Am 27. Juni 1993 griffen die USA den Irak mit Raketen an. Dreiundzwanzig Cruise Missiles vom Typ Tomahawk wurde von Kriegsschiffen im Persischen Golf und im Roten Meer abgefeuert. Ziel war das Hauptquartier des irakischen Geheimdienstes im Zentrum von Bagdad. Die meisten Raketen trafen. Nur drei verfehlten ihr Ziel und forderten Todesopfer unter der zivilen Bevölkerung, darunter die bekannte Malerin Leila Attar und ihr Mann. Präsident Clinton entschuldigte sich für das Missgeschick.
Clinton erklärte, der Angriff sei ein Vergeltungsschlag für ein Komplott des irakischen Geheimdienstes. Dieser habe versucht, George Bush Senior zu ermorden, den Vater des späteren Präsidenten George W. Bush. Clinton hatte ein halbes Jahr vorher die Wahlen gewonnen, der Republikaner Bush war der Verlierer.
Ein „bewaffneter Angriff auf die USA“
Was war vorgegangen? Bush Senior hatte eine Vortrags-Reise nach Kuwait geplant. Kurz vor seiner Ankunft wurden in Kuwait mehrere Männer verhaftet, die laut Polizeiangaben in einem Toyota Land Cruiser aus dem Irak kamen. In dem Wagen wurde eine Bombe entdeckt, mit der ein Anschlag auf Bush verübt werden sollte.
Die Regierung Clinton ging mit der Sache vor den UN-Sicherheitsrat. Der Luftschlag gegen den Irak wurde begründet mit dem Recht auf Selbstverteidigung, wie es die UN-Charta für den Fall vorsieht, dass ein Staat von einem anderen angegriffen wird. Der geplante Anschlag komme einem „bewaffneten Angriff“ auf die USA gleich, so argumentierte die Regierung in Washington.
Clinton sprach von einer „message“ an Saddam Hussein. Aber nicht nur an ihn, sondern „to any nation, group or person who would harm our leaders or our citizens. We will combat terrorism. We will deter aggression. We will protect our people.“
FBI und CIA präsentieren Beweise
Die amerikanische UNO-Botschafterin Madeleine Albright erklärte vor dem Sicherheitsrat, das FBI habe die Bombe untersucht und sei zu dem Schluss gekommen, die wichtigsten Komponenten wie die Fernsteuerung, der Plastik-Sprengstoff sowie die gesamte elektrische Schaltung und Verdrahtung seien typisch für die Bomben, die der irakischen Geheimdienst schon in der Vergangenheit gebaut habe. Keine andere Terrorgruppe würde dieselben Materialen benutzen. Die CIA sei daher zu der Erkenntnis gelangt, der irakische Geheimdienst habe „einen Terroranschlag geplant, der das Leben eines amerikanischen Präsidenten bedroht.“
Bei ihren Ausführungen zeigte Albright Fotos der Bombe, die man in dem Toyota gefunden habe. Dann hielt sie andere Fotos daneben, welche laut ihren Angaben eine der Bomben zeigte, wie sie typischerweise die irakische Regierung benutze. „Selbst ein ungeübtes Auge“ so die UN-Botschafterin, „erkennt, dass diese Bomben identisch sind mit Ausnahme der Seriennummer.“
"Fabrizierte Story"
Albright erklärte weiter, es gebe Aussagen der Regierung in Bagdad, aus denen hervorgehe, dass diese Bush Senior dafür bestrafen wolle, dass er 1991 einen Krieg gegen den Irak geführt habe.
Der Botschafter des Irak erklärte dagegen vor dem Sicherheitsrat, kein Wort von all dem sei wahr. Es handele sich um eine „fabrizierte Story“, das Regime in Kuwait habe einen Vorwand gesucht, um dem Irak Schaden zuzufügen. Tatsache war, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern nach dem ersten Golfkrieg äusserst gespannt waren und dass Kuwait Washington bewegen wollte, Saddam Hussein endlich zu stürzen.
Whisky-Schmuggler als Attentäter
16 Männer waren in Kuwait festgenommen worden, die meisten von ihnen Iraker. Nur zwei geben beim Polizei-Verhör zu, ein Attentat geplant zu haben. Die Verteidiger machen geltend, die Geständnisse seien unter Folter zustande gekommen. Selbst das amerikanische State Department bestätigt in seinem Menschenrechtsbericht vom selben Jahr 1993, die Folter sei bei der fraglichen Abteilung der kuwaitischen Geheimpolizei gang und gäbe. Eine genauere Prüfung und Publikation der fraglichen Protokolle lehnt der zuständige Richter in Kuwait ab.
Der angebliche Anführer, Ra’ad Assadi wird als Oberst im irakischen Geheimdienst bezeichnet. Er selbst widerruft aber später seine Aussage und erklärt, er sei ein Schmuggler und man habe ihn beauftragt, die Gruppe nach Kuwait zu bringen. Auch die anderen sind mehrheitlich Whisky-Schmuggler. Einer der Richter bemerkt, das Gesicht eines Angeklagten namens Salem Nasser al-Shammari komme ihm bekannt vor. Dabei stellt sich heraus, dass der Mann bereits 15 mal wegen Schmuggels in Kuwait inhaftiert wurde.
Nicht eben eine Elitetruppe zur Ausführung eines Attentats.
Peinliche Enthüllungen
In den USA wachsen in den Monaten nach dem Raketenangriff die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Story. Man erinnert sich an die famose Brutkasten-Story von 1990 und ähnliche Falschinformationen, die in Kuwait verbreitet worden waren. Nicht nur kritische Journalisten, sondern auch ehemalige CIA-Mitarbeiter und Militärs äussern hinter vorgehaltener Hand, es könne etwas faul sein an der Sache.
Der bekannte Recherchier-Journalist Seymour Hersh (er deckte das Massaker von My Lai in Vietnam auf und war beteiligt bei der Aufdeckung der Folter in Abu Ghraib) zeigt sieben unabhängigen Sprengstoff-Experten die Fotos, die Frau Albright den Vereinten Nationen präsentiert hat. Sie kommen zu dem Urteil, die Bestandteile der Bombe seien überall im Handel zu erwerben. Entscheidende Komponenten seien zum Beispiel in jedem Walkie-Talkie zu finden. Es gebe keine Hinweise auf eine spezifisch irakische Handschrift.
"No information to support the hypothesis"
Vollends peinlich wird die Beweislage, als sich Frederic Whitehurst zu Wort meldet. Der Sprengstoff-Experte war einer der führenden Analytiker der 9/11-Anschläge. Er war zu jener Zeit der top-Mann des FBI für die Untersuchung von Bomben. Whitehurst hatte die Kuwait-Untersuchung operativ geführt. Er war völlig überrascht, als er Clinton und Albright von der Irak-Connection reden hörte: „Ich dachte, die Presse hat das falsch verstanden. Ich hatte eben gesagt, es gebe keinen Zusammenhang.“
Whitehurst war in seinem Bericht zu folgendem Schluss gekommen: „This laboratory therefore has no information to support the hypothesis that Iraqui agents were involved with the assassination attempt.“
Whitehurst beschwerte sich darüber, dass sein Bericht entweder von seinem Vorgesetzten oder „an höherer Stelle“ verfälscht wurde. Die FBI-Spitze erklärte später, man sei tatsächlich „an höherer Stelle“ zu anderen Schlüssen gekommen, da man über „andere Informationen“ verfügt habe. Welche anderen Beweise das waren, wurde nie publik gemacht.
Ein Präsident, der kein Softy sein darf
John Quigley, Rechtsprofessor am College of Law der Ohio State University, zitiert Whitehurst in seiner Studie „The ruses for war“ ( New York 2007. S.324).
Quigley zeigt mehr als 30 sorgfältig dokumentierte Fälle, in denen die amerikanische Regierung andere Staaten militärisch angriff und der Öffentlichkeit die Wahrheit über ihre Beweggründe verschwieg oder falsche Beweise fabrizierte oder sogar eine Beteiligung an Kampfhandlungen solange leugnete, bis sie nicht mehr zu leugnen waren.
Quigley trägt, was die Zeit vor 1989 betrifft, der Situation des Kalten Krieges Rechnung und betont, dass die Sowjetunion ebenso wenig Skrupel hatte, Fakten zu fälschen, z.B. bei dem Einmarsch in Ungarn und der Tschechoslowakei.
Im oben beschriebenen Fall kommt Quigley zu dem Schluss, dass Bill Clinton durch den Gang der politischen Ereignisse zum Handeln gezwungen war. Er war erst kurze Zeit im Amt und wurde von den Hardlinern der Republikaner als Saxophon spielender Softy und Liberaler dargestellt. Clinton musste etwas tun, um dem Volk zu zeigen, dass er die Zügel in der Hand hatte.
Anerkennung bei den Republikanern
Ein Raketen-Angriff war für die amerikanische Öffentlichkeit kurz und schmerzlos zu verdauen. Nach dem Raketen-Angriff stiegen Clintons Sympathie-Ratings. Sein Eintreten für seinen Vorgänger und politischen Gegner – nach dem Motto: niemand auf der Welt greift ungestraft einen amerikanischen Präsidenten an - verschaffte Bill Clinton höchste Anerkennung bis weit in republikanische Wählerkreise.
In den Monaten vor dem 27. Juni waren immer wieder Informationen über den angeblich geplanten Terroranschlag in die amerikanische Presse durchgesickert. Die Lecks funktionierten auf die sattsam bekannte Art: „Off the record“ äusserten sich namenlose CIA-Insider und „administration officials“ sowie „senior intelligence analysts“. So wurde der Druck auf Clinton immer grösser. Handelte er nicht, so wurde er als Schwächling angesehen.
Am 23. Juni setzte das Wall Street Journal den lapidaren Titel „For the President, it’s decision time on attacking Iraq.“ Clinton stand mit dem Rücken zur Wand.
Generalstaatsanwältin Janet Reno übergab ihm am 24. Juni den FBI-Bericht. Am folgenden Tag beschloss Clinton den Angriff.
Sein Nachfolger George W. Bush machte dann Nägel mit Köpfen. In der Vorbereitungsphase des zweiten Irak-Krieges sagte er über Saddam Hussein:
„He is the guy who tried to kill my dad.“