Der deutsche Michel ist stolz auf seine Wirtschaft. Die deutsche Wirtschaft schnurrt und fluppt wie ein geöltes Rädchen. Davon hat der deutsche Michel mit seinen Dumpinglöhnen, die zum Leben zu niedrig und zum Sterben zu hoch sind, zwar nichts. Aber wenn es den Boni-Empfängern gut tut, dann tut’s wahrscheinlich Deutschland gut. Und darauf kann man ja stolz sein. Das sollen uns die andern erst mal nachmachen!
Ungeliebter Primus
Nun stellt sich aber dummerweise heraus, dass die andern uns gar nicht kopieren wollen. Das bringt den deutschen Michel mächtig auf. Er überschlägt sich geradezu. In Italien «schläft die Vernunft“, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus Rom. «Der Sanierer Monti, der Liebling der Europäer, hat enttäuschend abgeschnitten», der Sozialdemokrat Bersani hatte bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer «knapp die Nase vorn, im nicht weniger wichtigen Senat liegt er gleichauf mit Berlusconis Mitte-rechts-Allianz. Und dann ist da noch der sogenannte Komiker Grillo… Soviel Klamauk war nie.»
«Warum blo tun die Italiener sich und dem Kontinent das an», fragte die Süddeutsche Zeitung staatstragend und regierungsnah und träumte vermutlich mit vielen anderen Deutschen einen deutschen Traum von Stabilität, Reformen, Ordnung, Disziplin und all den andern Sekundärtugenden, die der deutsche Michel so sehr liebt, dass er dafür gelegentlich sogar die ganze Welt mit Krieg überzieht. Doch nun heisst es: «Aus der Traum. Nur jeder zehnte Italiener stimmt für Monti. Die Wahlen werden zur Opera buffa. Ein gerissener Faun und ein tobender Clown sind die Überraschungssieger.»
Und einer der deutschen Obermichels, der gelegentlich auch mal die Kavallerie in die Schweiz schicken möchte, um dort ebenfalls für deutsche Ordnung zu sorgen, war «geradezu entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben."
Deutschland und Rest-Europa
«Berlin ist alarmiert, dass die ‚Infektion‘ der italienischen Krise den Rest Europas» anstecken könnte, beobachtete die spanische Zeitung El País. Offenbar ist man in Madrid nicht so aufgeregt. Aber die Spanier haben ja auch noch nie geglaubt, an ihrem Wesen könne die Welt genesen.
Es ist schon ein Kreuz mit der Demokratie. Zumindest aus deutscher Sicht. Es ist ja nicht das erste Mal, dass der deutsche Michel die Welt nicht mehr versteht. Erst wählen die Franzosen einen Herrn François Hollande, einen Linken, der ganz sicher den Euro gefährdet. Dann mault halb Europa über die guten Ratschläge und Anweisungen, die Berlin so grosszügig verteilt. Dann schmeisst der Papst den Bettel vorzeitig hin, nicht weil er alt und gebrechlich ist, sondern weil er «mit seinem Versuch, die Kirche zu säubern, gescheitert» ist, wie die streng katholischen Spanier von El País erkannt haben. Tja, und jetzt die Clowns in Italien.
Die sollten sich alle einmal ein Beispiel an Berlin nehmen. Dort sitzen – wie es sich gehört – überwiegend Studienräte und andere Beamte im Parlament, die sich risikolos von ihrem Arbeitsplatz beurlauben lassen können und ihren Anspruch auf den alten Job erst nach mehr als zwei Legislaturperioden (wenn die Pension eh gesichert ist) Abwesenheit verlieren können. Das sind ordentliche Volksvertreter und keine Clowns, denn Beamte und besonders Lehrer sind allemal klüger als Clowns. Obwohl, so erinnert man sich, so etwas Ähnliches gab’s ja schon einmal, allerdings nicht in Italien sondern in den Vereinigten Staaten, bei unserer Führungsnation. Es ist schon dreissig Jahre her, da liessen wir uns von einem zweitklassigen Hollywoodmimen führen, der es schaffte, den bis dahin grössten Schuldenberg seines Landes in Friedenszeiten anzuhäufen. Damals, so mag man sich erinnern, schlief der deutsche Michel selig. Jedenfalls schrie niemand Zeter und Mordio.
Vorbild CIA
Was also tun mit den italienischen Clowns oder mit den Italienern? Man könnte sich ein Beispiel an Henry Kissinger nehmen, der einst aus dem für ihn so enttäuschenden Wahlsieg des Sozialisten Salvador Allende in Chile 1970 die Lehre zog: «Ich sehe nicht ein, dass wir zusehen sollten, wie ein Land als Folge der Unverantwortlichkeit seiner eigenen Bevölkerung kommunistisch wird. Die Angelegenheit ist viel zu wichtig, als dass man die Entscheidung darüber den chilenischen Wählern überlassen kann.» Also, Herr Steinbrück, wozu haben wir unsere Kavallerie?
Freilich, eleganter wären verdeckte finanzielle Zuwendungen an alle Parteien, für die keine Clowns kandidieren. Das hat damals in den ersten drei Dekaden nach dem Krieg gut funktioniert. Damals unterstützte die CIA die Christdemokraten und andere antisozialistische Parteien und Gewerkschaften in Italien jährlich mit zwanzig bis dreissig Millionen Dollar. Auch grössere Unternehmen könnten ihren Beitrag für die Errettung Italiens leisten, so wie einst Exxon oder Mobile Oil. Exxon, soviel ist verbürgt, verteilte zwischen 1963 und 1972 Spenden in Höhe von 46 Millionen Dollar an die Democrazia Cristiana, und Mobile Oil gab jährlich eine Million an die richtigen Stellen. Sendezeiten im Fernsehen sind äusserst wichtig, zumal einer der Clowns unbegrenzt darüber verfügt.
Da muss gegengehalten werden, so wie damals nach dem Krieg. Weil damals im italienischen Fernsehen politische Werbung verboten war, kaufte die CIA Sendezeiten bei Monte Carlo TV und im Schweizer Fernsehen, die beide in Italien empfangen werden konnten, wo sie antikommunistische Kommentare und Berichte ausstrahlten, die von der Redaktion der Mailänder Il Giornale Nuovo verfasst waren, die eng mit der CIA zusammenarbeitete. «Wir hatten zu jeder Zeit mindestens eine Zeitung in jeder ausländischen Hauptstadt», gab die CIA zu, wie einem Bericht der New York Times vom 26. Dezember 1977 zu entnehmen ist.
Auch Papstwahlen sind manipulierbar
Auch bei der Papstwahl sollte kein Risiko eingegangen werden. Es war doch eine schöne Zeit, als wir Papst waren. Menschenmassen jubelten uns zu. Und wann jubelt die Welt schon einem Michel zu? Auch ein Konklave kann beeinflusst werden, oder? Mindestens einmal hat es geklappt. Man erinnere sich an Giovanni Batista Kardinal Montini. Ein ausgezeichneter Mann, einer der engsten Mitarbeiter Eugenio Pacellis (Papst Puis XII.) und hervorragender Organisator der italienischen Rattenlinie, die über den Brennerpass nach Tirol und von dort nach Triest, Genua, Verona oder Rom führte, und für zahlreiche Verfolgte – von Klaus Barbie bis Josef Mengele – zum rettenden Fluchtweg wurde. Als Dank für diesen hilfreichen Beitrag zur Operation Headache/Boathill erhielt er später, als er sein Herz für Waisenkinder entdeckt hatte, reichlich CIA-Unterstützung für seine Kinderheime. Das war aber vor 1963, als er Papst Paul VI. wurde.
Aber eigentlich, nö, Berlin sollte die Italiener endlich in Ruhe lassen. Es ist doch irgendwie tröstlich, dass es irgendwo in Europa noch ein wenig Anarchie gibt, und noch nicht alle auf den deutschen Michel hören. Den beschrieb Erich Mühsam schon vor 80 Jahren so:
Wer dem Staat sein Dasein weiht,
Schnallt den Riemen eng und enger.
Sein Gesicht wird lang und länger.
Denn der Staat übt Sparsamkeit
Wieder beim Gehaltsempfänger.