Ganz im Gegenteil. Die nächsten Präsidentschaftswahlen in einem Jahr sind ein Grund, erneut in die Tasten zu greifen. Dieser Tage ist ein Buch aus der Feder von Franz-Olivier Giesbert erschienen, das sich deutlich von der Masse der anderen abhebt. „Monsieur le Président - Scènes de la vie politique 2005-2011“, lautet der auf den ersten Blick unschuldige Titel. Dahinter verbirgt sich aber ein Portät des französischen Präsidenten, das sich gewaschen hat.
Dieses Buch enthält keine neuen Enthüllungen über Nicolas Sarkozy, und doch hat es dank der Person und der Position seines Autors etwas Besonderes. Franz-Olivier Giesbert, kurz FOG, ist einer von rund zwei Dutzend französischen Journalisten, die zum Establishement des Landes gehören, bei den Machthabern ein und ausgehen, zu den wichtigen Empfängen und den entsprechenden Mittag- oder Abendessen geladen sind.
Notizen, Notizen
Giesbert ist zur Zeit Chef einer der fünf grössten Wochenzeitungen Frankreichs, "Le Point" ,sowie Moderator einer wöchentlichen literarisch-kulturellen Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das Wochenmagazin "Le Point" hat den Ruf, das konservativste von allen in Frankreich zu sein und gehört zur Lagardère-Gruppe, also zu dem Waffenkozern, der auch bei EADS mitmischt und dessen Chef, Arnauld Lagardere, ein Intimfreund von Nicolas Sarkozy ist.
FOG war früher lange Jahre Chefredakteur der als links etikettierten Wochenzeitung "Le Nouvel Observateur", anschliessend ein paar Jahre beim konservativen Figaro. Er ist also keiner, der sich einfach in eine Schublade stecken liesse. Seit gut 30 Jahren sitzt er jetzt den Mächtigen, welcher politischen Provenienz auch immer, auf dem Schoss, vergisst dabei aber nie, dass er Journalist ist. Und das heisst: Er notiert bei diesen Gelegenheiten, also bei den Cocktails und Dinners, auf Reisen und Vernissagen, was er so hört und was die Mächtigen ihm sagen.
Und ab und an kramt er diese Notizen hervor - und dann ist es völlig gleichgültig, ob er links oder rechts ist, für welches Medium er gerade arbeitet oder ob die Machthaber gerade eher links oder rechts sind. Er beschreibt, wie jetzt im Fall Sarkozy, gnadenlos und unerbittlich, wie er sie erlebt hat - und für die Portraitierten ist dies alles andere als schmeichelhaft.
Keine falschen Rücksichten
Giesbert tut dabei etwas, was in Frankreichs Journalistengilde nicht wirklich üblich ist: Er nimmt das Wort "Unabhängigkeit" ernst und kennt keinerlei Rücksicht gegenüber denjenigen, die meinten, er stünde ihnen nahe oder sie hätten ihn für immer in ihre Tasche gesteckt. Giesbert hat früher schon Mitterrand in die Mangel genommen, vor zwei Jahren ein exzellentes Buch über Chirac geschrieben, und jetzt hat es Nicolas Sarkozy erwischt.
Das Besondere an Giesberts „Monsieur le Président“ besteht darin, dass alles wirklich aus erster Hand kommt und absolut authentisch wirkt. Da bestätigt einer, der es wirklich wissen muss, so ziemlich alles, was man über den Charakter, die Eskapaden, die Wutausbrüche und die Person von Frankreichs umtriebigen Präsidenten seit vier oder fünf Jahren aufgeschnappt, gehört oder zwischen den Zeilen gelesen hatte und manchmal einfach nicht glauben wollte.
Franz Olivier Giesbert hat Nicolas Sarkozy in allen erdenklichen Zuständen und Situationen hautnah erlebt. Das begann, als der heutige Präsident in den 1980er Jahren noch ein blutjunger Bürgermeister der Pariser Nobelvorstadt Neuilly war, ein Jüngling im dunkelblauen Blazer mit goldenen Knöpfen, auf den Jacques Chirac ein zugleich wohlwollendes und doch schon skeptisches Auge hatte. Dann hat der Autor Sarkozy begleitet, als der sich daran machte, die Macht zu erobern. Und auch während der vier Jahre, in denen er die ersehnte Macht ausübt, hat erihn aus nächster Nähe beobachtet.
Die Energie der Verzweiflung
FOG macht dabei keinen Hehl daraus, dass er im Wahlkampf 2007 an Sarkozys Seite stand, ihm sogar geraten hatte, zu tun, was Reagan einst getan hatte, sich nämlich auf berühmten Plätzen oder vor historischen Gebäuden filmen und photographieren zu lassen. Denn die "verkörpern" Frankreich. Sarkozys Auftritte vor Dutzenden von Kameras und Photographen zum Beispiel am Mont Saint Michel, kurz vor der Wahl zum Präsidenten, hat man also dem Autor des Buchs zu verdanken. Soo nahe standen sich damals die beiden, die sich zu allem Überfluss auch noch duzen.
Um so vernichtender sind für Präsident Sarkozy heute die 285 Seiten aus der Feder von Franz-Olivier Giesbert, in denen der Autor auch die Frage stellt: Wie war es möglich, dass auch ich mich habe täuschen lassen, dass Frankreich, "dieses schöne, alte Land" ( De Gaulle ) eine solche Person mit klarer Mehrheit zum Präsidenten gewählt hat und dieser Präsident heute, nicht mal vier Jahre nach dem Wahlsieg, von den Franzosen so gehasst wird, wie niemals einer seiner Vorgänger? 72 Prozent der Franzosen vertrauen ihm nicht mehr - so die letzte Umfrage am Wochenende. „Was den Franzosen zuwider ist“, so schreibt Giesbert, „ist weniger die Politik Sarkozys , als vielmehr sein Charakter und sein Verhalten, das Verhalten, vielleicht nicht das eines kleinen Gauners, aber eines kleinen Gockels, eines Angebers."
Und weiter: "Sarkozy ist einer, der eigentlich nichts hatte, ausser dem Willen, zu reüssieren, einen grenzenlosen Willen, der, wie uns die Erfahrung jetzt zeigt, ins Leere tritt. Er ist der Politiker, der sich mit Sicherheit die grösste Mühe von allen gegeben hat, um dort anzukommen, wo er jetzt ist. Aber um was zu tun ? Er weiss nicht, wohin er steuert, tut es aber mit quietschenden Reifen und mit einer Energie, bei der man sich im Laufe der Zeit fragt, ob es nicht die Energie der Verzweiflung ist?"
Ich bin der Beste
Der Präsident, so bilanziert der Autor, hat nicht die Spur einer Vision für sein Land, kein Projekt und nicht mal eine wirkliche Vorstellung von Frankreich. Dabei durchlebe Sarkozy die Tragödie von Königen, die um jeden Preis geliebt werden möchten. Deswegen ertrage er keinerlei Kritik und lasse sich zu Überreaktionen hinreissen, wenn etwas, periphär oder direkt, seine Person betrifft. Man würde sagen, man habe es mit einem nicht ganz ausgewachsenen Jugendlichen zu tun, der sich für Sarkozy hält, schreibt Giesbert.
Grausam ist auch das Kapitel über die grenzenlose Selbstverliebtheit des Präsidenten: "Die Karriere des Präsidenten ist eine Liebesgeschichte zwischen Nicolas Sarkozy und Nicolas Sarkozy", so der Autor und beschreibt den Präsidenten wie ein Königskind, das von sich selbst bedingungslos überzeugt ist und sich tagtäglich einredet. Ich bin der Beste.
Giesbert hat aus allernächster Nähe miterlebt, wie der Innenminister und künftige Präsidentschaftskandidat Sarkozy 2005 von Ehefrau Cecilia ein erstes Mal verlassen wurde, und erzählt, wie er 2006, als Cecilia Sarkozy pro forma und für den Wahlkampf noch einmal zurückkehrte, das Paar zum Essen einlud, um dieses Ereigniss zu feiern. Dabei durfte Giesbert erleben, dass der künftige Präsident den teuren alten Wein, den man entsprechend lange vorher entkorkt hatte, ebenso wenig schätzte - er trank Cola Light - wie die extra für ihn vorbereitete, sündhaft teure Trüffel-Pasta und am Ende den besten Käse unübersehbar verachtete.
Erinnerung an Churchill
Giesbert schreibt: „Wie kann Sarkozy mit diesem Land in Harmonie sein, wenn er sich von Cola Light und fetffreiem Joghurt, vom Kompott ohne Zucker und Schokoladeriegeln ernährt? Wenn Sarkzoy Präsident sein wird, sagte ich mir voller Nostalgie am Ende dieses Abendessens, wird man unter dem Goldstuck in den Palästen der Republik nur noch das Geräusch von Löffeln hören, die an Joghurtbechern schaben."
Knapp zwei Jahre später - der Präsident hatte seinen Mitbürgern auf einer Pressekonferenz im Elysee gerade anvertraut, dass es mit Carla ernst ist - bekam Franz Olivier Giesbert es wegen der neuen Gefährtin mit Nicolas Sarkozy zu tun. Das geschah zwar nicht nicht bei einem Essen, aber zur Essenszeit. An einem Sonntag klingelte gegen 13.00 Uhr, als der Autor in der Wintersonne der Provence gerade seine Olivenbäume schnitt, das Mobiltelephon. Der Staatspräsident persönlich war am Apparat und tobte nach einer kurzen Phase Warmlaufens geschlagene 40 Minuten lang.
Er sprach von Schweinerei, Gemeinheit und faschistischen Methoden, forderte umgehend eine schriftliche Entschuldigung und drohte dem Direktor der Wochenzeitung „Le Point“ mit allem und jedem. Das erinnerte Giesbert an Churchill, der eines Tages im Parlament einem aufgebrachten Abgeordneten erwidert hatte: „Mein ehrenwerter Kollege sollte versuchen, nicht mehr Dampf zu erzeugen, als er davon in sich hat“.
Von Sarkozy erniedrigt
Es war einer der vielen Wutausbrüche Sarkozys, die in diesem Portrait beschrieben werden. In diesem Fall wurde er dadruch ausgelöst , dass in Giesberts Wochenzeitung "Le Point" der Schriftsteller Patrick Besson in seiner wöchentlichen Kolumne ein Auge auf Carla Bruni geworfen und dabei durchdekliniert hatte, mit wem die neue Gefährtin des französischen Staatspräsidenten in den letzten Jahren im Bett gelegen war und Nicolas Sarkozy nahe legte, seine neue Flamme etwa vor seinen gut aussehenden Söhnen oder vor Barack Obama doch besser zu verstecken.
Giesbert zeichnet in diesem Portrait einen Präsidenten, der davon überzeugt ist, dass nichts und niemand ihm widerstehen könne, und der so agiert, als würden sein Reden alleine dafür ausreichen, dass tatsächlich etwas geschieht. Kein andererer Präsident der 5. Republik, so Giesbert, habe seine Anhänger und die ihm politisch Nahestehenden derart erniedrigt, wie Sarkozy dies in den letzten Jahren getan hat.
Die Folge davon ist, dass Frankreichs Präsident keine Nachfolger heranzgezogen hat. Von einer „Generation Sarkozy“ gibt es keine Spur - im besten Fall ein paar Stiefellecker. Sarkozys Regentschaft, so Giesbert, wird nicht mehr als eine Klammer in der Geschichte Frankreichs sein. Und er zitiert den grossen Chateaubriand, der über Napoleon einst schrieb: „Er gefällt sich darin, die zu erniedrigen, die er besiegt hatte. Er verleumdet und verletzt ganz besonders diejenigen, die es gewagt haben, ihm zu widerstehen.Seine Arroganz war so gross wie sein Glück, und er glaubte, um so grösser zu erscheinen, je mehr er die anderen herabsetzte“ .
Am Ende der Lektüre dieses unerbittlichen Portraits von Frankreichs Präsidenten, das stellenweise etwas von einer Anklageschrift hat, kommt die Erinnerung an eine Titelgeschichte der Wochenzeitung „Marianne“ wieder hoch. "Sarkozy - est-il fou ?" Ist Sarkozy verrückt ?, war da vor einigen Jahren in grossen Lettern zu lesen. Im Grunde stellt auch Franz Olivier Giesberts Buch dieselbe Frage.