Pier Luigi Bersani, der „Verräter“, und Matteo Renzi, die „Quasseltante“, liefern sich seit dem Sommer einen unerbittlichen Hahnenkampf. Beide wollen Chef des PD, der grössten italienischen Partei, sein. Bersani ist es schon, Renzi will ihn vom Sockel stürzen.
Am kommenden Sonntag, 25. November, entscheiden die linken Wähler in einer Primärwahl, wer das Rennen machen wird. Die Wahl schlägt hohe Wellen, weil sie nicht nur die Linke etwas angeht. Sogar das nationale Fernsehen überträgt Debatten der Kandidaten live.
Der Partito Democratico könnte laut jetzigen Umfragen die Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr gewinnen. Normalerweise wird der Chef der stärksten Partei dann Ministerpräsident. Wird also Bersani oder Renzi neuer Regierungschef? Das steht längst noch nicht fest.
Der italienische Barack Obama?
Bersani und Renzi – das sind zwei Welten. Der 61-Jährige gegen den 37-Jährigen. Der besonnene Intellektuelle gegen den stürmischen Möchte-gern-Erneuerer.
Renzi, der Herausforderer, nennt sich gern „il rottamattore“ – der „Verschrotter“. Er will die alten Praktiken über den Haufen werfen und neu beginnen.
Er wirft Bersani vor, zur alten dogmatischen Kaste zu gehören, ein verbrauchter Apparatschik zu sein und allzu links zu stehen.
Renzi gibt sich gern als „den italienischen Barack Obama“. Vor allem deshalb, weil er via Twitter und Facebook versucht, seine Anhänger zu mobilisieren. Abgesehen davon sind wenige Parallelen zu Obama auszumachen.
“Italien hat doch eine Seele“
Matteo Renzi führt einen Wahlkampf à l’américaine. Mit einem Wohnmobil tourt er durchs Land zum nächsten Auftritt. „Ausserhalb des Parlaments funktioniert Italien" sagt er. "Tragen wir dieses Italien auch in die Institutionen hinein und verschrotten wir die alten Ideen“.
Renzi, geboren zwischen Florenz und Arezzo, Vater dreier Söhne, war zunächst Mitglied des christdemokratischen PPI (Partito Popolare Italiano – Italienische Volkspartei), wechselte dann zur Mitte-links-Formation „La Margherita“ und trat schliesslich dem neugegründeten, sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) bei. Heute ist Renzi Bürgermeister von Florenz.
Pünktlich zur Primärwahl hat er ein Buch publiziert: „Stil novo“ heisst es. Da beginnt er bei Dante und Machiavelli und spannt - via Leonardo da Vinci - den Bogen zu sich selbst. „Italien braucht einen neuen politischen Stil, der die Leute emotionalisiert.“ Dann der Donnerschlag: „Italien hat noch eine Seele“. Zum neuen Stil gehören viele alte Phrasen: "Das Beste kommt erst noch", "Viva l'Italia viva - es lebe das lebendige Italien".
"L’intellettualino – der kleine Intellektuelle“
Pier Luigi Bersani ist 24 Jahre älter als der Aufsteiger Renzi und blickt auf eine lange Karriere zurück. Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Mechaniker. In den Siebzigerjahren studierte Pier Luigi Philosophie in Bologna. Es war die Zeit des Aufbruchs. Seine Studienjahre waren geprägt von der linken Studentenbewegung. Die Emilia Romagna und ihre Hauptstadt Bologna sind seit jeher eine Hochburg der Linken. An den Feste dell’Unità wurden revolutionäre Lieder gesungen (nicht nur Bella ciao). Man glaubte, die Welt verbessern zu können. Auch Schweizer pilgerten in jener Zeit nach Bologna. Bersani engagierte sich in den linken Bewegungen „Lotta Continua“, „Avanguardia operaia“ und „Potere Operaio“.
In seinem Heimatort Bettola bei Piacenza verstand man ihn nicht mehr. Man nannte ihn, „l’intellettualino", den kleinen Intellektuellen. 1972 trat Bersani der Pci bei, der Kommunistischen Partei. Es war die Zeit, als Enrico Berlinguer Generalsekretär der Kommunisten wurde und die Phase des Eurokommunismus begann. Italiens Kommunisten hatten schon früh marxistisch-leninistisches Gedankengut und sowjetische Dogmen über Bord geworfen und entwickelten sich zu einer offenen, pluralistischen Partei.
"Die schönste Frau von Bologna"
Bersani, der am gleichen Tag wie Berlusconi Geburtstag hat, promovierte schliesslich in Bologna „cum laude“. In jener Zeit traf er auch die blonde Pharmazie-Studentin Daniela Ferrari. Laut damaligen Augenzeugen war sie „die schönste Frau in Bologna“. Seit 32 Jahren ist er mit ihr verheiratet und hat zwei Töchter.
Unter den Ministerpräsidenten Romano Prodi, Massimo d’Alema und Giuliano Amato war Bersani Industrieminister, Transportminister und Wirtschaftsminister. Im Oktober 2009 wurde er eher überraschend zum Generalsekretär des PD gewählt. Jetzt kämpft er um die Wiederwahl.
Bersani wird von seinen Gegnern als wenig charismatischer Langweiler beschrieben. Doch das ist er nicht. Wer ihm schon begegnet ist, weiss wie schlagfertig, witzig, scharfzüngig und scharfsinnig er sein kann. Trotzdem: sein Intellektualismus trägt dazu bei, dass er stets differenziert (und manchmal: kompliziert) argumentiert. In der italienischen Politik, wo nur wüste Schlagworte ausgetauscht werden, geht er da oft unter.
Bersani hat es nicht leicht. Seine Partei ist ein zersplittertes Sammelbecken. Er muss stets die starken Gewerkschaften bedienen, die vor allem eins im Sinn haben: Besitzstand wahren.
Sein Spielraum ist begrenzt. Natürlich kann er als Generalsekretär der Sozialdemokraten Betriebsschliessungen nicht verhindern. Diese Woche wurde er im Alcoa-Aluminium-Werk in Portovesme auf Sardinien als „Verräter“ niedergeschrien. Antwort Bersani: „Ich spreche mit allen Italienern, ausser mit jenen, die mich als Verräter bezeichnen“.
“Er ist kein richtiger Linker“
Da hat es Renzi besser. Der Sindaco ist „nur“ für Florenz verantwortlich. Doch auch dort, vor dem Palazzo Vecchio, haben ihn diese Woche 200 Arbeiter ausgepfiffen.
Renzi spricht viel. Ebenso viel widerspricht er sich. Trotz seiner Unverbrauchtheit hat er es schwer, die Sympathien vieler Genossen zu gewinnen. Viele PD-Mitglieder – und vor allem die Gewerkschaften – befürchten, dass er die mühsam erkämpften Errungenschaften der Linken preisgeben wird. „Er ist kein echter Linker“, sagen seine Gegner.
Auf seiner Webseite steht der Slogan: „Cambiamo l’Italia adesso“. Mit dem haargenau gleichen Schlagwort war schon François Hollande in den Wahlkampf gezogen: „Le changement c’est maintenant“. Seither wartet Frankreich auf Anzeichen eines changements. Viele befürchten, dass mit Renzi auch die Italiener warten müssten.
“Primadonna, die andere Seite einer Null“
Bersani und Renzi schonen sich nicht. Wie immer schwingt in Italien eine Prise Sexismus mit. So bezeichnet Renzi die attraktive Alessandra Moretti, die Sprecherin von Bersani, als „mehr sexy“ als das Show- und Auszieh-Girl Belén Rodriguez. Antwort Moretti: „Renzi ist ein Macho“.
Alessandra Moretti sagt auch: Renzi benimmt sich wie eine Primadonna, genau wie Berlusconi. Pier Ferdinando Casini, der Chef der Zentrumspartei UDC, vergleicht Renzi mit dem lauten Beppe Grillo, dem Komiker und Anführer der Protestbewegung „5 stelle“. Der Europapolitiker Ciriaco De Mita lästert: „Renzi ist die andere Seite einer Null“.
Beide Kandidaten werden von namhaften Leuten unterstützt. Bersani kann auf Carlo de Benedetti zählen, den einflussreichen Patron (und Schweizer Bürger) der grössten italienischen Zeitung, der „Repubblica“ und des Magazins „Espresso“. Renzi hingegen hat die Unterstützung von Cesare Prandelli, dem Trainer der italienischen Fussball-Nationalmannschaft.
Renzi posaunt ins Land hinaus, dass die Linke mit ihm im Frühjahr 40 Prozent der Stimmen erhalten werde. In Meinungsumfragen liegt sie zur Zeit zwischen 25 und 30 Prozent.
Der Komiker Roberto Benigni spottet. „Wenn sich Bersani und Renzi zusammentäten, könnten sie die Wahlen gewinnen. Renzi käme auf 40 Prozent und Bersani auf 25 – ergibt zusammen 65“.
Bersani führt
Bersani und Renzi sind zwar die aussichtsreichsten Kandidaten – doch es gibt drei andere.
Nichi Vendola, der 54-jährige Präsident der Region Apulien, ist ausserhalb Italiens vor allem deshalb bekannt, weil er sich als Homosexueller geoutet hat. Er fährt einen pointierten Linkskurs. Vendola, auch ein einstiger Kommunist, ist sehr gläubig, was bei ihm nicht nur ein Vorwand ist, um Wahlen zu gewinnen. Er arbeitet mit christlichen Friedensbewegungen zusammen und setzt sich für Behinderte und Aussenseiter ein.
Laura Puppato, die einzige Frau, die kandidiert, hat keine Chance. Ebenso wenig wie Bruno Tabacci.
Laut einer Meinungsumfrage des italienischen Fernsehens (TG3) führt Bersani mit 44 Prozent vor Renzi mit 39 Prozent und Vendola mit 13 Prozent. Es folgen Laura Puppato und Bruno Tabacci mit je zwei Prozent.
Wer sich an den Primärwahlen beteiligen will, muss sich in eine Wahlliste eintragen und zwei Euro bezahlen. Er erhält dann eine Wahlkarte, die er am Sonntag im Wahllokal abgeben muss. Alle Erwachsenen sind zur Wahl zugelassen.
Wenn keiner der Kandidaten am kommenden Sonntag das absolute Mehr erhält - was zu erwarten ist -, fällt die Entscheidung eine Woche später, am 2. Dezember, in einer Stichwahl.
Unendliche Spekulationen
Doch wer auch immer gewinnt: künftiger Ministerpräsident ist er noch lange nicht. Auch wenn der Partito Democratico als stärkste Partei aus den Wahlen im Frühjahr hervorgeht – er wird nicht stark genug sein, um die Mehrheit im Parlament zu erobern und damit den Regierungschef zu stellen.
Die Linke ist also auf Koalitionspartner angewiesen. Und da beginnen die unendlichen Spekulationen, wie sie italienische Politiker und Journalisten so sehr lieben.
Wird die Linke zusammen mit der Berlusconi-Partei eine Koalition eingehen? Das ist heute kaum denkbar. Ideologisch liegen beide Blöcke zu weit auseinander. Geht die Linke ein Bündnis mit den Zentrumsparteien ein? Auch das würde für eine Mehrheit wohl kaum reichen. Kann die Berlusconi-Partei ihre Leichenstarre abschütteln und gewinnt sie zusammen mit dem Zentrum die Wahlen? Aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Oder gründet jemand im letzten Moment eine erfolgreiche neue Zentrumspartei? Neu vielleicht schon, aber erfolgreich?
Entscheid um fünf nach zwölf
Was bleibt? Eine Neuauflage der „technischen“ Regierung des jetzigen Ministerpräsidenten Mario Monti? Alle drei grossen Parteiblöcke wissen: Wenn sie in den kommenden Wahlen punkten wollen, müssen sie sich von Mario Monti distanzieren. Seine Spar-Politik, die bisher ausser Steuererhöhungen wenig gebracht hat, wird immer unpopulärer. Schon 60 Prozent der Italiener sind heute gegen Monti.
Also: Wie weiter? Wie immer in Italien. Alles wird sich um fünf nach zwölf entscheiden.