In dieser ohnehin schon maroden Presselandschaft droht jetzt auch noch die Gefahr, dass die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung, „Le Parisien“, von dem Mann aufgekauft wird, dem bereits „Le Figaro" gehört: dem Rüstungsindustriellen Serge Dassault.
Väterchen Dassault ist 85 und der Sohn von Marcel Dassault, dem Gründer der Dynastie der französischen Flugzeugbauer, die zum einen die „Falcones“, die luxuriösen Privatjets für Reiche und Superreiche im Programm haben, zum anderen Kampfjets. Das war früher die „ Mirage“, zur Zeit ist es das Modell „ Rafale“, welches die Besonderheit aufweist, dass es sich offensichtlich nur in Frankreich und sonst nirgendwo in der Welt verkaufen lässt. Deswegen sitzen die Dassaults heute noch mehr als früher dem französischen Präsidenten, seinerseits Oberbefehlshaber der Armee, regelrecht auf dem Schoss.
Staatliche Vorschüsse an Stelle von Verkäufen
Und wenn sie ihm nicht auf dem Schoss sitzen, spannen sie ihn hin und wieder mal als Handelsvertreter und Chefverkäufer ein. Diese Posse steht seit Jahren immer wieder auf dem Programm: offizieller Staatsbesuch im Mittleren Osten oder, wie vor einigen Monaten, in Brasilien, die Dassaults mit anderen Grossindustriellen im Schlepptau und am Ende des Staatsbesuchs die vollmundige Ankündigung des französischen Präsidenten: Das Gastland wird so und so viele „Rafale-Kampfflugzeuge“ bestellen, kokoriko, Erfolg für Frankreichs Technologie etc…
Dann gehen Monate und Jahre ins Land und nichts passiert – wie zuletzt im Fall Brasilien. Lula, da war man sich sicher, will 36 Rafale Kampfbomber unbedingt haben. Nun ist Lula weg, und es ist wie immer: Die französische Armee bleibt der einzige Abnehmer. Damit das Unternehmen Dassault über die Runden kommt, schiesst der französische Staat dann schon mal, wie erst kürzlich, 800 Millionen Euro vor - für noch nicht gelieferte Flugzeuge.
Auch im Urlaub keine Ruhe
Angesichts dessen kann Väterchen Dassault Frankreichs Staatspräsidenten natürlich schwer einen Wunsch abschlagen, zumal er Nicolas Sarkozy bis heute noch dankbar sein muss, wie der Mitte der 80-er Jahre als Wirtschaftsanwalt die schwierige Nachfolge des verstorbenen Firmengründers Marcel Dassault geregelt hatte.
Letzten August hatte Nicolas Sarkozy dann tatsächlich einen Wunsch. Anstatt wirklich Urlaub zu machen und endlich mal ein paar Bücher zu lesen, dachte er wieder einmal über Frankreichs Medien nach und ganz besonders über die Tagespresse. Für Präsident Sarkozy ist die Presse ein Problem, das ihm selbst im Urlaub keine Ruhe lässt. Gewiss, er hat durchgesetzt, dass jetzt, wie zu Zeiten des De Gaullschen Fernsehens, der Staatspräsident wieder direkt die Intendanten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und des Rundfunks ernennen darf. Gewiss, der Eigentümer der grössten europäischen Fernsehanstalt, TF 1, Martin Bouygues, zugleich Europas grösster Baulöwe, ist sein Freund; der Eigentümer der Radiostation „Europe1“ , der Wochenzeitungen „Journal de Dimanche“ und „Paris Match“, Arnaud Lagardère, ist Sarkozys „Bruder“.
So hat er ihn einmal bezeichnet, und Väterchen Dassault wird vom Präsidenten mit Bruderkuss begrüsst. Dassault hat vor Jahren schon „ Le Figaro“ (Auflage 330 000) aufgekauft, ihn auf Vordermann gebracht und diese Tageszeitung - sehr zum Missfallen einer aussenpolitisch und ökonomisch exzellenten Redaktion - in eine Pravda verwandelt, die zu 100% im Dienste von Nicolas Sarkozy steht. Alles was "Le Figaro" zum Beispiel seit drei Monaten zur Bettancourt/ Woerth Affäre geschrieben bzw. verschwiegen hat, ruft auch bei Konservativen ungläubiges Staunen hervor, anderen treibt es die Schamröte ins Gesicht - so hemmungslos hat schon lange kein Presseorgan mehr den Machthabenden die Stiefel geputzt.
Unverfrorene Drohung
Doch das reichte Nicolas Sarkozy immer noch nicht. Pressevielfalt ist für ihn ein Fremdwort, dass die Presse in einem demokratischen Staat die vierte Macht darstellen sollte, schlicht eine Zumutung. In Journalisten sieht er Feinde, beschimpft sie regelmässig und droht ihnen unverfroren. Erst jüngst hat er von einem Journalisten des RTL Radios eine schriftliche Entschuldigung verlangt, weil der es gewagt hatte, sich über Sarkos Air Force No 1 und die angeblich geplante Badewanne im für 180 Millionen Euros aufgerüsteten Präsidenten-Airbus 330 lustig zu machen. Das Schlimme daran ist, dass der Journalist die schriftliche Entschuldigung tatsächlich in den Elyseepalast getragen hat.
Eines hat den Präsidenten während seines Urlaubs im August sicher immer noch mächtig gewurmt: der kläglich gescheiterte Versuch der Einmischung bei der Übernahme des Flaggschiffs „Le Monde“ vor dem Sommer. Die von Sarkozy unverhohlen gepuschte Aktionärsgruppe hatte am Ende das Nachsehen.
Also griff der Präsident im August zu einem seiner zahlreichen Handys , stöberte den 85 jährigen Serge Dassault an dessen Urlaubsort auf und dürfte ihm etwa folgendes gesagt haben: „Mon cher Serge! Wie Sie vielleicht gehört haben, hat die Amaury-Gruppe, Sie wissen schon, diejenige, die Le Tour de France organisiert und auch die Sportzeitung L’Equipe besitzt, die Absicht, die Tageszeitung „Le Parisien“, die ihr auch gehört, zu verkaufen. 500 000 Auflage! Mit knapp 200 Millionen Euro wäre man dabei. Da Sie die Sache mit dem Figaro schon so exzellent gemacht haben, hab ich mir gesagt, warum sollten Sie mit Le Parisien nicht dasselbe zustande bringen .“
Ein guter Freund und Verleger
Ende August hat Serge Dassault seine Berater zusammengetrommelt, seitdem wurde er mehrmals als abendlicher Besucher im Elysee gesehen und ist dabei, ein Kaufangebot für „Le Parisien“ vorzubereiten. Sollte diese Übernahme tatsächlich zustande kommen, hätte man die einzigartige Situation, dass in Frankreich 60% der verkauften überregionalen Tageszeitungen von einem einzigen Mann publiziert werden, der ein enger Freund des Präsidenten ist und ein Rüstungsfabrikant, dessen Konzern ausschliesslich von öffentlichen Aufträgen lebt. Dabei befindet er sich in bester Gesellschaft mit einem anderen Waffenschmied – dem schon zitierten Arnaud Lagardere.
Mit anderen Worten: ein guter Teil der französischen Presse ist im Besitz von Rüstungskonzernen – eine in Europa wohl einzigartige Situation. Frankreich hat 63 Millionen Einwohner , aber gerade mal vier überregionale Tageszeitungen: "Le Parisien" mit 500 000, "Le Monde" mit rund 350 000, "Le Figaro" mit 330 000 und „Liberation“ mit gerade mal 120 000 Exemplaren Auflage. Wenn man gutwillig ist, kann man noch drei weitere dazu zählen: die linkskatholische „La Croix“ mit nicht mal 100 000 Exemplaren, den 1944 vom legendären Pressebaron Pierre Lazareff ins Leben gerufenen „France Soir“, dessen Auflage in den 50er Jahren bei rund einer Million lag, heute bei gerade 35 000, und schliesslich die 1904 von Jean Jaurès gegründete „L’Humanité“, die sich, seit die Kommunistische Partei zu einer Quantité Negligeable geworden ist, mit einer Auflage von 50 000 mehr schlecht als recht über Wasser hält. - Währenddessen werden von dem kostenlosen Blättchen „ 20 minutes“ täglich 800 000 Exemplare verteilt!
Erfolgreiche Wochenzeitungen
Immerhin stehen die Wochenmagazine wie der "Nouvel Observateur", "L’Express" oder "Marianne" deutlich besser da und die satirische Wochenzeitung "Le Canard Enchainé" hat nichts von ihrer Bissigkeit und ihren Fähigkeiten, Investigationsjournalismus zu betreiben, verloren. Und einen echten Lichtblick gibt es schliesslich auch noch: die neuen Medien. Informationsportale wie "Rue89", "Slate fr." und "Mediapart" - allesamt von ehemaligen Tageszeitungsjournalisten ins Leben gerufen, spielen in der französischen Presselandschaft seit einigen Monaten eine immer wichtigere Rolle.
Die Bettancourt-Woerth-Affäre zum Beispiel wurde vom Internet-Portal „Mediapart“ aufgedeckt. Seitdem musste es sich von Präsident Sarkozys Umgebung, darunter immerhin mehrere Minister der Republik, lautstark beschimpfen lassen, es arbeite mit „trotzko-faschistischen Methoden“. Das Ganze erinnere an den Journalismus der 30 er Jahre.
Bei Väterchen Dassault , wenn der erst mal auch noch „Le Parisien“ geschluckt haben wird, würde so was natürlich nie vorkommen ! Er sorgt nur jetzt schon dafür, dass im "Le Figaro" reihenweise Artikel nicht veröffentlicht werden, deren Inhalt potentiellen Kunden seines unverkäuflichen Rafale Kampfflugzeugs missfallen könnte ….