Zu dieser Jahreszeit nämlich besuchen Vertreter der Uno jeweils das von der Aussenwelt hermetisch abgeschirmte Land. Bei der Rückkehr aus Nordkorea ziehen die Uno-Vertreter an Pressekonferenzen in Peking Bilanz, ziehen an der Alarmglocke und beklagen die mangelnde Spendierfreudigkeit der internationalen Gemeinschaft. Kommt dazu, dass in der digitalisierten Medienwelt die Aufmerksamkeitsspanne drastisch gesunken ist.
Sechs Millionen Menschen von Hunger bedroht
Der Hunger von gestern oder vorgestern ist längst vergessen. Was interessiert, sind – neudeutsch – Breaking News. Das alles tönt vielleicht zynisch, ist aber Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr die stets wiederkehrende Wirklichkeit.
Zu den Fakten. Bereits im April haben Vertreter des Uno-Welternährungsprogramms zur Hungerhilfe und zu Spenden von 200 Millionen Dollar aufgerufen. Nur 64 Millionen, darunter eine Million aus der Schweiz plus tonnenweise Milchpulver, sind eingegangen. Im Oktober war es die Nothilfe-Koordinatorin der Uno, Valerie Amos, die nach einer fünftägigen Inspektionsreise einen schon fast verzweifelten Hilferuf an die Welt richtete. Sechs Millionen Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner seien von Hunger bedroht, und das bei einer Bevölkerung von 22 Millionen.
Aufruf zur "Eigenverantwortung" des Regimes
Die über das öffentliche Verteilnetz erhältlichen Tagesrationen pro Person sind, so Amos, von 400 auf 200 Gramm Reis reudziert worden. „Es herrscht ein hohes Mass an Unterernährung, besonders unter Kindern“, sagte die Uno-Vertreterin in Peking. Ungewöhnlich deutlich für die Uno wurde für einmal die nordkoreanische Regierung coram publico auch zur „Eigenverantwortung“ aufgerufen. Namentlich wurde eine Reform der Landwirtschaft und Lebensmittelkäufe angemahnt.
Nur einen Monat später versucht das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF die Öffentlicheit und die Medien für die hungernden nordkoreanischen Kinder zu sensibilisieren. Ein Drittel aller Kinder unter fünf Jahren sind mangelhaft ernährt, so UNICEF, vier Prozent in einem akuten Stadium, und über ein Viertel aller schwangeren und stillenden Mütter haben zu wenig zu essen. Jedes dritte Kind ist kleinwüchsig, von den psychischen Folgen des Hungers ganz zu schweigen.
Die Katastrophe der neunziger Jahre
Das Uno-Kinderhilfswerk bräuchte im laufenden Jahr 20,4 Millionen Franken, um die Not zu lindern, hat bis im November aber nur 4,6 Millionen erhalten. Ohne adäquate Hilfe, so die Uno, könnten allein in diesem Jahr 88'000 Kinder irreversible Schäden davontragen oder gar sterben.
Nordkorea hängt seit Jahren am Tropf internationaler Nahrungsmittelhilfe. Überschwemmungen und Unwetter, hiess es wie immer auch dieses Jahr in amtlichen nordkoreanischen Medien, hätte zu hohen Ernte-Ausfällen geführt. 2011 kalkuliert die Regierung in Pjöngjang mit einem Jahresbedarf von 5,3 Millionen Tonnen; eine Million Tonnen fehlen.
Unwetter sind jedoch nur die halbe Wahrheit. Die streng kollektivierte Landwirtschaft mit minimalen Anreizen sind ebenso, wenn nicht gar in noch höherem Masse, für die jetzige Knappheit verantwortlich und für die Katastrophe Mitte der 90er-Jahre. Die grosse Hungersnot mit über einer Millionen Toten ist im Westen längst vergessen. Nicht aber in Nordkorea.