Eric Cantona war schon als Mittelstürmer von Manchester United nicht gerade ein Konformist, sondern eher berühmt und berüchtigt für seinen Jähzorn, seine Eigenwilligkeit und seine, gelinde gesagt, etwas sperrige Persönlichkeit.
Vielleicht war er gerade deswegen dort in den 90-er Jahren zu einer wahren Legende geworden. Manchester jedenfalls liegt „KING ERIC“ auch heute noch zu Füssen. Die Fans haben ihn gar zu Manchesters Fussballer des Jahrhunderts gewählt - noch vor den beiden anderen Legenden des Clubs, George Best und Boby Charlton.
Mannequin, Maler, Trainer, Fotograf
Seine Fussballerkarriere hat Cantona vor 13 Jahren im Alter von nur 31 beendet. Seitdem hat er eine zweite, sehr vielseitige begonnen, die für einen ehemaligen Sportler reichlich ungewöhnlich ist: Er war eine Zeit lang Mannequin für Männermode, dann Schauspieler in mittlerweile über zehn Filmen. Nebenbei war er Trainer der französischen Beach-Soccer-Nationalmannschaft, die er 2005 zur Weltmeisterschaft führte.
Zeitweise hat er sich als Maler versucht und sich in letzter Zeit auch als Fotograf einen gewissen Namen gemacht. Ein Bildband für die Abbé Pierre-Stiftung zum Thema Obdachlosigkeit, für den Cantona wochenlang mit den Ärmsten der Armen gelebt hat, sorgte für einiges Aufsehen.
Der Rebell
Und etwa ein Mal jährlich meldet sich "King Eric" auch zu sozialen und politischen Themen zu Wort, und dann kracht es, wie einst, als er die Bälle ins gegnerische Netz hämmerte.
Anfang des Jahres hatte sich der mittlerweile 44-Jährige wieder einmal auf neues Terrain vorgewagt: auf die Theaterbühne. In einem zeitgenössischen Zwei-Mann-Stück stand der ehemalige Schrecken in den Strafräumen der Gegner, der einige Kilo zugelegt hat und dessen Barthaare ein wenig grau geworden sind, mehrere Wochen lang allabendlich auf den Brettern des berühmten Pariser Marigny–Theaters, wo einst die Stücke eines Albert Camus zur Uraufführung kamen.
Unter der Regie seiner Lebensgefährtin, die früher Schauspielerin an der Comédie Française war, hat er sich noch einmal in Gefahr begeben, eine neue Herausforderung gesucht und, wie er sagte, geprüft, wo der Unterschied ist zwischen 800 Zuschauern im Theater und 80'000 im Fussballstadion.
Der Gang über den roten Teppich bei den Filmfestspielen in Cannes als Darsteller in Ken Loachs Film „Looking for Eric“ im Jahr davor und dann sein Gastspiel auf der Theaterbühne machten Cantona in jüngster Zeit zu einem gern gesehenen Gast bei Talkshows und in Fernsehstudios.
"Vielleicht Revolution machen"
Eine Gelegenheit, die er Anfang des Jahres nutzte, um in die Rolle des Rebellen zu schlüpfen und mit seinem, wie einst auf dem Fussballfeld, tiefdunklen, Angst einflössenden Blick, das politische Klima und die sozialen Ungerechtigkeiten im Land zu geisseln.
"Vielleicht werden wir uns eines Tages alle auflehnen", sagte er mit tiefem Bass. Wir werden "uns eine eigene, marginalisierte Welt schaffen, vielleicht Revolution machen und wie die Verrückten auf den Strassen demonstrieren. Wir werden das tun, wenn es sein muss, wenn das so weitergeht. Jeden Tag sterben Menschen auf offener Strasse, es gibt Diskriminierungen überall, das Denunziantentum wird gefördert, alles wird entmenschlicht und Solidarität existiert so gut wie gar nicht mehr."
Man kann sagen, Cantona pflegt das Image des Rebellen. Und doch nimmt man ihm, trotz seines Millionenvermögens, ab, dass er aufrichtig ist und zu seiner Herkunft steht, wenn er selbstbewusst erzählt, dass sein Vater und Grossvater Kommunisten waren, dass er Enkelsohn von sardischen und spanischen Einwanderern ist.
Seine Grosseltern mütterlicherseits hatten gegen Franco gekämpft, der Grossvater war Mitglied einer revolutionären Gruppe gewesen. Um dem Tod zu entkommen, sagt Cantona, musste er sich eines Tages innerhalb weniger Minuten mit seiner Frau auf die Flucht begeben. Das alles hätten Cantona und seine Brüder erst nach dem Tod der Grosseltern erfahren. „In meiner Erziehung“, sagt der ehemalige Mittelstürmer, "haben mir diese Menschen etwas mit auf den Weg gegeben. Man erbt etwas aus einem solchen Leben."
Kampf den Banken
Vielleicht hat sich Eric Cantona an diesen Satz erinnert, als er vor wenigen Wochen erneut verbal zuschlug. Am Rande von Dreharbeiten für einen Film nahe der westfranzösischen Stadt Nantes, gab er Anfang Oktober der dortigen Lokalzeitung ein Interview, das von einer Videokamera aufgezeichnet wurde und als Video im Internet stand. Zwei Minuten 15 Sekunden ist es lang und zeigt "Canto" mit verschränkten Armen, im Sessel zurückgelehnt, während er seine neueste Weltsicht zum Besten gibt. (Link, siehe unten)
Kilometerweit gehen bei Demonstrationen gegen die Krise, tagelange Proteste gegen die Regierung, das bringe wohl nichts, meint Cantona jetzt. Er habe aber eine bessere Idee. "Die Revolution ist ganz einfach zu machen. Das ganze System ist doch auf der Macht der Banken aufgebaut, also kann es über die Banken zerstört werden.
Wenn, anstatt dass drei Millionen Menschen auf die Strasse gehen, 20 Millionen Leute zur Bank gehen und ihr Geld abheben, brechen die Banken und das System zusammen. Das ist gar nicht kompliziert. Und das wäre eine wirklich neue Drohung und eine echte Revolution", sinniert Cantona im hellroten Pullover, "ohne Waffen und ohne Blutvergiessen und in dem Fall, da würde man ganz anders auf uns hören."
Den Videoclip hat sich die Internetgemeinde jetzt mit mehrwöchiger Verspätung zu eigen gemacht. Sie hat das Interview in mehrere Sprachen übersetzt und untertitelt. Eine Gruppe unter dem Namen "bankrun2010.com" hat, auf Cantonas Interview gestützt, dazu aufgerufen, am 7. Dezember die Bankkonten zu leeren. Auch auf Facebook wurde der Aufruf verbreitet und Tausende haben ihre Teilnahme zugesichert, allein in Frankreich angeblich rund 13 000.
Fussball und Kultur
Ein ehemaliger Fussballstar, der seine zweite Karriere im kulturellen Sektor und das damit verbundene Umfeld nutzt, um zur Revolution zu aufzurufen, ist wahrlich kein alltägliches Phänomen.
Wobei Eric Cantona und die Kultur eine bereits lange, gemeinsame Geschichte haben. Schon als 16-Jähriger bei AJ Auxerre, hat er, fern vom Elternhaus im südlichen Marseille, in der kalten Bourgogne mit dem Malen begonnen, heftige, ausdrucksstarke Bilder produziert und noch bis vor einigen Jahren immer wieder mal zum Pinsel gegriffen.
Er hat sich nebenbei ein Kunstsammlung zugelegt, der Experten durchaus Lob zollen. Als er nach seinem denkwürdigen Kung-Fu-Tritt gegen einen rechtsradikalen Hooligan, der ihn beleidigt und bespuckt hatte, 1995 sogar vor Gericht musste und bei Manchester United für neun Monate gesperrt wurde, wandte er sich der Musik zu und kann sich seitdem mit der Trompete durchaus hören lassen.
Die ihn kennen, sagen, man dürfe auch glauben, dass er Pasolinis und Fassbinders Filme bewundert und Schriftsteller wie Ezra Pound, Oscar Wilde oder Hermann Hesse schätzt. Und dass er Sinn für Theater, Inszenierung und Poesie hat, bewies er schon, als Manchester United ihn damals, 1995, zwang, zu seinem Kung-Fu Tritt etwas zu sagen. Er kam zur Pressekonferenz und sprach: „Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie glauben, dass die Sardinen wieder ins Meer geworfen werden“. Danach stand er wieder auf und verliess wortlos den Saal.
Oft weiss man bei Eric Cantonna nicht, ob Grössenwahn im Spiel ist oder ob er sich einfach selbst nicht sonderlich ernst nimmt. Symbolisch dafür ist ein Satz aus Ken Loachs Film „Looking for Eric“, wenn der Schauspieler Cantona in der Rolle Cantonas die Worte spricht: „Ich bin kein Mensch, ich bin Cantona“. Ob dieser übermenschliche Cantona jetzt die Banken wirklich zum Zittern bringt? Am 7. Dezember wird man mehr wissen.