Er war der allgegenwärtige Hyperpräsident, der drei Jahre lang wie ein Derwisch durchs Land fegte. Einer, der sich zu allem und jenem äusserte, - auf den Fusspitzen wippend , den Zeigefinger anklagend ausgestreckt, vor Mikrophonen und Kameras, die ihm bei der Jagd durch Frankreich kaum hinterher kamen.
Er gab vor, sich um alles selbst zu kümmern und degradierte seine Minister - Premierminister eingeschlossen - zu einfachen „ Mitarbeitern“. Dieser rastlose Vielredner hat jetzt seit 6 Wochen praktisch keinen Mucks von sich gegeben.
Letzte Grüsse aus Grenoble
Gewiss, am 30. Juli hatte Nicolas Sarkozy in Grenoble noch einmal geredet, umrundet von dunkel gekleideten, finster schauenden Polizisten, Präfekten und Ministern eine historische Rede von inzwischen trauriger Berühmtheit gehalten. Erstmals in der Geschichte der 5. Republik kündigte ein Präsident frank und frei an, er gedenke gegen die Verfassung der Republik zu verstossen, über die er, als höchste Person im Staat, eigentlich zu wachen hat.
Denn Nicolas Sarkozys in Grenoble geäussertes Ansinnen , eingebürgerten Franzosen , welche gegen Polizisten und andere Vertreter der Staatsgewalt mit Waffen vorgegangen sind, die Staatsbürgerschaft aberkennen zu wollen, verstösst schlicht gegen Artikel 1 der französischen Verfassung.
Danach sind vor dem Gesetz alle Franzosen gleich , unabhängig ihrer Herkunft, Rasse oder Religion. Doch Verfassung hin oder her, die Botschaft an die Bevölkerung war wichtig und die lautete: „ Wir tun etwas gegen die dunkelhäutigen Franzosen in unseren Vorstadtghettos“. „Wie jedem Gesetzesbrecher muss man dem Gesetzesbrecher Sarkozy das geltende Recht in Erinnerung rufen“ – lautete die Reaktion des ehemaligen Direktors der Tageszeitung Le Monde, Edwy Plenel. Der Ton war plötzlich rauer geworden im Land und so mancher erinnerte daran, dass Frankreich schon einmal einer bestimmten Bevölkerungsgruppe die Staatsbürgerschaft aberkannt hat.
Damals schrieb man das Jahr 1940, die Nazis hatten das Land besetzt, Petain war Chef der Vichyregierung, die damals Betroffenen waren überwiegend Juden. Erstmals in 25 Jahren , die man in Frankreich lebt, hört man französische Freunde sagen, sie schämten sich für ihr Land. Besonders weil Präsident Sarkozy in seiner Rede in Grenoble am 30. Juli auch noch die Roma als Zielscheibe frei gegeben, die Auflösung ihrer illegalen Lager in Frankreich und ihre Abschiebung angeordnet hatte. Anschliessend wartete er zwei Tage, bis Gattin Carla in Paris ein paar Szenen mit Woody Allen abgedreht hatte und verschwand in den Urlaub.
Mit seiner Brandrede hatte er dafür gesorgt, dass das politische Sommerloch im August randvoll gefüllt war und gleichzeitig sein Land der weltweiten Verachtung ausgesetzt.
Storytelling ade
Frankreichs Präsident hat sich auf das Niveau der italienischen Lega Nord begeben, ja er wetteifert mit ihr, wenn es darum geht, angesichts von Staatsskandalen und der sozial angespannten Lage im Land dem Volk , den „ echten Leuten“ , wie er gerne sagt , Sündenböcke zum Frass vorzuwerfen - Ausländer, jugendliche Störenfriede , Vorstadtbewohner und Roma . Nun aber schweigt der Präsident.
Es ist, als habe man ihm gesagt : „Du hast zu viel geredet , drei Jahre zu oft das gleiche gesagt, zu oft schon unliebsamen Bevölkerungsgruppen den Krieg erklärt, so getan, als wären krachende Worte allein schon die Tat . Schluss jetzt mit dem „ Storrytelling“ , die Franzosen haben schon zu viele Geschichten gehört , gemerkt, dass es stets mehr oder weniger dieselben waren und sie hören nicht mehr zu.“
Präsidiale Lautsprecher
Also schweigt Sarkozy und lässt reden . Er hat dafür seine Lautsprecher und zwar ziemlich schrille : Christian Estrosi zum Beispiel. Der war einmal 4 facher französischer Motorradmeister und ist jetzt Industrieminister , ohne dass jemand wüsste , was er als solcher tut , denn hauptsächlich ist er untertänigster Lautsprecher des Präsidenten und hat in dieser Rolle etwa dafür plädiert, Bürgermeister zu bestrafen, die in Sachen innere Sicherheit zu lax sind und zu wenig gegen Kriminalität tun.
Oder aber Innenminister Brice Hortefeux , seit 30 Jahren Intimfreund des Präsidenten und als solcher der treueste Lautsprecher. Zwar ist er - und auch dies ist einmalig in der Geschichte der 5. Republik – in erster Instanz wegen rassistischer Beleidigung verurteilt, doch das spielt in der Republik des Nicolas Sarkozy offensichtlich keine Rolle.
Er bleibt Innenminister und hat als solcher angeregt, die Staatsbürgerschaft solle auch den Eingebürgerten aberkannt werden, die der Polygamie überführt wurden. Er hat dabei offensichtlich vergessen, dass eine erst kürzlich eingebürgerte Berühmtheit noch im Februar 2007 in einem Interview der Zeitung „ Figaro Madame“ erklärt hatte, Monogamie langweile sie, sie ziehe die Polygamie vor . Ihr Name : Carla Bruni , damals noch nicht Bruni-Sarkozy.
Gehütete Geheimnisse
3 Wochen ist das politische Personal Frankreichs jetzt aus den Ferien zurück und kein präsidiales Wort im Originalton. Es sei denn ein kurzes „ Ja“ , als jemand von Nicolas Sarkozy wissen wollte, ob er seinem bis über beide Ohren in die Bettencourt Affäre verstrickten Arbeitsminister weiter sein Vertrauen schenke. Dabei fragen selbst im eigenen politischen Lager immer mehr Vertreter ganz offen, warum der Präsident an Minister Woerth festhält.
Die Antwort ist relativ einfach und den Fragestellern auch bekannt, nur spricht sie niemand öffentlich aus, schon gar nicht der Präsident. Der frühere Haushalts- und jetzige Arbeitsminister Woerth war seit 2002 Schatzmeister der konservativen Präsidentenpartei UMP und davor, zu Zeiten von Jacques Chirac, bereits seit 1993 Finanz- und Verwaltungsdirektor der Vorgängerpartei RPR.
Mit anderen Worten: Minister Woerth weiss schlicht alles über die Kulissen bei Frankreichs Konservativen, über mögliche Machenschaften und Geldflüsse der letzten 17 Jahre zur Finanzierung der Partei und ihrer Wahlkämpfe. Mit diesem potentiell explosiven Wissen ist er einer , den man nicht so einfach brüskieren kann , den man besser nicht verletzt und eher sorgsam behandelt.
Von Sickergruben
Aber vielleicht , so sagt man sich angesichts des präsidialen Schweigens , schmollt Nicolas Sarkozy ja auch nur und dies gar nicht aus politischen Gründen, sondern einfach weil er jetzt bereits im dritten Sommer hintereinander seinen Urlaub am selben Ort verbringen musste. Kein Glitzer und Glimmer mehr bei den Millionären an der amerikanischen Ostküste , keine Eskapaden auf einer der Yachten seiner im französischen Börsenindex beheimateten Milliardärsfreunde wie unmittelbar nach seinem Wahlsieg. Dafür das Anwesen von Schwiegermutter Bruni an der Cote d’Azur.
Und dort , am „Cap Nègre“, einer nicht gerade drittklassige Adresse, musste der Präsident im August zu allem Überfluss auch noch eine keikle persönliche Niederlage einstecken : er ist beim dritten Versuch mit dem Anliegen gescheitert, die Eigentümer von einigen Dutzend Anwesen am „Cap Negre“ zu überzeugen, ihre Häuser an die kommunale Abwasserkanalisation anschliessen zu lassen.
Im ersten Sommer mit Carla hatte er sich – nach dem Motto : „Der Präsident kümmert sich einfach um alles „ – an der Seite seiner Schwiegermutter einfach selbst zur Eigentümerversammlung eingeladen und gedacht, das Problem im präsidialen Handstreich zu regeln. Doch alteingesessene Sturköpfe , darunter ein 80 jähriges Ehepaar, pensionierte Wissenschaftler des nationalen Forschungszentrums CNRS , liessen sich vom Staatspräsidenten nicht im geringsten beeindrucken und dachten gar nicht daran, sich von ihren alt gedienten Sickergruben zu trennen.
Als das Abwasserproblem am „Cap Nègre“ auch nach dem zweiten Sommerurlaub immer noch nicht geregelt war, musste sogar der Präfekt des Departements Var daran glauben – strafversetzt wegen mangelndem Engagement in Sachen Kanalisation , wurde gemutmasst . Jetzt also, auch im dritten Jahr, weiterhin Status Quo , was die Sickergruben angeht. Wirklich ärgerlich . Denn es könnte ja jemand auf den Gedanken kommen zu sagen: irgendwo stinkt es im Staate Frankreich.
Hans Woller aus Paris_02: Von der Sorge um die Republik und einem wütenden Präsidenten
Hans Woller aus Paris_03: Die Roma, Frankreichs Präsident und sein Familienname
Hans Woller aus Paris_04: Von guten und von anderen Franzosen
Hans Woller aus Paris_05: Frankreich, oh Deine Presse !
Hans Woller aus Paris_06: Streiks in Frankreich - Das Klima heizt sich auf
Hans Woller aus Paris_07: Frankreich: Die Angst vor der Jugend
Hans Woller aus Paris_08: Affären ohne Ende
Hans Woller aus Paris_09: Frankreichs brennende Vorstädte - fünf Jahre danach