Wie dysfunktional Washingtons Politikbetrieb ist, wissen Amerikaner längst. Trotzdem schaffen es die Akteure der Hauptstadt immer von neuem, die desillusionierte Öffentlichkeit zu überraschen. Das war jüngst der Fall, wobei zur Abwechslung kein Politiker, sondern ein Journalist die Hauptrolle spielte. Bob Woodward, der bei Watergate als Reporter der „Washington Post“ zusammen mit Carl Bernstein Präsident Richard Nixon gestürzt hatte, gab in der Farce den eingebildeten Kranken, dem ein hochrangiger Mitarbeiter des Weissen Hauses in einem Mail an den Karren gefahren war. Er fühle sich irgendwie bedroht, liess Woodward die Medien wissen, und ganz Washington begann aufgeregt zu tweeten, wie genau der Begriff „regret“ (bedauern) nun zu interpretieren sei. Auslöser des Sturms im Wasserglas war ein Meinungsbeitrag, in dem der 70-jährige Autor Präsident Barack Obama vorwarf, die automatischen Budgetkürzungen („sequester“) initiiert zu haben, die am Wochenende in den USA in Kraft getreten sind. Diese Einschätzung erzürnte das Weisse Haus, und es folgten ein hitziges Telefonat zwischen dem Verfasser und Obamas Berater Gene Sperling sowie ein E-Mail, in dem Sperling Woodward mitteilte, er dürfte seine Einschätzung der Sparübung eines Tages „bedauern“. Statt ausführlicher über den „sequester“ zu berichten, laut dem die US-Regierung bis September erst einmal 85 Milliarden Dollar einsparen muss, fokussierten die Medien auf das Schattenboxen zwischen Woodward und dem Weissen Haus. Bob Woodward, nicht frei von Eitelkeit, war in aller Munde, das Spardiktat, das die ganze Nation betrifft, schien plötzlich sekundär. Woodwards empfindliche Reaktion gibt all jenen Recht, die in ihm keine journalistische Legende mehr sehen, sondern eine alternde Diva, die das Rampenlicht vermisst. (Ignaz Staub)