Man muss kein Philosoph sein, um die ganze Schwierigkeit des Willens an einem Problem zu erkennen, das jeden Menschen betrifft: das Lebensende. In unserer aufgeklärten Gesellschaft ist es trotz jahrzehntelanger Diskussion nicht gelungen, Regeln zu finden und Festlegungen zu treffen, nach denen unser Ableben in einer Weise gestaltet werden kann, der wer innerlich zustimmen.
Arten der Sterbehilfe
Es gibt zwei Klippen: entweder langes Siechtum einschliesslich medizinischem Grossaufgebots oder „sozialverträgliches Frühableben“, wie der Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar 1998 unnachahmlich formuliert hat. Als würden es die beiden Klippen dem Einzelnen unmöglich machen, seinen Kurs zu finden, ist der Wille wie gelähmt.
In einem relativ kleinen und fast wie beiläufig wirkenden Beitrag markiert die stellvertretende Chefredakteurin Svenja Flasspöhler einige Positionen der laufenden Debatte. Ihre Klarstellungen bezüglich der Frage, was als „Beihilfe zum Suizid“, „aktive Sterbehilfe“, „passive Sterbehilfe“ und „indirekte Sterbehilfe“ zu verstehen ist, sind von wohltuender Klarheit. Sie schöpft dabei aus ihrem Buch, das im Jahr 2013 unter dem Titel, „Mein Tod gehört mir. Über selbstbestimmtes Sterben“, im Verlag Pantheon erschienen ist.
Authentisch leben
Eine der grössten und vielleicht unhintergehbaren Schwierigkeiten besteht darin, dass der Wille keine feste Grösse ist. Wir wissen nicht, was wir wollen, wenn sich unsere gesundheitlichen Lebensumstände vollständig verändert haben. Was sehr Gesunde dekretiert, wird vom Kranken nicht unbedingt akzeptiert.
Ist es ein bloss zufälliges oder doch schon tiefsinnig geplantes Zusammentreffen, dass in der gleichen Ausgabe ein Gespräch mit dem Philosophen Michael Hampe, der in Zürich lehrt, zu finden ist? Auch dort geht es um den Willen, allerdings in einem völlig anderen Zusammenhang. Nicht vom Tod ist die Rede, sondern es geht um die Frage, ob wir in der Lage sind, ein wirklich eigenes Leben zu führen.
Authentisch leben
Hampe sagt in dem Interview so schöne Sätze wie: „Oftmals findet so etwas wie ein Kidnappen der individuellen Existenz durch allgemein anerkannte Sprechweisen statt, und das Ergebnis sind Menschen, die sich in ihrem eigenen Leben und Reden nicht wiedererkennen.“ Philosophie ist für Michael Hampe keine abstrakte Gelehrtentätigkeit, sondern die bohrende Frage nach dem, was dem eigenen Leben Kurs geben kann.
Warum ist es so schwierig? „Gerade unsere Kultur, die ich als Konkurrenzkultur beschreiben würde, ist dem Auffinden der eigenen Stimme extrem hinderlich.“ Und wie würde man diese Stimme finden können? Hampe sagt: „Es hat etwas mit Fortsetzbarkeit zu tun. Kann ich mir vorstellen, dass ich das, was ich tue, mit den Menschen, mit denen ich das tue, ad infinitum fortsetze?“ - Da denkt man an den Song von Leonard Cohen, „Always“, - ein ins Lied gefasstes Grauen.
Die "Schwarzen Hefte"
Was auch an dieser Ausgabe des Philosophie Magazins Spass macht, ist die Unangestrengtheit, mit der philosophische Perspektiven auf unser Leben zur Geltung gebracht werden. Eigentlich soll es in dem Heft um die Frage, „Was macht schön?“, gehen, aber die Beiträge zu diesem Hauptthema sind nicht wesentlich gewichtiger als die vielen Nebenthemen dieses Heftes. Es ist eben ein Magazin: keine gelehrte Ansammlung von trockenen Statements, sondern ein buntes Potpourri.
Aber zu bunt ist es nun auch wieder nicht. Denn dieses Heft ist einem Denker gewidmet, der wie kaum ein anderer seine Anhänger fasziniert und verstört hat: Martin Heidegger. Der aktuelle Anlass ist bekannt. Es sind Tagebücher, die so genannten „Schwarzen Hefte“, aufgetaucht, in denen Heidegger seinem Hass auf die Juden freien Lauf lässt.
Das Leichte und das Schwere
Für Kenner Heideggers war das nicht allzu überraschend, aber dass man hier nun in unüberbietbarer Klarheit Formulierungen findet, die sich auch mit den besten hermeneutischen Tricks nicht mehr als philosophische Metaphorik entschärfen liessen, hat auch ihnen den Atem verschlagen.
Den Herausgebern des Philosophie Magazins ist es gelungen, die Debatte der vergangenen Monate kurz und prägnant so zusammenzufassen, dass sie eine wirkliche Orientierung bieten. Dazu haben sie ein Booklet mit der berüchtigten Rektoratsrede von 1933 beigelegt.
Das Leichte und das Schwere, philosophische Autoritäten und halbphilosophische Zeitgenossen, zentrale Themen und ein bisschen Boulevard: Das macht die Mischung auch dieses Heftes aus. Man muss kein Philosoph und schon gar kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich diese Mischung auf Dauer bewähren wird.
Philosophie Magazin, Nr. 03 – April / Mai 2014