Man kann sechs verschiedene Mächte unterscheiden, die alle Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) führen:
- die Amerikaner mit ihren arabischen Verbündeten, Bahrain, Jordanien, Qatar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate.
- das Asad-Regime,
- der Irak,
- es gibt eine grosse Zahl kleinerer Gruppen von syrischen Aufständischen, die mit IS im Krieg stehen,
- die Kurden sowohl in Syrien wie im Irak,
- Iran, doch Iran ist gleichzeitig auch eine der wichtigsten Stützen des Asad-Regimes.
Dazu kommen noch Grossbritannien und Frankreich: zurzeit führt auch Frankreich Luftangriffe gegen IS durch, jedoch nur auf irakischem Staatsgebiet, nicht auf syrischem. In London wird darum gerungen, wie weit sich auch Grossbritannien engagieren soll.
Feinde gegen einander
Die sechs Kriegsführenden auseinanderzuhalten ist wichtig, weil sie sich bisher nicht dazu haben durchringen können, gemeinsam zu handeln, ja weil einige von ihnen trotz des gemeinsamen Feindes untereinander bitter verfeindet sind und sogar gegeneinander kämpfen.
Die USA und ihre Verbündeten wollen sich nicht mit dem Asad-Regime aussöhnen. Dieses wäre nur für eine Aussöhnung zu gewinnen, wenn die Amerikaner akzeptieren würden, dass Asad als das legitime Oberhaupt Syriens anerkannt wird. Die USA und die aufgezählten arabischen Golfstaaten sind auch nicht bereit, mit Iran zusammenzuarbeiten, weil immer noch keine Regelung im Atomstreit mit Teheran gefunden wurde und auch andere Gegensätze bestehen, die nicht bereinigt sind. Doch Iran arbeitet mit dem Irak zusammen, der gleichzeitig auch ein Freund und Schützling von Amerika ist.
Nachträglich war zu erfahren, dass bei der Befreiung des irakischen Ortes Amerli (nördlich von Bagdad) 700 iranische Kämpfer mitgewirkt hatten. Amerli war wochenlang von IS-Kämpfern von der Aussenwelt abgeschnitten worden. Iran spielt auch eine Rolle bei der Ausbildung schiitischer Milizen, die im Irak zum Einsatz kommen.
Der Irak hat seinerseits offiziell amerikanische Hilfe gegen IS angefordert. Die Kurden und die Amerikaner kollaborieren im Irak. Die syrischen Kurden wären gewiss bereit, das gleiche zu tun. Doch dem stehen Hindernisse entgegen: die wichtigste bewaffnete Macht der syrischen Kurden steht der türkisch-kurdischen PKK nahe (sie soll sogar einen Zweig der PKK darstellen), und die PKK gilt noch immer – laut amerikanischer Klassifizierung - als "Terrorgruppe".
Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund
Die Widersprüche treten vor allem in Syrien offen zutage. Das Asad-Regime und die USA sowie die mit Washington verbündeten arabischen Golfstaaten sind bittere Feinde. Diese Feinde bombardieren nun gemeinsam IS - nicht nur im Irak sondern auch in Syrien. IS ist auch ein bitterer Feind von Damaskus.
Washington erklärte, dass das Asad-Regime vor Beginn der jüngsten Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien verständigt worden sei. Damaskus bestätigte dies. Offenbar wurde der syrische Uno-Delegierte über die bevorstehenden Angriffe informiert. Er befindet sich noch immer in New York. Auf einer Medienkonferenz wurde Präsident Obama gefragt, was die USA unternehmen würden, wenn eines ihrer Flugzeuge von den Streitkräften Asads abgeschossen würde. Er antwortete, die USA würden dann die syrische Luftabwehr zerschlagen.
Fast gleichzeitig hat die israelische Luftabwehr ein syrisches Sukoy-Kampfflugzeug abgeschossen. Der Pilot konnte abspringen. Dies geschah, obwohl die Israeli einräumten, dass der Sukhoy wahrscheinlich irrtümlich 800 Meter weit in den von Israel kontrollierten Luftraum über den Golanhöhen eingedrungen sei. Das macht die Israeli nicht zu Verbündeten der Amerikaner im Krieg gegen IS. Doch aus syrischer Sicht könnte es beinahe so aussehen.
Weicht die syrische Armee US-Kampflugzeugen aus?
Heikel ist die Situation in der syrischen Provinz Idlib. Dort könnte es am ehesten zu Zusammenstössen zwischen syrischen Luftwaffe und amerikanischen Kampfflugzeugen (und ihrer Verbündeten) kommen. Die Provinzhauptstadt Idlib wird von der Asad-Armee kontrolliert. Doch die übrige Provinz wird dominiert von zahlreichen Widerstands- und Rebellengruppen. Dazu gehört die Nusra-Front, die heute gegen den „Islamischen Staat“ kämpft. Offenbar haben in Idlib amerikanische Kampfflugzeuge (oder Flugzeuge der Golfstaaten) Angriffe gegen Stellungen der Nusra-Front geflogen. Die Nusra-Aktivisten kämpfen jetzt nicht nur gegen IS, sondern auch gegen Asad.
Die syrische Luftwaffe hat bisher konkurrenzlos die Westseite Syriens beherrscht. Ob sie nun den Flugzeugen der amerikanischen Allianz kampflos ausweichen wird, ist ungewiss. Wenn sie es nicht tut, wächst die Gefahr von Zusammenstössen.
Was die Ostseite Syriens angeht, das Euphrat-Tal bis zur irakischen Grenze und die "Jezira" (übersetzt "die Insel"), die zwischen Euphrat und oberem Tigris liegt, so dürfte Damaskus für den Augenblick darauf verzichtet haben, dort seine Oberherrschaft mit Gewalt durchzusetzen.
Die wichtigste syrische Basis im Euphrat-Tal, Tabqa, die bei Raqqa liegt, wurde nach bitteren Kämpfen am 24. August von IS erobert. Die dort gefangenen Soldaten, die nicht fliehen konnten, wurden offenbar ermordet.
Stillschweigende amerikanisch-syrische Arbeitsteilung?
Damaskus will in erster Linie die seit langem umkämpfte Grossstadt Aleppo wieder ganz unter ihre Kontrolle bringen. Ziel der Asad-Armee ist es auch, den westsyrischen Raum womöglich bis zur türkischen Grenze wieder voll zu beherrschen.
Nordostsyrien, jenseits der Syrischen Wüste ist weniger dicht bewohnt; grosse Teile sind Wüste. In diesen Landesteilen will sich die syrische Armee erst später wieder engagieren. Dort besteht die Möglichkeit einer stillschweigenden Koexistenz mit den USA. Solange dort amerikanische Flugzeuge den gemeinsamen Feind IS angreifen, werden die syrische Flugabwehr und die syrischen Flugstreitkräfte wohl kaum aktiv. So könnte es im Kampf gegen IS eine stillschweigende Arbeitsteilung geben. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass es zu beabsichtigten oder unbeabsichtigten Zwischenfällen kommt.
Ein langer Krieg
Alle militärischen Sachverständigen erwarten einen langen, jahrelangen Krieg. Obama und Aussenminister Kerry haben bereits erklärt, der Kampf gegen IS werde über Obamas Amtszeit hinaus dauern. Diese läuft Ende 2016 aus.
Lange wird der Krieg auch deshalb dauern, weil die USA und die Europäer keine Bodentruppen einsetzen wollen. Doch viele militärische Sachverständige sind der Ansicht, dass ohne Bodentruppen der Krieg nicht zu gewinnen ist.
Bodentruppen stehen nur wenige zur Verfügung. Die irakische Armee muss neu ausgebildet werden. In ihrem heutigen Zustand ist sie offensichtlich unbrauchbar.
Die Kurden sind gute Kämpfer. Sie brauchen jedoch schweres Kriegsmaterial. Dieses wird ihnen jetzt geliefert, doch sie müssen erst noch lernen, es einzusetzen. Unklar ist zudem, ob die Kurden überhaupt bereit sind, ausserhalb der von Kurden bewohnten Gebiete gegen den Islamischen Staat zu kämpfen.
Später amerikanischer Strategie-Wechsel
Ungewiss ist auch, ob die irakischen Sunniten sich einst gegen IS erheben werden. Viel hängt davon ab, ob in Bagdad eine Regierung zustande kommt, der es gelingt, das vom früheren Regierungschef Nuri al-Maliki verscherzte Vertrauen der irakischen Sunniten zurückzugewinnen.
In Syrien ist die Zukunft noch ungewisser als im Irak. Obama will jetzt doch die sogenannt „gemässigten“ Kampftruppen aufrüsten. Dazu sollen 500 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt werden. Diese amerikanische Strategie kommt spät, wahrscheinlich zu spät.
Das Problem ist, dass es solch „gemässigte Kämpfer“ zurzeit kaum mehr zu geben scheint. Die meisten aktiven Gruppen stehen offenbar unter dem Einfluss der islamistischen Ideologie. Sie gehören entweder IS-feindlichen oder IS-freundlichen Kampftruppen an. Ausserdem kann die Loyalität schnell kippen. Am meisten Zulauf hatte bisher IS, da sie jene Gruppe ist, die am reichsten, am besten bewaffnet und am erfolgreichsten ist. Ob und wann sich das ändern könnte, ist zurzeit nicht absehbar.
Die Finanzierung von IS
Bisher erhielt der Islamische Staat Gelder aus den Golfstaaten. Das soll sich nun ändern. Die Staaten am Golf, allen voran Saudi-Arabien, scheinen nun entschlossen, IS nicht weiter finanziell zu unterstützen. Auch private Spenden sollen unterbunden werden. Dies kommt spät. Denn dem Islamischen Staat ist es inzwischen gelungen, an andere Geldquellen zu kommen: Einerseits gelangten sie an die Konten und die staatlichen Gelder in den Banken der nordirakischen Stadt Mosul, die IS erobert hatte. Zudem, und das ist für die Zukunft vielleicht wichtiger, zieht IS in den von ihnen beherrschten Gebieten Steuern ein, führt Enteignungen durch und erpresst die Bewohner. Ferner fliessen Gelder aus dem Erdölschmuggel, dem Verkauf von Antiquitäten und aus Raubgrabungen.
Doch diese Geldquellen könnten mit der Zeit langsam versiegen. Die Bevölkerung verarmt dermassen, dass sie kaum mehr erpresst werden kann. Doch auch das wird lange dauern.
Die Türkei am Rande
Zum Gesamtbild des bevorstehenden, langen Krieges gegen IS gehört auch die Haltung der Türkei.
Ankara ist zwar Nato-Mitglied, hat sich aber geweigert, der Allianz beizutreten, die den Luftkrieg gegen IS führen will. Die Gründe wurden nicht offen dargelegt. Im Vordergrund standen die 49 Geiseln, die sich in der Hand von IS befanden und die inzwischen frei gekommen sind. Dabei sollen nach den Erklärungen der türkischen Regierung keine Gelder geflossen sein. Doch ob es politische Versprechen gab, blieb unerwähnt. Gegenleistungen hat IS ohne Zweifel für die Freilassung verlangt und bekommen.
Sicher gibt es auch noch andere, über die Geiselfrage hinausgehende Gründe für die türkische Haltung. Die 900 Kilometer lange und schwer zu schützende Grenze mit Syrien spielt eine Rolle. Ebenso die Flüchtlingsfrage. Allein in den letzten Tagen sind über 150‘000 Kurden in die Türkei geflohen. Weitere werden kommen.
Die Flüchtlinge werden für die Türkei zu einer immer grösseren Belastung. Überlegungen werden jetzt angestellt, ob innerhalb Syriens an der türkischen Grenze eine Art „geschützte Zone“ für Flüchtlinge eingerichtet werden kann. Dazu bräuchte es Soldaten. Wer schützt diese Zone?
Die Türkei, Brückenkopf für Jihadisten
In einem anderen wichtigen Bereich ist eine stillschweigende Zusammenarbeit der Türkei mit den USA leichter.
Die Türkei war bisher ein Transitland für islamistische Freiwillige, die sich – aus dem Westen kommend – in Syrien oder im Irak den Jihadisten anschliessen wollen. Sie reisten als Touristen in der Türkei ein, begaben sich in den Grenzraum zu Syrien und meldeten sich in „Verbindungsbüros“. Diese brachten sie in die Kampfgebiete.
Diese Verbindungsstellen sind ohne Zweifel den türkischen Geheimdiensten bekannt oder leicht aufzuspüren. Es ist zu erwarten, dass ihre Aktivitäten nun gebremst oder gar lahm gelegt werden.
Warum dies nicht schon lange geschehen war, ist schwer zu verstehen. Vermutlich wollte die Türkei in erster Linie den Feinden Asads helfen. Das war ihr anfänglich wichtiger, als das Wachstum der syrischen Islamisten zu bremsen.
Inzwischen rekrutieren die Islamisten selbst in der Türkei potentielle Kämpfer, so in Quartieren von Istanbul. Den türkischen Behörden ist inzwischen bewusst geworden, welche Gefahren da lauern.
Die Türken können sich sagen: Wenn es ein langer Krieg werden wird, brauchen wir uns nicht von Anfang an zu engagieren. Später, wenn deutlicher wird, wer ihn gewinnen könnte, ist es immer noch Zeit, aktiv zu werden und Stellung zu beziehen. Dies hat für Präsident Erdogan auch den Vorteil, dass er sich weiter auf seine grossen innenpolitischen Pläne konzentrieren kann, bei denen es ihm darum geht, seine Herrschaft über das Land als künftiger Exekutiv-Präsident langfristig abzusichern.