„Tagi“ (der Zürcher Tages-Anzeiger) und sein siamesischer Zwilling, der Berner „Bund“, schreiten mit Karikatur und Zweihänder zur grossen Volksaufklärung. Hilfswerke in der Schweiz „sitzen“ auf Millionen, heisst horten unverschämt Gelder und wissen nicht, was damit tun. Trotz dickem Fettpolster gehen sie unverschämt erneut auf Betteltour, vor allem in der Vorweihnachtszeit, wenn die Herzen der Menschen offen aus allen Hemden und Blusen hängen.
Alphütten oder Tsunamis
Diese Thesen gehen allerdings nur auf, wenn Äpfel mit Birnen und Alphütten mit Tsunamis verglichen werden. Die Tätigkeit der Hilfswerke scheint überall einheitlich zu laufen: Es wird kein Unterschied zwischen Katastrophenhilfe, Wiederaufbau oder Entwicklungszusammenarbeit gemacht, nicht unterschieden, ob regelmässige Sammeltätigkeit oder aktualitätsbezogene Spontansammlungen stattfinden. Geschweige denn, ob ein Hilfswerk Reserven anlegen muss (z.B. um einen millionenschweren Helikopterpark vorzufinanzieren) oder die Gelder während bloss einiger Wochen mit Notärzten einsetzt.
Ausser acht gelassen wird zum Beispiel, ob überlebenswichtige, aber rückzahlbare Kleinkredite gewährt werden oder alles Geld in sofortige Sozialhilfe fliesst. Kommt dazu, dass die Glückskette nicht – wie fälschlicherweise dargestellt – ein Hilfswerk, sondern ein Sammelwerk ist, das Hilfsprojekte von rund 30 Hilfswerken nach sorgfältiger Auswahl und minutiöser Kontrolle finanziert. Also auch hier unzulässige Vergleichsebenen.
Beispiel Glückskette
Das meiste kann rasch widerlegt werden - als ehemaliger Mitarbeiter der Glückskette (der ich heute nicht mehr angehöre!) rede ich hier lieber von mir Bekanntem: Die Glückskette erhält alle Spenden zur Katastrophenhilfe innert weniger Wochen, setzt ihr Geld bei grossen Ereignissen aber sinnvollerweise über mehrere Phasen (Nothilfe: ca. 15 Prozent, Wiederaufbau/Rehabilitation ca. 70 Prozent, nachhaltige Absicherung/Entwicklung ca. 15 Prozent) ein. Dies kann Jahre dauern – gestaffeltes Sammeln ist aber unmöglich: Wer gibt nach vier Jahren einer zerstörten Wüstenstadt noch einen Spendefranken?
So waren von den erwähnten Glückskette-Millionen (top aktuell: die Zahlen entsprechen dem Stand vor einem Jahr!) beispielsweise 59,8 bereits bewilligt „ausgegeben“, bloss noch nicht ausbezahlt… Verantwortungsvoller Umgang mit Spendegeldern heisst, solche Phasen von Anfang an richtig einzuplanen und die Gelder in Tranchen nach effektivem Verlauf der Projektarbeit auszubezahlen.
In der Zwischenzeit „sitzt“ die Glückskette nicht einfach tatenlos auf ihren Notenbündeln, sondern versucht über mündelsichere Anlage (z.B. Festgeld) soviel Zins zu generieren, dass sie ihren Betrieb mittels Eigenbewirtschaftung und nicht über Spendengelder finanzieren kann. Nur so wird es möglich, Spenden zu nahezu 100 Prozent den Notleidenden zukommen zu lassen. Ergo: Je höher die gerade noch nicht-einsetztbare Geldmenge ist, desto effizienter können Spenden verwendet werden.
Qualität verlangt Sicherheiten
Was Spenderinnen und Spender zu Recht verlangen, ist, dass ihre Gelder sicher und möglichst mit geringen Kosten professionell jenen zugut kommen, denen sie helfen wollen. Um dies zu erreichen, brauchen Hilfswerke erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und diese ihrerseits möchten Garantien haben, dass ihr Lohn in ein, zwei Jahren noch ausbezahlt werden kann. Qualität von Hilfe hat deshalb direkt mit Sicherheit der Finanzierung zu tun. Aus diesem Grund machen Hilfswerke auch Rückstellungen, man verlangt von ihnen Reserven für Währungsschwankungen etc. Es nicht zu tun, wäre verantwortungslos.
Deshalb ist es auch zu begrüssen, dass die ZEWO, die mit ihrem Gütezeichen für verantwortungsvollen Einsatz von Spenden bürgt, dies in ihrer Bewertung berücksichtigt. Die Liquidität von Hilfswerken mit Grossunternehmen wie Roche, Sulzer oder ABB zu vergleichen, wo Tausende von Mitarbeitenden jeden Tag Millionen einbringen, ist schon von der Struktur her völlig absurd.
<< Dem Verfasser des Artikels – obwohl Wirtschafsredaktor beim „Tagi“ – sei deshalb untenstehende Neuerscheinung dringend zur Lektüre empfohlen.>>
Soeben erschienen: Reto Eberle / Kaspar Müller Swiss GAAP FER 21 Lehrbuch zur Rechnungslegung für Nonprofit-Organisationen Verlag SKV (kv schweiz)
Was in der Wirtschaft schon einiges früher zur Norm wurde, fand ab 2003 auch für wohltätige Organisationen (NGOs) schrittweise Eingang: Eine einheitliche, transparente Rechnungslegung, begleitet von einem Leistungsbericht. Die Norm mit dem Kürzel Swiss GAAP FER 21 (kurz: FER 21) wird mittlerweile von den meisten grossen Hilfswerken angewenden. Allerdings hat sich ebenso gezeigt, dass der Gebrauch von FER 21 nicht immer einfach ist und Zweifelsfälle bleiben. Klare Gliederung, übersichtliche Tabellen und Beispiele machen die komplexe Materie auch für interessierte Laien verständlich. Dass das Fachbuch erst jetzt auf den Markt kommt, kann man einerseits als verspätete Initiative empfinden – die wirklich heiklen Probleme stellen sich allerdings erst nach längerfristigerer Praxis heraus. Lieber spät als nie. RJ