Der türkische Präsident Erdoğan lässt sich sein Ja zur Aufnahme Schwedens in die Nato vergolden – nicht mit Bargeld, aber mit vielem anderem. Ein Blick auf die Zugeständnisse und Preise:
Er erhält nun die modernisierte Version der F-16-Kampfflugzeuge aus den USA, er bekommt mindestens schöne Worte aus Brüssel für eine Wiederbelebung jener langwierigen Gespräche, die irgendwann zur Aufnahme der Türkei in die EU führen sollen. Er erhält von Schweden die Zusage, dass von nun an kein Embargo mehr gelte für Rüstungsexporte in die Türkei, und er bekommt zumindest indirekt das Einverständnis der Schweden, dass hoch oben im Norden nicht nur Leute unter genaue Beobachtung genommen werden, die sich der kurdischen PKK verbunden fühlen, sondern auch Sympathisanten der kurdischen YPG.
Doppelspiel
Das ist jene Gruppe von Kurden und Kurdinnen, die in einem Landstreifen im Norden Syriens versuchen, ein autonomes Gebiet unter dem Namen Rojava zu etablieren. Das Gebiet hat (geschätzt) etwas mehr als vier Millionen Einwohner, es wird seit 2016 von türkischen Streitkräften angegriffen und wurde von diesen auch teils besetzt. So lange, als es der Strategie der USA nützlich erschien, erhielten die YPG-Kurden amerikanische Unterstützung. Als sich das als nicht mehr opportun herausstellte, liess Washington dieses Segment der komplexen kurdischen Gesellschaft fallen und setzte sie dem türkischen Bombenhagel aus.
Der türkische Präsident seinerseits wirft den YPG-Kurden im Rojava-Gebiet vor, sie würden Araber und Turkmenen diskriminieren. Das ist ein Vorwand für die Attacken der türkischen Streitkräfte gegen die YPG-Kurden und für die Besetzung von Gebieten in Syrien, auch über die von der YPG kontrollierte Zone hinaus. Und weil die Regierung Schwedens erkannte, dass der Vormarsch der türkischen Streitkräfte in Syrien illegal, das heisst nirgendwo durch internationales Recht gedeckt ist, verhängte sie das erwähnte Waffenexport-Verbot. Die kurdische PKK, das eigentliche «rote Tuch» Erdoğans, schränkte Schweden in Bezug auf die Möglichkeiten, sich öffentlich zu betätigen (Geldsammlungen, Demonstrationen) ein, das heisst sie tat so, als handle sie in Übereinstimmung mit der Politik der anderen EU-Staaten (die die PKK verboten haben), ging aber in der Tat nur sporadisch gegen Aktivisten der Interessengruppe vor. Erkennbar bemüht darum, die kurdische Exilgemeinschaft (ca. 150’000) nicht zu brüskieren und die internationale Gemeinschaft, die ja generell grossen Respekt vor der schwedischen Achtung der Menschenrechte hat, nicht vor den Kopf zu stossen.
«Ausverkauf demokratischer Werte»
Aber seit 2022 (das fiel in etwa zusammen mit dem Anfang der Blockade des schwedischen Beitrittsgesuchs zur Nato durch die Türkei) gab es dann erste juristisch schmerzhafte Schritte gegen Kurden in Schweden, allerdings nur gegen Personen, die eindeutig straffällig geworden waren, insbesondere im Bereich von Drogendelikten. Die Regierung in Stockholm hatte kurz zuvor eine Vereinbarung mit jener in Ankara geschlossen, die Auslieferungen von Straffälligen unter gewissen Voraussetzungen vorsah.
Für die türkische Regierung sind Kurden fast immer Terroristen – also machten sich die Türken daran, die schwedischen Justizbehörden zu überzeugen, kurdische Drogenkriminelle seien Terroristen. Das Oberste Gericht Schwedens entschied dann, dass ein Kurde – nach der Verbüssung seiner Haft im Land – in die Türkei ausgeliefert werden kann. Das war eine Entscheidung, die in Schweden unter dem Schlagwort, das sei «Ausverkauf demokratischer Werte», zu Protest führte. Der Korrespondent der NZZ fasste damals zusammen: «Der Fall des PKK-Anhängers wirft erstmals konkret die Frage auf, ob jemand wegen der verübten Delikte oder wegen seiner Gesinnung ausgeliefert werden soll.»
Als Schweden, schockiert durch Russlands Überfall auf die Ukraine und den blutigen Verlauf des Konflikts, den Antrag auf den Nato-Beitritt stellte, konnte oder wollte sich wohl niemand irgendwo im Westen vorstellen, dass der türkische Präsident ein volles Jahr lang seine Blockade-Strategie durchhalten könnte. Man hatte auch zu wenig Phantasie, um sich auszumalen, welche Forderungen er immer wieder neu vorbringen würde: eine «zu geringe Bereitschaft» der Schweden, Terror zu bekämpfen; «ungerechte Sanktionen» vonseiten Schwedens gegen die Türkei in Bezug auf Rüstungslieferungen; Renitenz der US-Amerikaner hinsichtlich der Lieferung von modernisierten F-16-Kampfflugzeugen; «antiislamische» Grundhaltung in Schweden zum Islam, erkennbar an Koran-Verbrennungen, die sogar noch von schwedischen Behörden erlaubt worden waren.
Triumph einer «Realpolitik»
Und er setzte sich mit allem, wirklich allem, durch. Was konkret heisst: Er, respektive seine Streitkräfte, dürfen nun, auch wenn das total illegal ist, weite Regionen in Syrien besetzen und überall dort ihre Bomben abwerfen, wo sie es für sinnvoll halten. Man würde ihn wohl auch, wenn er das für notwendig hielte, wieder gegen die Kurden im Irak agieren lassen.
Es ist der Triumph einer «Realpolitik», die sich sehr viel erlauben kann, weil sie im Einklang zu stehen scheint mit einer «höheren Ordnung». Im konkreten Fall heisst das: Die so genannte internationale Gemeinschaft ist gerne bereit, beispielsweise Kurden zu opfern, und, was Schweden betrifft, sogar ein wenig an rechtsstaatlichen Grundsätzen zu kratzen, um etwas Wichtigeres zu erreichen, also den Beitritt Schwedens zur Nato.
Das Dilemma, grenzüberschreitend, ist tatsächlich: Der Beitritt Schwedens zur Nato ist angesichts des Kriegs essentiell, Schweden muss unter den Sicherheitsschirm – aber wie viel man dafür opfern muss, das zumindest darf auch noch im Nachhinein gefragt werden.