Die Internet-Zeitung "Mediapart" war noch vor dem langen Sommer wegen der Affäre Woerth-Bettencourt zum Medienstar Frankreichs geworden.
"Mediapart" hat den Versuch von Präsident Sarkozy, die Medienlandschaft ins Elysée einzuverleiben, durchkreuzen können. Das Internet-Portal wird bald Profit machen. Ebenso die weniger auflüpfische Internet-Zeitung "Rue89". Zwei unterschiedliche (einmal kostenpflichtig, einmal gratis) und seltene Erfolgsrezepte der Internetpresse - als Ergebnis zweier Krisen.
Als die Internet-Zeitung "Mediapart" im Februar begann, Recherchen zum heute als "Affäre Karachi" bekannten staatlichen Korruptionsskandal mit Todesfolgen zu publizieren, zweifelten selbst die Journalisten von der Konkurrenz lange an der Glaubwürdigkeit von Edwy Plenel, dem Mitbegründer und Chefredaktor von "Mediapart".
Ein Verkauf von Unterseebooten mit Rückzahlungen an die Präsidentenkampagne von Balladur und Entschädigungen an hohe Pakistaner, provozierten einen tödlichen Anschlag in Karachi gegen französische Marine-Ingenieure. Inzwischen beschäftigt die Affäre Parlament und Gerichte.
Aber der Durchbruch für "Mediapart" kam vor dem Sommer mit der Affäre Woerth-Bettencourt. Damals veröffentlichte "Mediapart" Auszüge aus Telefongesprächen von Liliane Bettancourt, der reichsten Frau Frankreichs und wichtigster Erbin des L'Oréal-Imperiums. Bettancourts Butler hatte die Gespräche illegal und heimlich aufgezeichnet. Es ging bei diesen Telefonaten um Steuerhinterziehung und Parteisüpenden.
Während der Streiks und der Manfestationen in Frankreich verloren beide Internet-Medien bezeichnenderweise etwas Einfluss und Aufsehen. Jetzt lagen Radio und Fernsehen vorn. Letztlich sind die beiden Internet-Portale eher Hintergrund- und Kommentargefässe, worauf sie stolz sind.
Staats- und Medienaffären
Die anderen Medien, darunter die direkte Konkurrenz von "Mediapart", das Online-Magazin "Rue89" von Pierre Haski, zogen in beiden Affären zwangsläufig forciert nach. Und da in beiden Fällen die Fäden bis zu Sarkozy reichten - bevor und nachdem er 2007 Präsident geworden war -, wurden sie zu Staatsaffären. Auf deren Ausgang wartet man noch und muss vielleicht noch lange warten.
Aber andere Konflikte - Sarkozys Ausfälle gegen die Immigranten, insbesonders die Roma, und seine schlechte Handhabung der Rentenreform - schufen für den Präsidenten ein ungünstiges Klima. Er "geniesst" zur Zeit die schlechteste Popularität seit je.
Über die Affären wird noch lange genug zu schreiben sein. Hier interessiert zunächst die Medienseite und Medienschelte. Sarkozy hatte früh versucht, seine Hand auf die wichtigsten gedruckten und audiovisuellen Medien zu legen.
Der konservative "Figaro", der zum Imperium des Flugzeugherstellers Dassault gehört, war ihm gesichert. Den Verkauf von "Le Monde", an eine ihm genehme Hauptaktionärsgruppe, gelang ihm nicht. "Le Monde" gilt als souverän und unabhängig. Hingegen gelang es ihm, die Aufsicht über die staatlichen audioviosuellen Medien zu sichern. Die bisherigen Aufsichts- und Nominierungsgremien schaltete er aus und entscheidet jetzt selbst - ein mehr als seltsames Vorgehen innerhalb westeuropäischer Demokratien.
Eine unsichtbare "Fronde"
Die "main-mise" - oder der "hold-up" hatte zum Ziel, die Medien gleichzuschalten. Doch das ist dem Präsidenten misslungen. Dassault verzichtete darauf, den populären "Le Parisien" zu erwerben, was Sarkozy im Hinblick auf die Präsidentenwahlen von 2012 als ein strategisches Ziel gesetzt hatte.
Unterdessen hatte sich eine "Fronde" gebildet. Sichbar und unsichtbar. Diese reagierte und protestierte gegen die Gleischaltung der Medien durch das Elysée. Da wurde ein bewährtes Rezept angewendet: Indiskretionen wurden publik. Ein Rezept, von dem vor allem das Satire-Magazin "Canard Enchaîné" lebt. Dieser war allerdings wegen des Wirbels um "Mediapart" kurzfristig sprachlos geworden.
Populistisch, aber unpopulär
Zwei Krisen wirkten dabei zusammen. Die finanzielle Krise der Zeitungen hatte bereits vor der Wahl von Sarkozy geschwelt. Beispiele sind die wirtschaftlichen Probleme von "France-Soir", "Libération", "Le Monde", "Figaro" und "Le Parisien".
Bei den staatlichen Fernseh- und Radiosendern konnte Sarkozy direkt eingreifen. Zum Beispiel mit einem Werbeverbot, welches das Fernsehen enger an staatliche Subventionen anband und damit den Einfluss des Elysèes steigerte. In Verbindung mit einer populistischen, aber zusehends unpopulären Politik - siehe Rentenreform - provozierte diese zweite Krise den Erfolg der beiden grössten Internet-Medien- Es gibt übrigens noch zwei, drei kleinere Internet-Portale, die aber nicht annähernd das gleiche Echo haben.
Die Gründung der zwei unabhängigen Online-Magazinen, "Mediapart" und "Rue89", war gewagt. Den Journalisten beim "Monde" und der "Libération" war es zusehends unwohl. Wegen ihrer Defizite forderten die Aktionäre Einsparungen und Entlassungen von Journalisten. Dies drohte, die Unabhängigkeit der Zeitung zu beeinträchtigen.
Die neue Fadheit von "Le Monde" war sprichwörtlich geworden, noch bevor Sarkozys Medienschelte ertönte und sich auch "Le Monde" anpasste.
Gegen die Demontage der Recherchen
Edwy Plenel, der frühere Chefredaktor von "Le Monde", Jahrgang 1952, gründete deshalb mit anderen Aussteigern und 80 Genossenschaftern im Dezember 2007 "Mediapart". Sie alle investierten ihr eigenes Geld, bisher waren das drei Millionen Euro.
Absicht war, ausschliesslich investigativen, aber auch polemischen Journalismus zu betreiben, das heisst: zu publizieren, was andere Medien verschweigen oder nicht auf den Punkt bringen.
Plenel kam sein militantes Talent zugute. Er war in seiner Jugend kurze Zeit Trotzkist gewesen. Das halten ihm jetzt seine Gegner genüsslich vor. "Mediapart" ist für ihn eine kämpferische Geisteshaltung im Dienste der Demokratie und - gegen die Mächtigen. Das unerklärte Ziel, Präsident Sarkozy von der Macht zu vertreiben, ist oft mit Händen greifbar.
Pierre Hasky, 1953 geboren und früherer China-Korrespondent und Chefredaktor von "Libération", gründete "Rue89" einige Monate später, im Februar 2008. Die Gründer äufneten ein Aktienkapital von einer Million Euro.
Im Gegensatz zum betont nüchternen "Medipart" ist "Rue89" farbig, sowohl was die grafische Aufmachung als auch die Vielfalt der Themen betrifft. "Rue89" ist im Vergleich zur "Kampfpresse Mediapart" eher eine Illustrierte.
Aber auch "Rue89" versteht sich als kritisches, der Linken nahestehendes Medium. Es will jedoch bewusst ausgeglichener und toleranter sein als seine Konkurrenz. "Rue89" ist gratis und will in einigen Monaten rentabel werden - dies dank seiner bereits über 100'000 Leser (oder Klicks). Die Tendenz ist steigend.
"Mediapart" wurde dagegen schon vier Monate nach Erscheinen kostenpflichtig. Dies war von Anfang an beabsichtigt. Guter Journalismus, das betont Plenel immer wieder, kostet und habe deshalb seinen Preis. Beide Medien zahlen ihren Journalisten branchenübliche Löhne. "Mediapart" hat gegen 30 Angestellte, die zwischen 2300 und 6500 Euro im Monat verdienen. Bei "Rue89" arbeiten 20 Festangestellte. Mediapart hat bereits über 40'000 Abonennten, die Zahl ist steigend. Um rentabel zu sein, fehlen noch etwa 15'000 neue Subskriptionen.
Aufschwung dank iPhone
"Rue89" macht mit einem Ausbildungsprogramm für Internet-Journalismus 40 Prozent des Umsatzes. Kunden sind die grösste französische Zeitung "Ouest-France" sowie Interessenten aus Kanada und Japan.
Die grosse Überraschung im Mediengeschäft war jedoch der Trend zum iPhone. Die angeklickten Seiten stiegen innert vier Monaten von 25 Millionen auf 100 Millionen.
iPone sichert jetzt einen Viertel der "Auflage". Die Werbeeinnahmen, die via iPhone generiert werden, sind überproportional hoch. So trägt der iPhone-Auftritt auch überproportial zum Geschäftsergebnis bei.
Beide Magazine profitieren auch vom "partizipativen" Journalismus. Blogs und Kolumnen werden von Lesern bestellt, aber von der Redaktion gesteuern. Es gibt nichts Schlimmeres als spontane und anonyme Leserbriefe der Internet-User. Bei "Rue89" machen die angefordertenen Leserbeiträge, die gut recherchiert sein müssen, nicht weniger als 30 Prozent des Textes aus.
"pure players
Während einige andere wenige Internet-Medien eher dahinserbeln, so etwa "slate.fr" des früheren Chefs von "Le Monde", Jean-Marie Colombani, liefern sich "Mediapart" und "Rue89" mit entgegengesetzten Geschäftspolitik einen faszinierenden, für beide einträglichen Konkurrenzkampf.
Als "pure players" - ein Titel auf den beide stolz sind und der angibt, dass kein klassisches Medium den reinen Internet-Wettbewerb mit Subventionen oder versteckten Synergien verzerrt - sind sie weniger den Selbstzweifeln der Branche unterworfen.
Kollegen, die den Absprung nicht gewagt oder geschafft haben, sind etwas neidisch. Der Markt bleibt aber volatil und zwingt wegen schneller technischer Neuerungen - siehe die "pads" - zu steter Anpassung. "journal21.ch" ist auch ein "pure player", aber hier wird niemand entlöhnt - noch eine andere, seltenere Variante...