Als die Deutsche Post auch in diesem Jahr wieder ihren „Glücksatlas“ vorlegte, hat er für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Medien geweckt. Schlagzeilen machten die geografischen Ergebnisse: Wo sind die Menschen am glücklichsten und wo fühlen sie sich auf der Schattenseite? - In diesem Jahr liegt Hamburg ganz vor, während Sachsen-Anhalt am schlechtesten wegkommt.
Die übersehene Pointe
Das eigentlich Erstaunliche am Glücksatlas wurde in der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Medien gar nicht bemerkt: dass es möglich ist, das „Glück“ zu messen. Den Autoren der Studie aber ist klar, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Um ihr Vorgehen plausibel zu machen, beziehen sie sich auf den Harvard Professor Daniel Gilbert, der ihr Vorgehen mit dem eines Augenarztes verglichen hat: „Obwohl der Augenarzt vom Patienten nur subjektive Aussagen über dessen Sehvermögen erhält, kann er ihm am Ende eine gute Brille verschreiben.“
Genau wie beim Augenarzt erfolgt die Befragung durch die Glücksforscher systematisch. In den letzten Jahrzehnten ist es der sozialwissenschaftlichen Forschung gelungen, Zusammenhänge zwischen den politischen, ökonomischen oder auch ökologischen Lebensbedingungen und dem subjektiven Glücksempfinden herzustellen.
Wohlstand und Glück
Manche dieser Zusammenhänge sind offensichtlich. Dass Korruption oder Diktaturen dem Glück nicht förderlich sind, erstaunt nicht. Das Gleiche gilt für Krieg, Gewalt und Kriminalität. Allgemein lässt sich sagen, dass Menschen dort am glücklichsten sind, wo sie zu den staatlichen Institutionen und ihren Mitmenschen Vertrauen haben, die wirtschaftliche Situation ihnen ein Auskommen bietet und sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Andere Ergebnisse der Glücksforschung aber verstehen sich nicht von selbst. So bedeutet ein höherer Lebensstandard nicht automatisch eine Steigerung des Glücks. Solange Mangel herrscht, wird jede Verbesserung als Steigerung der Lebensqualität und damit des Glücks erlebt. Sind aber die Grundbedürfnisse befriedigt, so löst sich der Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Glück mehr und mehr auf.
Die Gesundheit
Sehr schön machen das die Autoren an der Frage klar, wie viel 250 Euro mehr im Monat zur Steigerung der Lebenszufriedenheit beitragen: Bei einem Nettoeinkommen von 500 Euro im Monat steigt die Lebenszufriedenheit ganz enorm an, während sie bei einem Nettoeinkommen von 8.000 Euro und mehr fast gleich bleibt. Interessant ist, dass wie schon Richard Layard und andere Glücksforscher gezeigt haben, in ganz unterschiedlichen Kulturen und Ländern ganz ähnliche Effekte auftreten.
Worin bestehen überhaupt die grundlegenden Faktoren für Glück? In seinem einleitenden Essay stellt der Schweizer Ökononom Bruno S. Frey heraus, dass die Gesundheit ein wichtiger Glücksfaktor ist. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen und der Ökonom Johannes Vatter schreiben sogar: „Der mit Abstand bedeutendste Faktor für die Lebenszufriedenheit ist die Gesundheit.“
Der Einfluss des Erbguts
Die anderen Faktoren bzw. "Glücksbringer" sind: „Ehe/Partnerschaft, Treffen mit Freunden, Regelmässiger Sport, Eigenheim, Autonomie am Arbeitsplatz, Gehaltserhöhung (plus 15 Prozent), Freizeitaktivität, Klassische Kultur und Religiosität“. Die Reihenfolge dieser Aufzählung entspricht der Stärke des Einflusses auf das Glücksempfinden.
Man wird in diesem vielschichtigen Band aber noch andere Aussagen finden. So dürfte der Hinweis auf den „genetischen Einfluss“ auf das Glückserleben von Bruno S. Frey erstaunen. Es geht dabei um die Frage, „welche Glückshormone wir von unseren Eltern geerbt haben.“ Raffelhüschen und Vatter ergänzen, dass unser Erbgut zu mehr als die Hälfte darüber bestimmt, für wie glücklich wir uns einschätzen. „Berücksichtigt man zusätzlich Erziehung und Sozialisation, ist statistisch gesehen schon viel vorherbestimmt. So ist etwa der Zufriedenheitswert, den eine Person im Alter von 20 Jahren angibt, ein sehr guter Prädikator für die subjektive Lebenszufriedenheit zehn Jahre später.“
Das Leben in Metropolen
Entschieden sprechen sich die Autoren aber gegen die Vermutung aus, dass aufgrund der genetischen Disposition das Glück prinzipiell unabhängig von den äusseren Lebensumständen sei. Die Meinung, dass Menschen in armen Ländern aufgrund ihrer Prägung glücklicher seien als wir, bezeichnet Frey als Täuschung „typischer Touristen“.
Weltweit wachsen die Städte, und auch in Deutschland zieht es die Menschen mehr und mehr in die Stadt, In seinem Beitrag, „Vom Glück, in Metropolen zu leben“, beschreibt Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid, das im Auftrag der Deutschen Post die Untersuchungen durchführt, die Vorteile der Städte. Dabei stellt er etwas Erstaunliches fest: „Die allgemeine Lebenszufriedenheit der Deutschen nimmt seit 2005 kontinuierlich zu.“ Trotz Euro- und Umweltkrise erwarten 50 Prozent der Metropolenbewohner, „dass unser Leben so bleiben wird, wie es ist, und 34 Prozent rechnen sogar mit einer Verbesserung ihres Lebens-Status-quo!“
Mehr als ein Rating
Das ist eine aussagekräftige Zuspitzung. Um die Unterschiede zwischen den einzelnen Städten und Regionen zu verstehen, muss man aber die „regionalen Glücksindikatoren“ anschauen, die das Schema für die Befragungen gebildet haben. Hier zeigt sich, wie zufrieden oder unzufrieden die Befragten mit den Institutionen, der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation vor Ort sind.
Der Titel „Glücksatlas 2012“ ist zwar zugkräftig, aber er verdeckt die hohe sozialwissenschaftliche Qualität des gesamten Bandes. Denn es geht nicht einfach um ein Städte- oder Regionenranking. Vielmehr ist dieser Band ein wichtiger Beitrag zur Glücksforschung. Und er gibt praktikable Hinweise für die Politik und Verwaltungen, in welcher Weise das Leben lebenswerter gestaltet werden kann.
Deutsche Post AG (Hrsg.), Bernd Raffelhüschen, Klaus-Peter Schöppner, Glücksatlas 2012. Mit einer Einleitung von Bruno S. Frey