Da gibt es ein neues Buch über die Gruppe 47 (Helmut Böttiger: Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb) – und das bringt einen ins Sinnieren. Die Gruppe 47 gab es von 1947 – 1967. So kurz ist es also her, dass die Schriftsteller deutscher Zunge meinungsmächtig, deutungsmächtig waren, präsent in der Öffentlichkeit, natürlich kritisiert, aber im allgemeinen respektiert. Und heute? „Die halbe mir zur Verfügung stehende Zeit verbringe ich damit, mein Buch zu schreiben“, sagte mir ein erfolgreicher Jungautor an der Frankfurter Buchmesse, während er auf den nächsten Podiumsauftritt wartete, „die andere Hälfte bin ich damit beschäftigt, es zu verkaufen.“ Die Ansprüche der Medien, der Literaturbetrieb (was für ein schönes Wort), die Zwänge des Buchmarkts bestimmen heute die Karriere des Autors; da bleibt kaum Zeit für Einmischungen ins Zeitgeschehen. Es gibt aber auch einen zweiten Grund für die Abstinenz der grossen Mehrheit unserer Autoren. Die Wirklichkeit ist zu komplex geworden, Meinungen beliebig, Deutungen schwierig. Man kann die Französin Yasmina Reza, die am meisten gespielte Dramatikerin dieser Jahre, verstehen, wenn sie mit dem ihr eigenen Sinn für Provokation postuliert, dass die Verantwortung des Schriftstellers heute darin bestehe, nicht zu meinen, nicht mitzureden. Sie muss es wissen. Nirgendwo mischen sich Literaten, Philosophen und Pseudophilosophen so gern in die Alltagsgeschäfte ein wie in Frankreich: Amüsante Aperçus kommen dabei heraus, wenn es gut geht, und, viel häufiger, ein Haufen delirierendes Geschwafel. (Christoph Kuhn)