Erinnerungen an ein Seminar in Genf
So ging es mir als Student in seinem Seminar an der Universität Genf zum Thema “Le vin dans l’Islam”, in welchem Meddeb ebenso die Weingedichte des Abu Nuwas als auch die Nuancen des koranischen Alkoholverbots anhand des Koran-Kommentars von Fakhr al-Din Al-Razi vorstellte. Meddeb beherrschte Poesie und Religion, er spannte Bögen zu Dante, zu Goethe, und zurück zur islamischen Theologie. Seine Argumente waren immer eloquent und präzise. Man klammerte sich an seine Worte um nicht den Faden zu verlieren und vergass dabei, Notizen zu schreiben.
Neben seinen vielen Schriften, Artikeln und Büchern, darunter sein berühmtestes Werk „La maladie de l’Islam“ (2002), leitete Abdelwahab Meddeb seit 17 Jahren beim Radiosender France Culture die wöchentliche Sendung „Cultures d’Islam“. Kultur verstand er immer im Plural, und mit Islam meinte der 1946 in Tunis geborene und seit Mitte der sechziger Jahre in Paris lebende Meddeb die vielschichtige Zivilisation, den Kulturraum in seiner ganzen Vielfalt, und nie nur eine Religion unter anderen.
Kein abgehobener Schöngeist
Wer seine Sendung hörte, dem wurde über die Jahre eine Vielfalt an Themen präsentiert, die in absichtlichem Gegensatz zur beschränkten Bandbreite der Nachrichten aus dem arabisch-islamischen Raum stand. Meddeb kontextualisierte, hinterfragte und bereicherte jede Woche die Studien zu Geschichte, Sprache, Kunst und Soziologie seiner überwiegend akademischen Studiogäste.
Er war jedoch kein abgehobener Schöngeist. Nach dem 11. September 2001 hatte Meddeb dem extremistischen Islam den Kampf angesagt. Die angebliche Rückkehr des Islamismus zum Ursprung entlarvte er als simple Ausgrenzung muslimischer Traditionen, von denen er jede Woche eine weitere präsentierte. Immer wieder konfrontierte Meddeb das islamistische Gedankengut auch direkt in Sendungen zur Rhetorik der Al-Kaida, zum Umgang der islamistischen Propaganda mit Bildern, oder zum Konkordismus - einer Strömung die meint, im Koran die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft zu finden.
Hüter des religiösen und historischen Gedächtnisses
In den letzten Monaten befasste sich Meddeb wiederholt mit dem in Syrien und Irak agierenden Islamischen Staat (ISIS). Unter dem Titel „Der Hass der Kulturen“ thematisierte er Ende Oktober die allen islamistischen Strömungen eigene „Verachtung des religiösen, historischen und archäologischen Gedächtnisses“. Auf die Zerstörungswut der ISIS in Mosul antwortete Meddeb, indem er einzeln die ruinierten Kirchen, Mausoleen und Moscheen, ihre Bedeutung und Baujahre aufzählte. Es sollte einer seiner letzten Schlachten an der kulturellen Front gegen den Islamismus sein.
Abdelwahab Meddeb starb nach kurzer Krankheit in Paris in der Nacht auf den 6. November.