisieren. Das wird Reporter davon abhalten, nach Informationen zu suchen, die möglicherweise vertraulich sind. Lecks wird es keine mehr geben und auch keinen freien Informationsfluss mehr in Richtung Öffentlichkeit.» Barack Obama, prognostiziert Goodale, werde Präsident Richard Nixon punkto nationaler Sicherheit und Pressefreiheit mit Sicherheit als schlechtesten Präsidenten übertreffen, den es je gegeben hat.»
Dabei hatte Amerikas 44. Präsident («Yes We Can») im Wahlkampf wiederholt versprochen, im Weissen Haus für neue Transparenz zu sorgen sowie «noble» und «patriotische» Informanten zu schützen. Schnee von gestern. Und übrigens: Der Inhalt der Anklageschrift des Weissen Hauses gegen Edward J. Snowden ist geheim.
Quellen: «The New York Times»; «The Washington Post»; »The Guardian”; «The New Yorker»; »The New Republic”; »slate.com”, »pressthink.org”; »techdirt.com”; Wikipedia