In drei Bereiche aufgeteilt war die umfassende Darstellung von Wachstum, dem Thema der kürzlich abgehaltenen Frühlingstagung des Europa Forum Luzern. Wenig kontrovers zunächst die Darlegung der globalen Makroökonomie durch den Schweizer Thomas Helbling, Forschungschef beim Internationalen Währungsfonds IWF und den Südamerikaner Guillermo Valles Galmes, Handelschef im Genfer Sekretariat der UNO Konferenz für Handel und Entwicklung UNCTAD. Beide legten ihren Finger auf je einen wunden Punkt der gegenwärtigen, langsamen Aufschwungsphase der globalen Wirtschaft. Mit viel Zahlermaterial unterlegt zeigte Helbling, dass der Aufschwung zögerlicher erfolgt als nach anderen Wirtschaftskrisen. Dies gelte sowohl für die entwickelten Länder, als auch für die Schwellenländer, deren Wirtschaftspotential vor Ausbruch der Finanzkrise von 2007 wahrscheinlich überschätzt worden sei.
Kluft zwischen Reich und Arm
Valles Galmes sieht den Motor des in den letzten Jahrzehnten erfolgten Aufstiegs der Schwellenländer zur ungefähren Parität in der weltweiten Wirtschaftsproduktion - kaufkraftbereinigt, nicht in absoluten Zahlen - mit den entwickelten Ländern im Schwungrad Handel, welcher Wachstum fördert, was wiederum die Wirtschaftsentwicklung vorwärts treibt. Parität eines viel grösseren, und zudem schneller wachsenden Teils der Weltbevölkerung bedeute aber noch nicht, dass alle Einzelnen wohlhabender werden. Vielmehr vergrössere sich die Kluft weiterhin, wenn man die Entwicklung des Pro Kopf-Einkommens im entwickelten Teil, mit jenem im Rest der Welt vergleiche.
Ein schlagendes Beispie dafür liefert im Moment Brasilien, ein grundsätzlich erfolgreiches Schwellenland, dessen soziale Unruhen wegen der Fussball-WM im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen. Dort sind dank generellem Wirtschaftsaufschwung viele der absoluten Armut entronnen, verlangen nun aber verständlicherweise auch dem Mittelstand entsprechende Leistungen in Infrastruktur, Ausbildung, Arbeitsplatzangebot sowie Gesundheits- und Altersvorsorge. Dies wiederum verursacht hohe Kosten für den Staat und rasch wachsende Aufgaben für den Privatsektor. In letzterem sind indes Einzelne sehr schnell sehr reich geworden. Damit sind neue, sichtbare und gesellschaftspolitisch explosive Ungleichheichten geschaffen worden.
Atom-Ausstieg
Explosiver als im globalen Teil, fielen auch die Diskussionen in Luzern aus mit Bezug auf das Wachstum in der Schweiz. Insbesondere die Energiewende - Ersatz der nuklearen durch erneuerbare Energie - gab Anlass zu sehr lebhaften Diskussionen. Walter Steinmann, Direktor des Bundesamzes für Energie, verwies auf den grundsätzlich vorläufigen Charakter des Ausstiegs, da Forschung im nuklearen Bereich weiterhin möglich sei und gefördert werde. Neue Technologien der Zukunft könnten auch andere Beurteilungen des Gefährdungspotentials mit sich bringen, welches mit Blick auf die gegenwärtige Kernergiegewinnung als zu hoch eingeschätzt wird.
Seine Kritiker, angeführt von Hans Püttgen, Professor an der ETH Lausanne, sind überzeugt, dass der Ausstieg aus der Kernergie schwierig machbar sei. Er sei zudem, da nur im deutschsprachigen Europa verfolgt, einigermassen egoistisch und gefährdungsmässig illusorisch.
Finanz-, Geld-, Steuerpolitik
Ein zweiter kritischer Punkt mit Bezug auf kommendes Wachstum in der Schweiz wurde überdeutlich in der Diskussion im Rahmen des dritten Teils des Forums, wo traditionell ein Mitglied des Bundesrates vor einer breiten Oeffentlichkeit zu Worte kommt. Eveline Widmer-Schlumpf legte in ihrer wohltuend klaren, aber auch nüchteren Art dar, warum die schweizerische Finanz-, Geld- und Steuerpolitik ein unverzichtbaren Teil schweizerischen Wachstums darstellt und wo diese Politik nicht nur um Anpassungen an internationale Standards nicht herumkommt sondern in einer allgemeinen Wachstumsperspektive auch daran ínteressiert sein muss.
Maria Theresia Fekter war als ÖVP-Ministerin für Inneres und anschliessend Finanzministerin Österreichs langjährige Weggefährtin von Widmer-Schlumpf. Sie kennt die Schweiz gut, was einmal in ihrem etwas populistisch-anbiedernd ausgefallenen Plädoyer gegen überbordende Staatstätigkeit zum Ausdruck kam. Es war aber ihr Aufruf zu gesamteuropäischer Solidarität, insbesondere mit Bezug auf die mit 40 Jahren Verspätung in eine bessere europäische Zukunft gestarteten osteuropäischen Länder, welche die Diskussion im anschliessenden Panel befeuerte.
Masseneinwanderungsinitiaitve
Eindrücklich, wie Persönlichkeiten sehr verschiedener Herkunft auf die potentiell fatalen Auswirkungen der Annahme der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative auf künftiges Wachstum hinwiesen. Lino Guzella, Rektor und designierter Präsident der ETH Zürich, ebenso wie ausnahmslos die Vertreter der Privatwirtschaft sind überzeugt, dass nur durch den freien Zuzug von Fachkräften Wachstum in der Schweiz möglich bleibt. Bereits seien deutliche Vorwirkungen des schweizerischen ‘Two Nine’ zu verzeichnen, indem sich ausländische Spitzenkräfte aus Forschung und Lehre sowie dem Privatsektor fragen, ob sie und ihre Familien in einer zunehmend fremdenfeindlicheren Schweiz noch willkommen seien.
Klares Fazit des Forums war also die Bejahung der Wachstumskontinuität der Schweiz, allerdings mit dem sehr gewichtigen Vorbehalt, dass dies nur unter voller Berücksichtigung des internationalen Umfelds durch alle Schweizer möglich sein wird. Ein Ausruhen auf alten, durch Teilnahme an internationaler Dynamik gewonnen Lorbeeren im Sinne eines Rückzugs ins noch florierende Alpenparadis wäre fatal.
Sicherheitspolitk
Aktuelle Volksbefragungen verleiten diesbezüglich nicht zu übergrossem Optimismus. Einerseits wollen ‘die Schweizer’ immer weniger sicherheitspolitische Ausgaben, so etwa keinen neuen Kampfflugzeuge, andererseits zeigt eine sicherheitspolitische Befragung der ETHZ eine geradezu an Wahlergebnisse in totalitären Staaten erinnerende Zustimmungsrate zur Neutralität. Schön wärs, aber unmöglich ist's.
Gerade in der Sicherheitspolitik. Wenn sich die sicherheitspolitische Lage sowohl global (China) als auch europäisch (Putin) verschärft wird auch die Schweiz nicht um ihren aktiven internationalen Beitrag herumkommen. Vermittlung ist eine nützliche, aber winzige Nische, keinesfalls ein Ersatz für aktives, internationales Engagement des Wirtschaftswunderkindes Schweiz. Weil wir dies sonst waren und nicht mehr sein werden.