Was auf den ersten Blick spannend und einleuchtend erscheint, wirft auf den zweiten Blick erhebliche Fragen auf. Nach welchen Kriterien soll beurteilt werden, welcher Denker bzw. Ideengeber einflussreich ist und welcher nicht? Wie will man Ökonomen, Politiker, Künstler oder Naturwissenschaftler miteinander vergleichen? Und kann so etwas in einem weltweiten Massstab überhaupt gelingen?
Substanz und Schaumschlägerei
Diese Fragen werden in dem vorliegenden Heft sehr interessant erörtert. Einflussreich ist, wer oft zitiert wird und Kontroversen auslöst. Das geschieht heute vornehmlich in den Blogs des Internet. Und man kann den Einfluss auch daran erkennen, wie oft jemand zum Beispiel bei Google gelistet ist.
Also müsste es recht einfach sein, eine Rangliste zu erstellen. Was aber, wenn einzelne Denker, um sich als besonders einflussreich zu präsentieren, künstlich Kontroversen entfachen? Und wenn man weiss, dass es von Vorteil ist, möglichst oft zitiert zu werden, kann man sich mit ebenfalls interessierten Kollegen darauf verständigen, sich gegenseitig so oft wie irgend möglich zu zitieren.
Man kann es auch einfacher sagen: Wie unterscheiden wir Schaumschläger von seriösen Denkern? Wie erkennen wir, ob jemand lediglich dadurch Einfluss gewinnt, dass er die Ideen anderer popularisert? Es kommt also darauf an, Instrumente zu entwickeln, deren Filterwirkung stark genug ist. Dazu hat das GDI mit einer Software gearbeitet, die die Firma Galaxyadvisers entwickelt hat. Dazu kommen weitere Methoden, die nach dem ersten Ranking vor einem Jahr verfeinert worden sind.
Verschiedene Listen
Eine dieser Methoden ist verblüffend einfach: der Faktencheck. Wohlklingende Behauptungen werden schlicht auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Aber auch hier stossen wir an Grenzen. So zeigt sich, dass die Ökonomen weltweit die meisten einflussreichen Denker stellen. Aber wie gut bewähren sich ökonomische Theorien in der Wirklichkeit?
Aus diesen ganzen Überlegungen sind verschiedene Listen hervorgegangen. So gibt es eine Liste der „einflussreichsten zeitgenössischen Denker der Welt“. Die ersten drei sind:
- Al Gore, USA, zentraler Gedanke: Global Marshall Plan
- Jürgen Habermas, Deutschland, zentraler Gedanke: Strukturwandel der Öffentlichkeit
- Peter Singer, Australien, zentraler Gedanke: Präferenz-Utilitarismus
Unter den „jüngsten einflussreichen Ideengebern“ sind die ersten drei:
- Elon Musk, USA, zentraler Gedanke: Elektromobilität
- Esther Duflo, Frankreich, zentraler Gedanke: Ökonomie der Armut
- Niall Ferguson, Grossbritannien, zentraler Gedanke: Niedergang des Westens
Unter den zehn „einflussreichsten weiblichen Ideengebern“ sind die ersten drei:
- Arundhati Roy, Indien, zentraler Gedanke: Der Gott der kleinen Dinge
- Martha Nussbaum, USA, zentraler Gedanke: Capability Approach
- Esther Duflo, Frankreich, zentraler Gedanke: Ökonomie der Armut
Die Listen sind natürlich wesentlich länger und noch weiter verzweigt. So gibt es Listen im Zusammenhang mit der „Blogosphäre“ und der „Wikisphäre“. Dazu kommen die Fachrichtungen der Ideengeber, die Nationalitäten und Kontinente. In diesem Zusammenhang wird festgehalten, dass es aus China keinen einzigen Denker gibt, der es unter die ersten 100 geschafft hat.
Netzwerke
Neben dem Schwerpunktthema gibt es eine Reihe weiterer interessanter Beiträge. Dazu gehört ein Interview mit dem amerikanischen Soziologen Randall Collins zur Frage, wie neue Ideen in die Welt kommen und wie sie sich durchsetzen. Randell vertritt dabei die These, dass wichtige Gedanken nur im Austausch verschiedener Denker entstehen können.
Daran habe sich seit 2500 Jahren nichts geändert. Auch in unseren modernsten digitalen Netzwerken tauschen wir uns in der Regel nur mit Personen aus, die wir persönlich, also auch physisch kennen. Und noch etwas: Führende Denker sind keine guten Politiker – und umgekehrt.
"Code Red"
Unter dem Titel, „Code Red“, findet sich in dem Heft ein Beitrag der Ökonomen John Mauldin und Jonathan Tepper, in dem sie sich mit der weltweiten expansiven Geldpolitik beschäftigen. Bei aller Kritik und der Warnung vor einem finalen Crash kommen die beiden zu dem Ergebnis, dass es dazu keine Alternative gibt. Sie zitieren George Soros: „Wenn ein Auto ins Schleudern gerät, muss man zuerst in dieselbe Richtung lenken, in die das Auto geschleudert wird, um wieder die Kontrolle zu erlangen. Tut man das nicht, wird sich das Auto überschlagen.“ Das heisst aber auch: Wenn die Weltwirtschaft wieder in besserer Verfassung ist, muss gegengelenkt werden. Niemand wisse das besser als der amerikanische Notenbankpräsident Ben Bernanke.
GDI Impuls, Heft 4, 2013, Einzelheft am Kiosk 35 Franken, Leserservice: GDI Impuls Leserservice, Postfach, 6002 Luzern, [email protected]