Erfolgreiche naturwissenschaftliche Forschung setzt immer mehr Spezialisierung voraus. Es gibt das Bonmot, dass ein Spezialist derjenige sei, der von immer weniger immer mehr wisse, bis er von nichts alles weiss. Man könnte auch sagen: Der Spezialist kann einem Nicht-Spezialisten kaum noch erklären, womit er sich beschäftigt.
Bernd-Olaf Küppers hat sich als leidenschaftlicher Naturwissenschaftler immer auch die Frage gestellt, was die naturwissenschaftliche Erkenntnis zu unserem Weltverständnis beiträgt. Diese Frage zu stellen, heisst, Grenzen zu überschreiten. Denn in dem Augenblick, in dem „das Ganze“, die „Geschichte“ oder das „Schöne“ in den Blick genommen wird, wird das Terrain der sogenannten Geisteswissenschaften betreten.
Grundfragen der Evolution
In Anlehnung an C. P. Snow spricht man seit Jahrzehnten von den „zwei Kulturen“. 1959 hatte Snow deutlich gemacht, dass die geisteswissenschaftlich-literarische und die naturwissenschaftlich-technische Kultur immer weiter auseinanderdriften. Dagegen hat Küppers, der lange Zeit in Göttingen mit dem Nobelpreisträger Manfred Eigen zusammengearbeitet hat, stets beide Kulturen miteinander vernetzt - und mit den Ideen beider Seiten experimentiert.
Das ist für ihn nie eine Art Sonntagsspaziergang gewesen, den man sich auch einmal gönnt. Vielmehr ergibt sich die Verbindung aus der Entwicklung der modernen Naturwissenschaft selbst. In seinen Forschungen im Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie hat Küppers sich mit Grundfragen der Evolution beschäftigt. Bekannt wurde er damals mit seinem Buch, „Der Ursprung der biologischen Information“, das ursprünglich auf Englisch erschienen ist.
Formeln für die Schönheit
Gerade weil Küppers das Leben aus der Sicht des Naturwissenschaftlers betrachtet, ist ihm klar, dass es sich dabei um einen geschichtlichen Prozess handelt. Denn die Evolution hat einen Anfang und durchläuft unterschiedliche Stadien, die nicht wie die Bewegungen der Himmelskörper Teil einer Mechanik sind, die sich prinzipiell immer umkehren lässt, also auch rückwärts laufen könnte.
Und wenn Küppers von der biologischen Information spricht, so liegt die Frage nahe, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Sprache der Gene und der kulturellen Sprache bestehen. Und wie lässt es sich verstehen, dass die Natur ständig Formen und Muster produziert, die wir als „schön“ empfinden? Gibt es für die Art der Schönheit Formeln? Die Beantwortung dieser Frage führt unter anderem in die mathematische Chaostheorie.
Wohltuende Leichtigkeit
In dem Band "Die Berechenbarkeit der Welt. Grenzfragen der exakten Wissenschaften" hat Küppers Aufsätze und Vorträge aus mehreren Jahrzehnten zusammengestellt, aktualisiert und aufeinander abgestimmt. Für den Leser hat das grosse Vorteile. Denn er hat es mit lauter in sich geschlossenen überschaubaren Texten zu tun, so dass das Buch trotz der Schwierigkeit der Themen eine wohltuende Leichtigkeit hat.
Zu dieser Leichtigkeit gehört auch, dass Küppers sich nicht scheut, Fragen zu stellen, die man bei einem „seriösen“ Wissenschaftler nicht vermuten würde: Gibt es ausserirdisches Leben? Lässt sich das Weltgeschehen in Formeln fassen? Ist ein absolutes Weltwissen möglich?
Dem Buch kommt auch zugute, dass Küppers in Jena viele Jahre den Lehrstuhl für Naturphilosophie, der auf Schelling zurückgeht, inne hatte. Man merkt vielen seiner Texte die Lehrerfahrung an. Küppers versteht es wunderbar, weit verzweigtes Wissen etwa aus der Philosophiegeschichte kompakt und pointiert darzubieten.
Küppers Lieblingsfeinde
Und es fehlt nicht an Polemik. Küppers hat eine Reihe von Lieblingsfeinden, auf die er in seinen Büchern wieder und wieder zurückkommt. Dazu gehören Philosophen wie Hegel, Schelling und Fichte. In der Gegenwart reizen ganz besonders der Hermeneutiker Hans-Georg Gadamer und der Sozialphilosoph Jürgen Habermas zur Polemik. Die Naturphilosophie der Romantik, die Methode der Hermeneutik oder die Idee einer idealen Diskursgemeinschaft zur Ermittlung der Wahrheit sind ihm zuwider. Die Methoden der Naturwissenschaften mit ihrer Hypothesenbildung, ihren Experimenten und der Vorläufigkeit allen Wissens stellen für ihn den einzig wahren Weg zur Erkenntnis dar.
Alle Versuche, hinter der relativen Erkenntnis unserer Welt zu einem absoluten Wissen vorzustossen, sind in seinen Augen von der Antike an bis zur Gegenwart gescheitert. Küppers betreibt Philosophie mit den Augen des Naturwissenschaftlers. Das bringt viel Klarheit, aber mancher Philosoph wird fragen, ob es nicht auch noch andere Perspektiven gibt.
Die Strukturwissenschaften
Mit seiner Arbeit verfolgt Küppers ein Ziel, das er mit dem Begriff „Strukturwissenschaften“ beschreibt. Dahinter steckt ein methodischer Annäherungsprozess zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften. Grob vereinfacht lässt sich dieser Prozess am Beispiel der Sprachphilosophie erkennen. Sprache und natürliche Steuerungsprozesse haben den Begriff der Information gemein. Die Bedeutung der jeweiligen Information muss entschlüsselt – verstanden – werden, und aus den Informationen gehen spezifische Folgen hervor. Das ist einer von mehreren Anknüpfungspunkten, um aus unterschiedlichen Perspektiven die allgemeinsten Strukturen biologischer, sozialer oder technischer Systeme zu analysieren.
Die Informatik, die seit Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist ein weiteres Beispiel für die hohe Bedeutung allgemeinster Strukturen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen vorkommen. Und seit seinen Forschungen zur Biologie der Lebensentstehung hat der Physiker Küppers immer wieder mit einer Theorie der Randbedingungen beschäftigt. Damit ist gemeint, dass physikalische Gesetze etwas brauchen, in dem oder an dem sie wirken können. Das populärste Beispiel dafür sind Maschinen.
Seit dem Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker hat es im deutschsprachigen Raum keinen Wissenschaftler von Rang mehr gegeben, der so konsequent wie Bernd-Olaf Küppers Verbindungen zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften hergestellt hat. Für Küppers liegt diese Verbindung in der Logik beider, denn ihre Strukturen stammen aus ein- und derselben Welt.
Bernd-Olaf Küppers, Die Berechenbarkeit der Welt. Grenzfragen der exakten Wissenschaften, S. Hirzel Verlag Stuttgart 2012