Der erste Eindruck täuscht. Der liebenswürdige ältere Herr, der seinem Publikum einen Ohrwurm nach dem anderen präsentiert, ist alles andere als harmlos. Er spielt ein doppeltes Spiel. Auch das macht ihn unvergleichlich.
Die zwei Seiten
Leonard Cohen ist ein rastloser Schreiber. Mit eiserner Disziplin, zu frühester Stunde, beginnt er mit seinen Gedichten und Liedern. Er müsse hart arbeiten, denn es falle ihm nicht zu, erklärt er. In den zahllosen Notizbüchern finden sich auch Zeichnungen. Wieder und wieder porträtiert er sich selbst: traurig, pessimistisch, düster.
Aber da gibt es den anderen Cohen. Ein Mann von unbeschreiblicher Herzlichkeit, einer mit Charme und Humor. Immer wieder versetzt er sein Publikum in höchste Euphorie. Wie geht das zusammen? Wie kann ein Mensch das Dunkelste sehen, notorisch über Jahre von Angst geplagt sein und zugleich aus dem tiefsten Inneren heraus eine derartige Wärme ausstrahlen?
Im Jahr 2008 startete Cohen eine Tournee, die sich - weitaus länger als geplant - über zwei Jahre hinzog und 256 Konzerte in Nordamerika, Europa, Ozeanien und dem Mittleren Osten umfasste. Auslöser für diese Tournee war ein persönliches Malheur. Seine Managerin hatte ihn um seine Rücklagen gebracht. Also stand er wieder auf der Bühne und begann mit dem Titel: „Dance me to the End of Love“.
Was viele im Publikum – es gibt einen eindrücklichen Mitschnitt des Konzerts vom 17. Juli 2008 in London - nicht ahnten: Dieses Lied mit der einschmeichelnden Melodie ist entstanden, als Cohen erfahren hatte, dass jüdische Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern gezwungenermassen musizierten, während ihre Mithäftlinge vergast wurden.
Begeisterung des Terroristen
Der nächste Titel dieses Konzerts ist fetzig: „The Future“. Die Musik bietet beste Unterhaltung, aber wovon singt Cohen? Zunächst schlüpft er in die Rolle eines Folterers. Der Abend ist angebrochen, und er fühlt sich leer und einsam. Denn: „There`s no one left to torture“. Und dann entfaltet Cohen seine Zukunftsvision, die entsetzlicher nicht sein könnte: „I´ve seen the future, it is murder“. Jedem Einzelnen prohezeit er: „Your private life will suddenly explode.“ Deswegen fordert er: „Give me back the Berlin wall“. Und die Melodie treibt mit immer grösserer Begeisterung in diese furchtbare Zukunft hinein.
Etwas später schlüpft Cohen in die Rolle von Terroristen: „First we take Manhattan, then we take Berlin“. Das ist ein Welthit, den er Jahre vorher schon in Berlin vorgetragen hatte. Das Publikum geriet damals vor Begeisterung ausser Rand und Band, und in London dreht die ihm eng verbundene Sharon Robinson als Backgroundsängerin derartig auf, dass man hautnah miterlebt, wie begeistert Terroristen sein können.
Das alles sind Gratwanderungen. Die Melodien bieten den denkbar schärfsten Gegensatz zu den Texten. So geht das schon seit Jahrzehnten. Aber Cohen stürzt nicht ab. Niemand wirft ihm vor, ein Zyniker zu sein oder mit seinem Publikum zu spielen, indem er seine Sarkasmen trickreich überzuckert. Etwas Derartiges kann nur gelingen, wenn die persönliche Substanz dazu ausreicht.
Cohen galt in seiner Heimat Kanada als der mit Abstand bedeutendste Dichter der jungen Generation. Noch heute schwärmt er davon, wie er sich in Montreal mit Gleichgesinnten getroffen hat und sie nächtelang darüber sprachen, dass es in der Welt nichts Wichtigeres als Poesie gebe. Schon in dem Film: „Ladies an Gentlemen ... Mr. Leonard Cohen“ von 1965 tritt seine Persönlichkeit eindrucksvoll zutage. Dazu kommt in diesem Film ein anderer Wesenszug zur Geltung, der sich bis heute erhalten hat:
In einem dieser typischen städtischen Kellertheater für avantgardistische Strömungen ist jeder Platz besetzt, und das junge Publikum wartet gespannt auf das Nachwuchsgenie. Cohen tritt auf und hat vier seiner Lyrikbände unter dem Arm. Aber bevor er mit feierlicher, leicht singender Stimme zu rezitieren beginnt, erzählt er erst einmal ein paar Anekdoten, die davon handeln, wie er kürzlich einen Freund in der Psychiatrie besucht hat. Das Publikum amüsiert sich köstlich. - Cohen weiss zu unterhalten.
Sprache und Erfahrung
Die Lyrik von Cohen reizt das Instrument der Sprache immer wieder aufs Neue aus. Er geht an die Grenzen des Sagbaren und erschliesst Sentenzen von ungeheurer Tiefe und Schönheit. Im Jahr 2011 erhielt er für seine Lyrik den Prinz von Asturien Preis, eine der höchsten kulturellen Auszeichnungen überhaupt. - 2008 war ihm die höchste Auszeichnung der Pop-Welt verliehen worden: Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame.
Das Instrument der Sprache verbindet sich bei Cohen mit einer anderen Erfahrungsdimension, die schwer zu benennen ist. Sie reicht in persönlichste Tiefenschichten und in den Bereich der Religion. Er kennt die zentralen Texte nicht nur des Christentums. Er zitiert daraus offen und verdeckt und er kann für Momente, wenn auch ironisch gebrochen, den Gestus religiöser Gestalten übernehmen: „I´m the little jew, who wrote the bible.“ Seine Suche, sein ständiges Gefühl der Unzulänglichkeit des alltäglichen Lebens haben ihn 1993 zu einem Klosteraufenthalt geführt. Eigentlich handelt es sich um zwei Aufenthalte. Ein Freund machte ihn mit dem buddhistischen Zen-Meister Roshi bekannt. Der lud ihn zu sich in das Kloster Mount Baldy in der Nähe von Los Angeles ein. Aber das Leben dort war derartig hart, dass Cohen nach ein paar Tagen aufgab.
"Book of Longing"
Erst in einem zweiten Anlauf konnte er sich einfügen. Er diente Roshi persönlich und wurde zum Mönch geweiht. Sein Name war Jihan, der Schweigsame. In seinem Lyrikband, „Book of Longing“, sehr schön von mehreren Autoren übersetzt: „Buch der Sehnsüchte“, stösst man immer wieder auf Texte, die in dieser Zeit entstanden sind. Die ganze Paradoxie des religiösen Denkens, vielleicht insbesondere des Buddhismus, wird hier in eindrucksvollen Splittern zum Ausdruck gebracht.
Aber auch auf Mount Baldy wurde er von Depressionen heimgesucht und entfloh dieser Gemeinschaft Anfang 1999, um zu einem anderen Meister nach Indien zu gehen. Dort blieb er ein Jahr und kehrte dann, zur Überraschung seiner Freunde und Fans, wieder ins Musikgeschäft zurück – mit 250 neuen Songs und Gedichten.
Du bist ein Kämpfer
Cohen selbst hebt zwei für ihn prägende Elemente hervor. Da ist einmal die Erkenntnis, dass es nicht darauf ankommt, Antworten auf die eigenen grundlegenden Fragen zu erlangen, sondern die Fragen selbst zu überwinden. Und die zweite Einsicht bezieht sich auf eine Stelle in der Bhagavat Gita, von der Cohen im Film, „I´m your Man“ (2005), sagt, dass sie ihm ganz besonders gut gefalle:
Krishna tritt auf und sagt: Du bist ein Kämpfer. Ich habe dich hierhin gestellt, und du wirst kämpfen, selbst gegen deine Verwandten und Freunde. Das ist nicht deine Wahl, sondern es sind die Umstände, in die ich dich hineingestellt habe.
Und richtig: Cohen hat etwas von einem Kämpfer. Er ist ein Asket, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass er es sich wohl sein lässt. Und er scheut sich nicht vor grösster Einfachheit, die die Grenze zum Banalen zumindest touchiert: „The dog is never free“ heisst es zum Beispiel in „Bird on the Wire“. Und auch an seinen Kompositionen feilt er so lange, bis sie die grösstmögliche Einfachheit erlangt haben. Böse Zungen lästern, Cohen beherrsche im Grunde nur zwei oder drei Akkorde. Er entgegnet: „Das ist völliger Unsinn, ich kann vier oder fünf.“
Das ist eben dieser Humor von Cohen, der auch darin zum Ausdruck kommt, dass er sich über sich selbst lustig machen kann. Bei seinem Konzert in London zählte er dem Publikum eine schier endlose Liste von Aufputsch- und Beruhigungsmitteln auf. Und jeder wusste, dass er von denen nicht nur die Packungsbeilagen studiert hatte. Schon seine erste Gruppe, mit der er auf dem Newport Folk Festival in Rhode Island/USA seinen ersten grossen Erfolg als Pop-Sänger erlangte, nannte ihn „Captain Mandrax“.
Die Distanz zu sich selbst kann bei Cohen so weit gehen, dass selbst Kenner verwirrt werden. So heisst es im in „Going Home“ auf seiner von der Kritik einhellig hoch gelobten CD „Old Ideas“ von 2012: „I love to speak with Leonard, He´s a sportsman an a shepherd, He´s a lazy bastard, Living in a suit.“ Anfänglich glaubte man, mit Leonard sei Patrick Leonard gemeint, mit dem er die CD produziert hat. Aber tatsächlich meint Cohen sich selber und wünscht sich in diesem Lied ein erlösendes Ende.
Er lebe „in einem Anzug“, ist wiederum eine ironische Anspielung auf die Tatsache, dass er sich tatsächlich Zeit seines Lebens mit Anzügen am wohlsten gefühlt hat. Sie stehen ihm auch prachtvoll. Aber selbst hier gibt es den grösstmöglichen Kontrast. Auf den Covers seiner Platten beziehungsweise CDs zeigt sich kein „Herr“. Auf dem Cover seiner ersten LP von 1967, „Songs of Leonard Cohen“, findet sich ein Foto aus einem Fotoautomaten. Auf dem Cover von „I´m your man“ von 1988 sieht man Cohen eine Banane essend. Wunderschön aber ist das Cover von „Ten new Songs“ 2001, die von Sharon Robinson zu Texten von Cohen komponiert wurden. Gemeinsam sind sie stilisiert dargestellt und bieten ein Bild grösster Innigkeit. Auf dem Cover von „Old Ideas“ wiederum trägt Cohen einen Anzug, schaut aber derartig missmutig drein, dass man ihn für einen querulatorischen Insassen eines Altersheims halten könnte.
Cohen, der Klassiker
Sharon Robinson muss für Cohen eine ganz besondere Rolle spielen. In einem der schönsten Songs, „Boogie Street“, besingen sie ihre Zeit zusammen: „The pleasures that we knew“. Zwischen den beiden funkt es auf der Bühne bis heute. Aber auch sonst behandelt Cohen seine Musiker mit einer nicht mehr steigerbaren Hochachtung: Immer wieder kniet er vor ihnen. Würde ein anderer als Cohen so agieren, wäre die Peinlichkeitsgrenze weit überschritten.
Überhaupt fragt man sich, ob nicht manches zu süsslich, zu sentimental ist. Der Gedanke verfliegt aber sofort, wenn man jüngere Interpreten von Cohens Songs etwa in dem Film, „I´m your Man“ sieht. Dagegen wirkt Cohen geradezu klassisch, streng. Cohen lässt eben alles weg, was entbehrlich ist, um zum Kern zu kommen. Den aber schält er wieder und wieder, bis er seine letzte Evidenz erreicht hat. An seinem „Hallelujah“ hat Cohen mehr als zehn Jahre gearbeitet, zahllose Strophen gedichtet, die er selbst nicht verwendet, sondern anderen Musikern zur Verfügung gestellt hat. Aber auch der Jubel des Hallelujah, musikalisch nicht weiter steigerbar, ist im Text gebrochen: „You say I took the name in vain, I don´t even know the name“. - Sein Freund Bob Dylan hat diesen Song, wie viele andere namhafte Musiker auch, ebenfalls eingespielt.
Ganz bei sich
Jeder Mensch hat ein Alter, das seinem Wesen am besten entspricht. Bei Cohen ist es so, dass er schon als junger Mensch, als Dichter und vergleichsweise spät antretender Popstar, absolut überzeugend wirkt. Auch wenn man seine LPs aus den verschiedenen Jahrzehnten, die jetzt als Sammlung der Studioalben auf CD „remastered“ sind (1), findet man ihn authentisch. Manche Songs klingen kraftvoller als zum Beispiel in dem Live-Auftritt des London-Concerts. Interessanterweise aber ist das „Dance me to the End of Love“ in London viel überzeugender als auf der LP „Various Positions“ von 1984. Cohen sagt selbst freimütig, dass er sich bei früheren Aufnahmen grösste Mühe beim Singen gegeben habe, dass ihm manches aber misslungen sei, was andere Interpreten dann weitaus besser hinbekommen hätten.
Wenn man ihn heute mit seiner Gitarre, die er unnachahmlich zu spielen versteht, auf der Bühne erlebt, hat man das Gefühl, dass er jetzt, nach all den Jahrzehnten, geradezu begnadet bei sich angekommen ist. Man hat nicht den Eindruck, dass er lieber jünger wäre. Und wenn er die Songs aus seinen ganz jungen Jahren vorträgt, wirkt das in keiner Weise abgedroschen oder peinlich. Er hält die nötige Distanz und kann doch ganz darin eintauchen. Das ist keine Nostalgie, es ist jedes Mal wieder neu, neu aus der entfernteren Perspektive.
Am 21. September wird Leonard Cohen 8o Jahre alt. Dann erscheint auch seine neue CD, "Popular Problems". Man darf gespannt sein.
(1) Leonard Cohen, The complete Studio Albums Colection, Sony Music
Beonders zu empfehlen: Leonard Cohen, almost young, Eine Bildbiograhie mit einem Text von Jens Sparschuh, Schirmer/Mosel 2014