Der Nebel lichtet sich. Man mochte sich so recht mit Roger Köppel und den Angriffen seiner „Weltwoche“-Agitatorentruppe auf den Service Public der SRG gar nicht mehr auseinandersetzen. Aber seit Christoph Blocher selber in der Albisgüetli-Rede die Idee einer neuen SVP-„Arena“ lanciert hat, ist jedenfalls klar, wohin die nächste Etappe auf dem Weg zum rechtsnationalen Fernsehen geht. Und was die SVP und prominente Verleger mit der stetigen Diffamierung des Service Public der SRG SSR als „Staatsmedien“ erreichen wollen.
Angriff auf die demokratische Medienverfassung
Liest man ihre Texte oder sieht und hört man sie - vom „Weltwoche“-Chefredaktor Roger Köppel zur SVP-Nationalrätin und Goldbach-Medienfrau Natalie Rickli bis hin zum Verlegerpräsidenten Hanspeter Lebrument und dem SVP-Strategiechef Christoph Blocher selber -, so fragt man sich, ob die vereinigten SRG-Kritiker in den letzten Jahren jemals die Konzession der SRG, das Radio- und Fernsehgesetz oder gar die Verfassung in der Hand gehabt und wenigstens auszugsweise gelesen haben.
Denn wer in Zusammenhang mit der SRG SSR ständig von „Staatsmedien“ spricht, hat entweder mit Wissenslücken zu kämpfen oder betreibt systematische Agitation und Propaganda. Es stellt sich die Frage, ob diese Propagandisten Volk und Stände auch dann ernst nehmen, wenn ihnen das Ständemehr und der Volkswille nicht in den Kram passt. Denn die Schweizerische Bundesverfassung erklärt unmissverständlich: „Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung sind gewährleistet.“ (BV Art. 93, Abs. 3).
Dass die Unabhängigkeit und Autonomie der Medien vom Staat wie alle Freiheit immer wieder neu erarbeitet und vielleicht auch erkämpft werden muss, versteht sich von selbst. Man kann und darf auch fragen, wieviel Raum die SRG als nationales Schweizer Medienunternehmen vernünftigerweise in Anspruch nehmen soll. Und schliesslich gehört es zum Alltag einer freiheitlichen Gesellschaft, die Erfüllung des Auftrags mit Kritik zu begleiten. Aber Auftrag, Konzession, Gesetz und Verfassung sind die Massstäbe.
Der Service Public der SRG sichert die Vielfalt der Meinungsäusserung gerade auch für die wirtschaftlich und sozial weniger Mächtigen in der Gesellschaft also für die Mehrheit der Bevölkerung. Wer versucht, diesen „Service Public“ sturmreif zu schiessen, muss sich fragen lassen, welche Ziele er oder sie damit verfolgt.
Auf dem Weg zum SVP-Fernsehen
Die ständige politische Agitation soll den Weg freihämmern für ein politisch ausgerichtetes „marktwirtschaftliches“, “privates“ Fernsehen nach SVP-Geschmack, das längst schon in Elementen erkennbar ist: „TeleBlocher“ auf dem Kanal des Schaffhauser Fernsehens und im Internet, das „Schweizerzeit-Magazin“ von SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (auf dem Kabelsender „Schweiz 5“ und im Internet) oder der „cc-Talk“ auf „Star TV“ mit Christoph Rohmer und SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti, der sich wöchentlich mit einem Thema aus der SVP-Agenda befasst. Alles noch billig gemacht, alles noch mit wenig Publikum, aber nun soll mit Blick auf die Eidgenössischen Wahlen 2011 offenkundig die nächste Stufe gezündet werden.
All diese Sendungen funktionieren nach dem gleichen Muster: Es werden die Themen bewirtschaftet, mit denen die Führungstruppe der SVP politische Wirkung erzielen will, und die eingeladenen Gäste stehen durchwegs oder mehrheitlich in Diensten oder in der Nähe der Schweizerischen Volkspartei. Ganz einfach ist es bei „TeleBlocher“, einer journalistischen Nullnummer, in der sich der Gesprächsführer Dr. Matthias Ackeret stets beflissen um die Gurifizierung des Parteiführers Dr. Christoph Blocher bemüht („Das Blocher-Prinzip“). Zu sehen auf dem Kanal des Schaffhauser Fernsehens, das angeblich die Sendung auch finanziert, und abzurufen im Internet.
Das „Schweizerzeit-Magazin“ von Ulrich Schlüer hat sogar eine Untersuchung des Bundesamts für Kommunikation BAKOM provoziert. Das Bundesamt hat versucht zu klären, ob die Sendung gegen das Verbot politischer Werbung in Radio und Fernsehen verstösst. Die Regel (in der Verordnung zum Radio- und Fernsehgesetz) will verhindern, dass sich finanzstarke Personen oder Organisationen durch den Kauf von Sendezeit einen politischen Vorteil verschaffen.
Die Untersuchung ist folgenlos geblieben, oder wie es in der offiziellen Mitteilung des BAKOM heisst: „Das BAKOM hat entschieden, kein Aufsichtsverfahren zu eröffnen, da wir keine Beweise haben, dass die Sendung durch eine politische Partei oder einen Politiker finanziert wird.“ Schlüers Sendung hält sich im Übrigen genau so wenig an das Gebot der Ausgewogenheit wie „teleblocher“ – muss aber auch nicht. Denn das „Schweizerzeit–Magazin“ läuft auf dem vorschriftsgemäss gemeldeten Kanal „Schweiz 5“, der keine Konzession hat, das heisst: die Informationen müssen sachgerecht sein, Ausgewogenheit in der Vielfalt der Meinungen wird aber nicht verlangt – das gilt nur für die konzessionierten Radio- und Fernsehveranstalter wie die SRG SSR.
Schweizerzeit, Schweiz5, Star TV, cc-Talk, Lobster Studios - und Blochers Robinvest
„Schweiz 5“, der Kanal des ewigen Radio- und Fernsehpioniers Peter Heeb, verbreitet neben dem „Schweizerzeit-Magazin“ vor allem Esoterik (Mike Shiva und andere), freikirchliche Botschaften, Unterhaltung aus dem Gebiet der Volksmusik, einen Sportcorner und gelegentlich auch Truck Racing. Mit den Lastwagenrennen ist Heeb offenbar mit dem Reifenhändler und Truckfahrer Markus Bösiger aus Langenthal in Kontakt gekommen, und mit Bösiger will Heeb und in Langenthal den neuen Sender „Mittelland TV1“ und von dort aus Blochers neue private „Arena“ auf die Beine stellen. Wunschmoderatoren: Filippo Leutenegger und/oder Roger Köppel, die von ihrem Glück nach Zeitungsberichten aber nichts wussten.
Peter Heeb sitzt mit „Schweiz 5“ zurzeit noch an der Wagistrasse in Schlieren, in den gleichen Gebäulichkeiten wie die kleinen „Lobster Studios“ – das Nachfolgeunternehmen der liquidierten Prime Time. Die Lobster Studios kamen nach einer existenzbedrohenden Krise mithilfe einer Unternehmensberatung wieder auf die Beine. Die Unternehmensberatung war Robinvest, Rahel und Christoph Blochers Firma, die später bei der „Basler Zeitung“ Schlagzeilen machte.
Robinvest besass zeitweise 52 Prozent der Lobster Studios und zog sich Mitte 2010 aus dem Unternehmen zurück:“ „Wir haben die Altlasten aus Zeiten der Prime Time beseitigt und das Unternehmen mithilfe der Familie Blocher saniert“, heisst es in der Mitteilung der Lobster-Geschäftsführung. – Manch einer fühlt sich beim Namen „Robinvest“ mittlerweile erinnert an das Gewürm aus Science Fiction-Filmen, das sich in halb toten Körpern einnistet, sie wieder belebt und dann von innen heraus steuert. Aber das sind selbstverständlich Horror-Phantasien. Die Lobster Studios produzieren werblich angehauchte Sendungen wie „wohnraum.tv“ und „kochen.tv“ und weitere Auftragsproduktionen.
An der Wagistrasse in Schlieren sitzt auch „Star TV“. Gerüchte über Verbindungen mit Christoph Blocher wurden nie bestätigt. „Star TV“ produziert und sendet den „cc-Talk“ mit Christoph Rohmer als Diskussionsleiter und dem Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti. Die beiden laden in der Regel einen weiteren Gast ein, der der SVP nahe steht – zum Beispiel den stellvertretenden „Weltwoche“-Chefredaktor Philipp Gut oder Roger Köppel persönlich, alt-Regierungsrätin Rita Fuhrer oder Nationalrat Adrian Amstutz -, und als Opfer der Drei wird ein vierter Gast eingeladen: Anton Schaller (ehemals Schweizer Fernsehen), Chantal Galladé (SP ZH). Oder vor der Ausschaffungsinitiative Andrew Katumba, Zürcher Gemeinderat in der Sendung mit dem schönen Titel „Schwarze Menschen in der Schweiz“. Ganz ohne rassistische Züge, nach dem immer wieder beliebten Motto: Viele sind leider kriminell, aber es gibt auch nette Schwarze. - Rohmer und Zanetti betreiben gemeinsam auch die Website „politik.ch“, mit einer ihren Zwecken dienlichen Auswahl von Meldungen, Berichten und Kommentaren.
Konzertierte Aktion – SRG als „Staatsmedien“ und „service totalitaire“
Es versteht sich von selbst, dass der „cc-Talk“ an der konzertierten Aktion teilgenommen hat, die über das letzte Wochenende gegen die SRG SSR stattgefunden hat.
Die Sendung lief unter dem Titel „Service public oder service totalitaire“ – offenbar in Anlehnung an eine Bemerkung von Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument bei der „Dreikönigstagung“ des Verbands Schweizer Medien. Lebrument hatte dort bereits „ungarische“ Verhältnisse für „die staatlichen Medien, bei uns verharmlosend öffentlich-rechtliche Medien genannt“ warnend in Aussicht gestellt. Die SVP-Nationalrätin und Vizepräsidentin der Aktion Medienfreiheit, Natalie Rickli, malte das gleiche Schreckbild im „cc-Talk“ vom letzten Donnerstag. Mit „Service public oder service totalitaire?“ war die SRG gemeint; ihr wurde in Abwesenheit der Prozess gemacht von Natalie Rickli selber, von „Weltwoche“-Redaktor Andreas Kunz und von den beiden Gastgebern Claudio Zanetti und Christoph Rohmer. – Service totalitaire?
Am gleichen Tag schoss die „Weltwoche“ eine Breitseite gegen das „Raumschiff Leutschenbach“, also gegen das Schweizer Radio und Fernsehen SRF – das sie interessanterweise mit der SRG gleichsetzt... Die Radio Télévision Suisse, die Radiotelevisione Svizzera und die Radiotelevisiun Svizra Rumantscha nehmen dieses interessante Verständnis des Schweizer Service Public sicher dankend zur Kenntnis.
Einen Tag später produzierte „Schweiz 5“ erstmals eine live-Übertragung von Blochers Albisgüetli-Rede mit den gleichen Attacken gegen das „Staatsfernsehen“. Es war die Rede, in der Christoph Blocher auch die Idee einer privaten „Arena“ lancierte. Die Sendung, so Peter Heeb von „Schweiz 5“, soll spätestens im August starten, zur heissen Phase des Wahlkampfs. Die Idee war bereits im „cc-Talk“ in die Öffentlichkeit gebracht worden.
Die Rechnung ging auf: Die „NZZ am Sonntag“ brachte das Projekt auf der Titelseite, die online-Medien des „Newsnetz“ (Tages-Anzeiger und andere) zogen nach. Die Idee war in der Öffentlichkeit platziert. Die „Basler Zeitung“, die am Montag nach dem Albisgüetli ein doppelseitiges Interview aus dem Robinvest-Büro brachte, mit Christoph Blocher vor einem Hodler-Gemälde, konnte auf das Fernsehthema sogar verzichten und Blochers Angriff auf EU-Befürworter ins Zentrum stellen: „Wer in die EU will, der ist kein richtiger Schweizer“.
Attacke mit Platzpatronen
Es knallte laut im Alibisgüetli, und der Applaus war ihm sicher, aber in Wirklichkeit schoss Christoph Blocher in seiner Rede mit Platzpatronen. Bei seiner Attacke gegen das „Staatsfernsehen“ behauptete er, die SVP habe unter der neuen Leitung von SRF-Direktor Ruedi Matter keinen Platz mehr in der Arena. Sein Pech: bei der Begrüssung hatte Zürichs SVP-Präsident Alfred Heer die Verspätung von SVP-Bundesrat Ueli Maurer entschuldigt – weil der VSB-Chef in der Arena gegen die Waffeninitiative antreten musste, zusammen mit der Schiesssport-Präsidentin Doras Andres und konfrontiert mit Chantal Galladé (SP) und Hanspeter Uster (Grüne).
Die Konfrontation in der „Arena“ wird auch künftig bleiben. Ein Anruf bei SRF hätte genügt, um zu erfahren, dass „Rede und Gegenrede“ auch in Zukunft nicht „verachtet“ werden und man sich am Leutschenbach durchaus nicht „in der Harmonie suhlen wird“. Unerwünscht bleiben lediglich unflätige Attacken wie in der ‚Amstutz’-„Arena“, erwünscht bleibt neben Schlagabtausch und Konfrontation aber auch der Austausch von relevanten Argumenten zu relevanten Themen.
„cc-Talk“: Mit der Arroganz völliger Unkenntnis
Mit ähnlichen Schwächen wie der Chef hatten auch die Hilfstruppen im „cc-Talk“ zu kämpfen. Andreas Kunz, der Medienredaktor der „Weltwoche“, präsentierte als grossartiges Recherche-Ergebnis zur Definition des „Service Public“ den Hinweis auf eine 25seitige PR-Broschüre aus der Aera Walpen, die die Leistungen der SRG SSR einigermassen ausführlich darstellt. Die Broschüre ist auf der Website der SRG für alle leicht zu finden.
Noch leichter zu finden wäre dort unter dem Menupunkt „Service Public“ eine knappe Definition des Auftrags der SRG. Sie beginnt mit dem Hinweis auf die „Sicherstellung der Meinungsvielfalt“ und endet 16 Zeilen später mit der Feststellung, dass die SRG „von politischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängig ist.“ – Was man vom „cc-Talk“ nicht sagen kann.
Auch auf Ricklis oder Rohmers oder Kunzens oder Zanettis ratlose Frage, ob denn auch Unterhaltung zum „Service Public“ gehört, hätte die Runde leicht eine Antwort finden können. Man kann die rechtlichen Grundlagen der SRG von der Konzession über das Radio- und Fernsehgesetz RTVG bis zur Verfassung hinauf und hinunter buchstabieren: „Unterhaltung“ ist unmissverständlich Teil des Service Public festgeschrieben. Man darf annehmen, dass Volk und Stände damit nicht nur eine ethische Qualität der Unterhaltung sicherstellen sondern das Schweizer Radio- und Fernsehunternehmen gegenüber (ausländischer) kommerzieller Konkurrenz wettbewerbsfähig halten wollten.
Ganz eigentümliche Probleme zeigt Natalie Rickli, die „Medienexpertin“ der SVP, auch bei Begriffen wie „Kultur“ und „Bildung“ – die während der ganzen „cc-Talk“-Runde nicht einmal erwähnt wurden. Die Vizepräsidentin der „Aktion Medienfreiheit“, hält Generaldirektor de Weck vor, dass er sich mit der SRG „im Dienst des Gemeinwesens...an die Citoyens wenden“ will, sprich: an „aufgeklärte, gut informierte Bürger“. Und dass er beabsichtigt, Angebote zur Bewältigung einer komplexen Wirklichkeit bereit stellen will. „In Umbruchzeiten hilft das Wissen um unsere Welt und unsere Herkunft, die Zukunft zu gestalten.“ (De Weck in der NZZ vom 4. Januar 2011). – Rickli: „Themen anregen kann ja nicht Aufgabe der SRG sein!“ Die Frau Nationalrätin muss sich schon fragen lassen, ob sie denn das Volk lieber dumm und unaufgeklärt halten will? Anfällig für einfache Slogans und Fehlinformationen.
Stein des Anstosses: das Internet
In die Kategorie Fehlinformation fallen nicht zuletzt die Behauptungen über die Internet-Aktivitäten der SRG. Rickli und die „cc-Talk“-Runde zitieren gerne den Verlegerpräsidenten Lebrument, der in einem Gutachten klären lassen will, ob die SRG mit ihren Online-Angeboten gegen die Konzession verstösst. Und die ehemalige Publikumsrätin der Region DRS behauptet schlankweg: „In der Konzession steht nichts über Internet.“ (Rickli im „cc-Talk“)
Das ist nun leider auch wieder falsch.
Artikel 9 der SRG-Konzession gestattet ausdrücklich die Verbreitung von SRG-Sendungen über Internet (Streaming). Und später werden als „übriges publizistisches Angebot“ ausdrücklich „programmbezogene, multimedial aufbereitete Beiträge“, „Hintergrund- und Kontextinformationen“ sowie „Informationen zu Basiswissen mit Bezug zu bildenden Sendungen“ erwähnt (Art. 12 und Art. 13). Das ist ein weites Feld. Und in diesem Feld bewegt sich die SRG SSR ziemlich zweifelsfrei.
Konvergenz als globaler Trend
Das Problem ist nicht, dass die SRG diese Leistungen erbringt. Das Problem ist, dass sie diese Leistungen erst jetzt erbringt, sprich: dass die „Konvergenz“ der Medien erst jetzt in eine organisatorische Form gebracht wird. De Wecks Aufbruch ins trimediale Zeitalter ist heute eine Existenzfrage.
Weil die Technologie ohnehin zusammenwächst: Fernsehen, Radio und Internet-Aktivitäten laufen über den gleichen Bildschirm.
Weil die junge Generation sich vom Fernsehen ins Internet verabschiedet – und wenn wir an einer demokratischen Öffentlichkeit auch in Zukunft interessiert sind, muss der Service Public seine Angebote auch über das web verbreiten.
Weil insbesondere die spezifischen Angebote des Service Public in Information, Bildung und Kultur aus der Synergie der drei Kanäle, und ihrer Interaktivität, besonderen Gewinn ziehen – in Interesse der Nutzer.
Und das heisst: Weil jedes Radio- und Fernsehunternehmen zum Tode verurteilt ist, das sich nicht entschlossen auf den Weg in die hybride Zukunft macht, in der Radio-, Fernseh- und Online-Inhalte zu einem grossen Informationsstrom zusammenfliessen.
Darum eröffnet die BBC in diesem Jahr in Manchester ihre neue „MediaCity“ für 2300 Mitarbeiter in Radio, Fernsehen und Internet – auf einem Gelände von 0.8 Quadratkilometer, auf dem sich auch die private ITV ansiedeln wird sowie eine Anzahl von unabhängigen Produktionsfirmen. Das Projekt soll innert fünf Jahren 10'000 Arbeitsplätze und rund 1 Milliarde Pfund für die Region generieren.
Darum fördert die EU Multimediaprojekte von nachhaltiger Bedeutung mit Millionenbeträgen.
Darum hat der National Film Board of Canada NFBC mit grossen lateinamerikanischen Partnern eine Zusammenarbeit zur Entwicklung von Multimedia-Aktivitäten vereinbart.
Darum verlangt Tom Koch, Vizepräsident des amerikanischen Public Broadcasting PBS von allen neuen Mitarbeiter_innen, sich als Produzenten für Multimedia zu verstehen. – Rudolf Matters Forderung and die Radio- und Fernsehmitarbeiter, auch Leistungen für die Online-Angebote zu erbringen, wirkt demgegenüber schon eher bescheiden.
Demontage der SRG – für private politische Medienprojekte?
Wer trotz all dem – wie die SVP oder manche Schweizer Verleger – die SRG bei dieser Entwicklung bremsen will, muss sich fragen lassen, welches politische oder geschäftliche Sonderinteresse dahinter steckt.
Im Interesse des Landes kann es jedenfalls nicht sein, die Multimedia-Aktivitäten bei der SRG auf Provinzgrösse zu schrumpfen. Sie muss das Potential des Internets und der Medien-Verbindung für die vertiefte Information, für die Komplexität der Bildung und die Kreativität der Kultur voll nutzen können. Im Dienste der Gebührenzahler.
Und es wäre zu billig, die Schwäche der Schweizer Verlagshäuser einfach der SRG SSR anzulasten. Sie hatten in den letzten Jahren ihre Chance, und sie haben sie nicht wahrgenommen.
Niemand hat die grossen und mittleren Medienunternehmen verpflichtet, das Internet fast nur als kommerzielles Projekt, das heisst: als Vehikel der Wertschöpfung zu betrachten und nicht als publizistische Chance. Niemand hat sie daran gehindert, die Zusammenarbeit mit Universitäten oder anderen Bildungseinrichtungen zu suchen. Keine intelligente Kultureinrichtung – Museen, Theater, Musikhäuser, Kinos - hätte sich geweigert, mit ihrem Potential ein gutes Online-Angebot noch aufzuladen. Aber dann hätten die Verlage ihre Redaktionen nicht gerade auf diesen Gebieten ausdünnen dürfen.
Die Online-Angebote der SRG SSR auf der anderen Seite sind von wachsender Qualität – und sie stehen ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung, als Teil des bestehenden Service Public.
Und es geht ja den Verlegern vor allem um Geld. Sie fürchten um eine Einnahmequelle, wenn die SRG nicht nur ihr Online-Angebot ausbaut sondern auch noch Werbung anbietet. Denn die „Crossmedia“-Werbung ist in ihren Augen – und in den Augen der Werbewirtschaft – das grosse Ding der Zukunft, der „Hype“ der nächsten Jahre.
Internet-Werbung und Service Public der SRG
Man kann in der Tat die Frage stellen, ob die SRG im Internet auch Werbung platzieren muss. Es wäre immerhin denkbar, dass das Internetangebot der als gebührenfinanzierte Dienstleistung definiert, auch wenn es weh tut. Damit würde das legitime kommerzielle Interesse der vom Markt voll abhängigen privaten Medienunternehmen berücksichtigt.
Da scheint vielleicht sogar Verständigung möglich. Denn bei manchen grossen Verlagshäusern scheint sich die Einsicht in die unaufhaltsame Entwicklung durchzusetzen. Ringier-Konzernchef Christian Unger, ein Mann mit der nötigen Distanz zu kleinkarierten Hakeleien und mit viel internationaler Erfahrung auf dem Gebiet der Internet-Entwicklung, erklärte dieser Tage ohne Wenn und Aber: „Ich würde den Aktionsradius der SRG nicht eingrenzen. Ich würde die SRG laufen lassen. Sie ist dabei, eine digitale Offensive zu starten.“ (NZZ, 18. Januar 2011).
Unger würde allerdings je nach Erfolg oder Misserfolg der SRG die Gebühren gestalten – auch das ist ein politisches Druckmittel.
Und das publizistische Ringier-Flaggschiff „Blick“ unterstützt jetzt schon durch lautstarke Begleitung auf dem Boulevard die Gebührensenkungskampagne von Natalie Rickli und der SVP. Das „Gebührenmonster“ ist ja auch ein schönes Boulevardthema, mit dem man Emotionen bewirtschaften kann. Und die Kampagne unterstützt die Unternehmensinteressen eines Grossverlags, der weiter darüber nachdenkt, einen eigenen Fernsehkanal zu betreiben.
Die Gebührensammler der Billag haben den SRG-Gegnern ja auch eine politisch-psychologische Steilvorlage geliefert.
Es ist zwar richtig, dass die Umstellung auf die einmalige Zahlung der Radio- und Fernsehgebühren Einsparungen von rund 10 Millionen Franken bringt, die ins Programm oder in eine Gebührensenkung investiert werden können. Aber richtig ist auch, dass die einmalige Zahlung von 462 Schweizer Franken wesentlich mehr schmerzt als die vierteljährliche Zahlung von jeweils 115.50 – auch wenn nach Adam Riese am Ende die gleiche Summe steht.
Haushalt - statt Gerätegebühr
Und dass nach dem BILLAG-Desaster beim bürokratischen Gebühreneinzug das BAKOM, der Bundesrat und das Parlament über eine neue Gebührenregelung nachdenken, gibt Rickli und der SVP die Chance, von einer neuen „Mediensteuer“ zu faseln. Dabei geht es um eine Vereinfachung und eine Anpassung an die neue Technologie. Wenn Radio und Fernsehen auf den verschiedensten Geräten empfangen werden können, vom Fernseher bis zum PC und zum Handy, erscheint es nur logisch, nicht mehr die Geräte mit Gebühren zu belegen sondern die Haushalte und – mit Ausnahme der Kleinstbetriebe – auch die Unternehmen.
Das Ergebnis dieser Haushaltgebühren wäre: eine Vereinfachung der Einzugsverfahren und eine Verbilligung für die meisten Gebührenzahler – nämlich: nur noch eine einzige Gebühr je Haushalt. Und wenn mit dem Bevölkerungswachstum die Gebühreneinnahmen allenfalls leicht steigen, tut das niemandem weh und – attraktiver Service Public vorausgesetzt – allen wohl.
Die Geldfrage: privat ist nicht gratis
Frau Rickli liefert denn auch nicht die geringste sachliche Begründung zum Beispiel für die Grössenordnung ihrer „Gebührenmonster“-Petition: „200 Franken sind genug!“ Sie verfolgt mit diesem Vorstoss nichts anderes als die Demontage des Service Public: Die SRG soll innert zehn Jahren reduziert werden „auf ein Radio- und Fernsehprogramm pro Sprachregion, verbunden mit entsprechenden Gebührensenkungen“, heisst es im Parteiprogramm der SVP. Und über die Gebühren-Petition ist eine Anti-SRG-Stimmung leicht zu mobilisieren.
Nichts gesagt wird über die Folgen der Gebührenhalbierung für die Suisse Romande und die italienischsprachige Schweiz. Unabhängige Experten gehen davon aus, dass diese Sprachregionen dann von ausländischen Sendern dominiert würden.
Auch nicht aufgeklärt wird das geneigte Publikum darüber, dass es auch für das kommerzielle Privatfernsehen bei jedem Einkauf eine Gebühr bezahlt: Mit dem Anteil Werbekosten, der in Preis enthalten ist, von der Babywindel über die Hautcrème bis zum Schweizer Fleisch. Die Konsumenten bezahlen bei jedem Einkauf bei der Migros oder im Media Markt. Auch wenn sie nicht RTL oder Sat1 schauen. – Wir sind doch nicht doof?
Schwächung des Service Public für schwache Private?
Aus der Demontage der SRG könnte selbstverständlich eine kapitalstarke politische Partei Nutzen ziehen. Die SVP zum Beispiel. – Welche Partie sonst noch?
Aber es muss ja nicht Demontage sein. Nicht jeder Fernsehkanal der SRG SSR ist zwingend von Ewigkeitswert. SFinfo kann durch online-Streaming sehr bald mindestens gleichwertig ersetzt werden. Und HDsuisse wird bald auch die technische Begründung fehlen; der Kanal ist allerdings als wertvolles Angebot für den Austausch zwischen den Regionen ausbaufähig.
Vielleicht möchte sich ja ein grosser Verlag auf einem frei gewordenen Kanal versuchen.
Ringier denkt nach über ein solches Projekt. Aber das Unternehmen hat sich nach eigenem Bekunden vom publizistischen Unternehmen zum Unterhaltungskonzern gewandelt, in dem Medien vor allem einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten müssen. Das gilt für „Blick“ und „Sonntagsblick“ und fast alle anderen Druckerzeugnisse, es gilt für das Ringier-„Radio Energy“, und es würde auch für einen eigenen Fernsehsender gelten. Und Ringier ist schon heute stark mit dem deutschen Springer Verlag und dem kommerziellen Sender Sat1verbunden. Viel Schweizer Service Public ist aus diesem Haus kaum zu erwarten.
Tamedia verkauft sich publizistisch auch schon mehrheitlich auf dem Boulevard „Tele Züri“ ist „aktuell, emotional und unterhaltend“ (Tamedia), das publiozistische online-Angebot des Verlags ist dünn, und die ganze Verlagspolitik geht wie bei Ringier deutlich in Richtung „Wertschöpfung“, sprich: Das Geld bestimmt auch die Tamedia-Welt. – Service Public für die Schweiz? Vielleicht zusammen mit dem deutschen Bertelsmann-Verlag?
Bleiben die „Neue Zürcher Zeitung“ und regionale Verlagsgruppen wie Hanspeter Lebruments Südostschweiz oder Peter Wanners AZ Medien (vielleicht bald im Verbund mit Moritz Suters BaZ?), die sich immer noch um Qualität bemühen aber keineswegs in der Lage sind, einen überregionalen Fernsehsender zu lancieren.
Schweizer wählen SRG
Und doch wabert bis heute durch die Phantasien von Privatfernsehmachern, Internet-Aktivisten und ICT-Unternehmern die Vorstellung, es könne sich in den verschiedenen Regionen der Schweiz so etwas wie eine selbsttragende Medienszene entwickeln – wenn nur die SRG einmal zurechtgestutzt wäre und dafür vielleicht etwas mehr Gebührengelder zu den „Privaten“ fliessen würden. Das wäre dann eine „gute private “ Gebühr im Unterschied zur „schlechten staatlichen“ Gebühr für die SRG. Diese Gruppe von Privatunternehmern zählt unter anderem auf das politische Lobbying der Economiesuisse – Ansätze dazu sind vorhanden. Und sie hofft auf das offene Ohr von Frau Bundesrätin Leuthard. Hanspeter Lebrument hat nach der Departementsverteilung die Vorsprache bei der neuen UVEK-Chefin unverzüglich angekündigt - auch wenn sich der Verlegerpräsident sonst als in der Wolle gefärbter Gegner von „Staatsfernsehen“ und „Staatsmedien“ gibt.
Aber das Projekt rechnet sich höchstens politisch, es rechnet sich wirtschaftlich kaum. Allein schon, wegen der kleingeistigen Denkweise der Schweizer Medienunternehmer. So ist es bis heute nicht gelungen, die Schweizer Lokalradios, die Schweizer Regionalfernsehen zu einer wirksamen Zusammenarbeit zu vereinen. Wie soll dann so etwas wie ein überregionales, selbsttragendes Mediensystem entstehen?
Und wenn es sich rechnet, dann nur für die Deutschschweiz. Ein langjähriger professioneller Beobachter der Schweizer Medienszene aus der lateinischen Schweiz, hat zu solchen Ideen gesagt: „Wenn ein Unternehmen für den Deutschschweizer Markt mit vier Millionen Einwohner ein selbsttragendes Radio und Fernsehen auf die Beine stellt, kann ich nur gratulieren. In der Suisse Romande dominiert dann das französische Staats- und Privatfernsehen von Sarkozys Gnaden, und im Puschlav und im Tessin werden wir dann Berlusconis Mediaset geniessen.“ Die Rätoromanen würden dann wohl wieder in Zürich angesiedelt.
Ohne Finanzausgleich für die kleineren Sprachregionen, die ein existentieller Teil der Schweiz sind, könnte man die Gebühren tatsächlich auf etwa 260 Franken reduzieren, sagt der SRG-Finanzchef Daniel Jorio. Mit Natalie Ricklis Mediengebühr von 200 Franken im Jahr lässt sich gerade noch ein kleiner Service Public in der Deutschschweiz oder ein absolutes Minderheitenprogramm in allen Sprachregionen produzieren, zur Freude kommerzieller Anbieter und der SVP. Der Beitrag des Service Public der SRG SSR zum Zusammenhalt der Schweiz, die sogenannte „Klammerfunktion“, hätte sich dann erledigt. Unter genau diese Klammerfunktion will der Freiburger Roger de Weck als Generaldirektor mit einem verstärkten Austausch zwischen den Regionen stärken.
Für Natalie Rickli und die Führung der SVP mit ihrer Winterhurer und Zürcher Perspektive endet die Schweiz medienpolitisch aber am Röschtigraben. Die „echten Schweizer“ nehmen offenbar in Kauf, dass die das Land nach der Demontage des Service Public in Radio, Fernsehen und Internet beherrscht wird von kommerziellen Interessen – Medien als Teil der Wertschöpfung – ,von parteipolitisch gesteuerten Medien oder von internationalen Medienkonzernen.
Mit ihrer Kampagne gegen den Service Public der SRG wirft die SVP klar die Frage auf, ob Frau und Herr Schweizer weiterhin ein starkes nationales Medienunternehmen mit einer garantierten Vielfalt und Unabhängigkeit wollen, das auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt und zur Identität der Schweiz leistet. Oder ob sich Volk und Stände für ein Mediensystem entscheiden, das von kommerziellen und parteipolitischen Interessen durchsetzt ist, von welcher Seite auch immer.
Die Antwort kann eigentlich nur heissen: „Schweizer wählen SRG.“