Vertrauensgrundlage weltweit zwischen Gläubiger und Schuldner ist: Es wird niemals nachträglich an den gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen rumgeschraubt. Oder wenn, nur in höchster Not und im gegenseitigen Einvernehmen. Oder aber, man führt eine schöne Abkürzung ins Feld: CAC, das steht für «Collective Action Clauses». Und bedeutet: Lässt du dich nicht «freiwillig» zwingen, dein geliehenes Geld abzuschreiben, braucht der Schuldner Gewalt, um dir 107 Milliarden abzuknöpfen, «freiwillig», versteht sich.
Besichtigung eines Trümmerhaufens
Es müssen nicht viele Worte darüber verloren werden, was diese Woche verloren ging. Wie immer bei Eurokraten wurde eine Nebelwand von kompliziertesten Begriffen errichtet, die niemand versteht. Wer’s nicht glaubt, soll doch mal versuchen, den 166 Seiten umfassenden Prospekt zu verstehen, der den Schuldenschnitt erklären soll: greekbonds.com. Keine Angst, er ist auf Griechisch und Englisch. Verständlich ist er allerdings in beiden Sprachen nicht. Daher die Kurzusammenfassung: Alle Investoren verlieren insgesamt rund 75 Prozent ihres Geldes. Ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Konkret: Es gibt einen «freiwilligen» Haircut von 53,5 Prozent. Die restlichen 46,6 Prozent werden wie folgt «getilgt»: 15 Prozent zweijährige Bonds der EFSF, 31,5 Prozent 30-jährige Griechenlandbonds mit praktisch keiner Verzinsung und darum einem Face Value von vielleicht 30 Prozent. Wenn Griechenlands Anteil völlig flöten geht, steigt der Gesamtverlust entsprechend weiter.
Die Nebelwand
Damit ist faktisch der längst überfällige Staatsbankrott Griechenlands vollzogen. Griechenland verabschiedet sich vom Euro und nimmt als Neustartgeschenk noch 130 Milliarden mit auf den Weg. Pustekuchen, nichts davon, jetzt ist laut den Eurokraten die Krise beendet, ab sofort geht’s aufwärts mit dem lebenden Leichnam, mit dem Zombie. Griechenland wird seine Staatsschulden wundersam auf lächerlich geringe 160 Prozent des BIP senken können, in 8 Jahren gar auf winzige 120 Prozent. Investoren werden Schlange stehen, die Arbeitslosigkeit wird schlagartig sinken, Rezession wird aus dem griechischen Wortschatz gestrichen. Empfänger von Sozialleistungen wie Rentner werden sich mit Oliven vollstopfen und Retsina übers Haupt giessen, die Steuerämter werden mit der noch effizienteren Einnahme von Abgaben gar nicht nachkommen, die Wirtschaft wird schlagartig chinesische Wachstumszahlen produzieren statt minus 7,5 Prozent. Und wenn der griechische Staat neue Schuldpapiere begibt, werden sie ihm, trotz bescheidenen Zinsen, aus den Händen gerissen. Ich beliebe zu scherzen? Aber nein, ich berichte aus dem Wolkenkuckucksheim EU.
Die Zukunft
Nicht nur griechische Staatsschuldpapiere sind den Bach runter gegangen, viele andere werden folgen. Portugiesische, spanische, italienische, französische. Und selbst deutsche Bundesschatzbriefe. Ein klingendes Wort, das heute noch nicht den Beigeschmack von «Ehrensold» hat. Aber bald bekommen wird. Denn mit dem faktischen Staatsbankrott Griechenlands wurden alle Gläubiger rasiert. Das Geld, das sich diese Woche in Luft aufgelöst hat, wurde nicht aus Luft gebacken, sondern real bezahlt. Von Kleinanlegern, Banken, Hedgefonds, institutionellen Anlegern wie Pensionskassen. Und die müssen ja auch in Zukunft irgendwo hin mit den Anlagen, die ihnen geblieben sind. Zum Beispiel in sichere deutsche Staatsanleihen, obwohl es dafür faktisch Negativzinsen gibt, also man verliert Geld damit, das Risiko zu tragen, Geld zu verleihen. Und was hindert den deutschen Staat daran, Zinsen und Rückzahlungen à la Griechenland zu versprechen? Ihr kriegt euer Geld zurück. Ausser, wir wenden die «Collective Action Clauses» an. Ihr kriegt 2 Prozent Zinsen. Aber nur, wenn die deutsche Wirtschaft wächst.
Politik à la Merkel
Wohlgemerkt wird diese Viecherei orchestriert und angeführt von Deutschland. Begleitet von den übliche Lügen, zuerst war von 50 Prozent «freiwilligem» Schuldenschnitt die Rede, nun sind es bereits 75 Prozent, die problemlos auf 85 Prozent steigen können, je nach dem, wie die Griechen lustig sind. Und natürlich wird so niemals ein Euro-Staat Pleite gehen. Es wird höchstens umgeschuldet und rasiert werden, natürlich immer freiwillig. Das nächste Mal bekommen Gläubiger dann gleich 90 Prozent Ersatz für ihr verlorenes Geld. In Form von 100-jährigen Bonds mit 3 Prozent Zinsen. Allerdings erst ab dem 10. Jahr, vorher gibt’s nur 1 Prozent. Eine Mogelpackung der Sonderklasse, wofür sich Merkel schämen sollte. Stattdessen triumphiert sie. Sie hat gewonnen. Allerdings nur für den Moment.
Zahle heute, vergiss die Zukunft
Schulden sind gekaufte Zeit. Zinsen sind die Risikoprämie für einen möglichen Totalschaden. Rückzahlung von Schulden und Aufbringen der Zinsen wird durch einen wertschöpfenden Einsatz des geliehenen Geldes garantiert. Vertrauen in die nicht rückwirkend veränderbare Sicherheit der Abmachung ist die Grundlage des Geschäfts. Einmaleins. Alles, was Brüssel dagegen aufführt, ist barer Unsinn. Unverantwortlich. Und vor allem: unumkehrbar. Das wichtigste Ereignis dieser Woche war nicht die Verlängerung der Agonie Griechenlands. Auch nicht das Verrösten von weiteren 130 Milliarden Euro. Auch nicht die ewig wiederholte Lüge, dass es damit nun aber endgültig erledigt sei. Auch nicht die klare Perspektive, dass demnächst weitere mindestens 50 Milliarden fällig sind. Sondern die Unumkehrbarkeit einer Entwicklung, die die Entwertung aller europäischen Staatspapiere zum Ende hat. Gutgläubige werden nun einwenden, dass das mal wieder hier gewohnte Schwarzmalerei sei. Genau wie vor einem Jahr meinen Analysen vorgehalten wurde, dass Griechenland in Wirklichkeit doch keine Probleme habe, höchstens ein klitzekleines. Und der Euro so was von bombensicher sei. Man erinnert sich?
Und die CDS?
Inzwischen hat die Dunkelkammer ISDA beschlossen, dass die Schuldenmurkserei ein Ereignis darstellt, das die Fälligkeit von Kreditausfallversicherungen (CDS, Credit Default Swaps) auslöst. Es handelt sich dabei im Moment um lumpige 2,6 Milliarden Euro. Vermutlich. Also kein Anlass zur Panik, oder? Der US-Finanzriese AIG ist zwar bei der letzten Finanzkrise wegen solchen CDS untergegangen und musste mit über 180 Milliarden Dollar vom Bankrott gerettet werden. Kein Anlass zur Panik? Niemand weiss, wer genau selbst diese läppischen 2,6 Milliarden CDS bezahlen muss, weil sie «over the counter» gehandelt werden, unkontrolliert, unreguliert. Da das niemand weiss, leihen sich Banken schon lange nicht mehr gegenseitig Geld im Interbankinggeschäft. Kein Anlass zur Panik? Wenn eine Bank 10 Milliarden CDS im Feuer hat, aber für 9,9 Milliarden CDS gekauft, dann stehen in ihren Büchern nur 100 läppische Millionen Risiko. Ausser, sie kann diese 100 Millionen nicht zahlen und geht pleite. Dann gilt wieder das Gesetz des Brandbeschleunigers, wie bei allen Derivaten. Verwandeln sich schlagartig 100 Millionen in 19,9 Milliarden. Setzt die entsprechende Kettenreaktion ein. Kein Anlass zur Panik?