Vor einem Jahr gab es laut Juncker nicht mal die vage Gefahr von Notkrediten. Das ist keine griechische Tragödie mehr, sondern wie aus einem Stück von Dürrenmatt: Für den Dramatiker war es zu Ende gedacht, wenn die schlimmstmögliche Wendung erreicht wurde.
Von den 110 Milliarden Euro Nothilfekredite hat Griechenland bereits rund die Hälfte verbraucht. Ohne eine weitere Tranche von 11 Milliarden bis spätestens Juli 2011 wäre der Staat pleite. Das BIP (Bruttoinlandprodukt) fällt und fällt, die Staatsverschuldung steigt bis Ende dieses Jahres auf 160 Prozent des BIP, satte 100 Prozent über den EU-Richtlinien. Das Leistungsbilanzdefizit beträgt immer noch ungeheuerliche 11,8 Prozent. Inzwischen sind sich alle Eurokraten einig, dass die 110 Milliarden höchstens bis Mitte 2012 reichen werden. Deshalb werden weitere Kredite in der Höhe von 60 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Da muss man langsam zu starken Worten greifen: Die sind offenbar mit dem Klammerbeutel gepudert.
Das ist noch nicht alles
Griechenland müsste im Augenblick auf dem freien Finanzmarkt mehr als 16 Prozent Zinsen für eine Staatsanleihe zahlen. Das Rating vom Hellenenland, also die Bewertung, wie sicher es ist, dass Schulden zurückbezahlt werden, wird fast im Wochentakt heruntergesetzt. Von Moody’s Anfang Juni auf Caa1. Das Kürzel steht für: «Substantielle Risiken / extrem spekulativ». Das ist schon weit unter Ramsch-Status, nur noch drei Stufen vom Zahlungsausfall entfernt. Dennoch akzeptiert die Europäische Zentralbank solche Schrottpapiere als Sicherheit von griechischen Banken.
Weitere Sparmassnahmen vom griechischen Staat werden gefordert, dabei begründete Moody’s diese neuerliche Herabstufung und mögliche weitere auch damit, dass die Kürzungen jetzt schon zu hart seien und die Rezession verlängern könnten. Damit die Schulden nicht alles auffressen, bräuchte der Staat einen sogenannten Primarüberschuss von mindestens 10 Prozent. Damit bezeichnet man das Verhältnis von Staatseinnahmen und –ausgaben, ohne Zinszahlungen. Das hat Griechenland noch nie geschafft, selbst in besseren Zeiten nicht. Lohnsenkungen, Einsparungen und Preissteigerungen sorgen schon jetzt für soziale Unruhen, die wohl nur einen Vorgeschmack auf Kommendes geben.
Und wie soll die Rettung kommen?
Normalerweise gibt man einen Kredit, wenn der Schuldner zumindest eine halbwegs glaubhafte Perspektive aufzeigen kann, wie er aus einer momentanen Bredouille wieder herauskommt. Dazu fällt aber dem versammelten Sachverstand der EU-Finanzkoryphäen nichts ein, in Zahlen: Null. Da schlägt die Tragödie eigentlich in eine Farce um, das wäre nicht einmal Dürrenmatt eingefallen. Ach doch, einen Scherz hat die EU auf Lager: Neben Totsparen soll Griechenland privatisieren, dem Staat gehörten doch beispielsweise Immobilien im Schätzwert von rund 300 Milliarden Euro.
Das kleine Problem dabei ist nur, und das ist wieder keine Realsatire, sondern Realität: Da das griechische Grundbuchamt ein Trümmerhaufen wie die Akropolis ist, sind die Besitzverhältnisse völlig ungeklärt. Der Gerechtigkeit halber muss man noch einen zweiten Scherz erwähnen: Auch private Investoren, also in erster Linie natürlich Banken, sollen sich an der Kreditvergabe zu günstigen Konditionen beteiligen. Der Witz dabei: aber nur freiwillig.
Melancholie und Agonie
Schritt für Schritt übernimmt die EU bereits die Regierungsgeschäfte in Athen. So soll ein Privatisierungsfonds gegründet werden, der, analog zur Treuhand nach der deutschen Wiedervereinigung, staatliche Beteiligungen verscherbeln soll. Ist ja bekannt, dass bei Notverkäufen fulminante Erlöse erzielt werden. Die sogenannte Troika, ein weiteres in keiner EU-Verfassung vorgesehenes Organ, mischt sich zudem in Konjunkturpakete, Investitionsprojekte oder gar Verhandlungen mit Gewerkschaften ein.
So viel zur immer hochbeschworenen Souveränität der einzelnen EU-Staaten. Entweder wird Griechenland also, wie hier schon vor Wochen prognostiziert, unter Kuratel von Brüssel gestellt – und geht Pleite. Oder es tritt aus dem Euro aus – und geht Pleite. Die zweite Variante enthielte immerhin die Chance zu einem Neustart. Die erste nicht. Vielleicht ist Juncker ein grosser Fan von Dürrenmatt und deshalb insgeheim Anhänger der ersten Variante. Anders ist seine bescheuerte Aussage wirklich nicht zu verstehen.