Allerdings wirkt der Stimmenanteil der eurokritischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) von knapp7 Prozent geradezu bescheiden im Vergleich zu den „Triumphen“ der rechten und linken Unions-Gegner zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien , Dänemark, Griechenland, Österreich oder Dänemark.
Legt man die Ergebnisse der Wahlen zum nächsten Europaparlament aus den 28 EU-Mitgliedländern nebeneinander, so nimmt sich die Bundesrepublik tatsächlich wie eine Art Fels in einer ringsum stürmischen Brandung aus. Wäre nicht unlängst vom Bundesverfassungsgericht die bisher geltende 3-prozentige Sperrklausel gekippt worden, gäbe es auch in Zukunft keine Vertreter so exotischer Gruppierungen wie „TIER“, “Die Partei“ oder auch „Die Piraten“ im Brüssel/Straßburger Hohen Haus. Insofern bildet das Abschneiden der AfD den einzigen „Ausrutscher“ gegenüber den früheren Wahlen. Denn der Absturz der FDP auch im europäischen Kontext ist im Grunde nur ein weiteres Debakel der ums Überleben bangenden Partei.
Dieselben Ängste wie auch anderswo
Mit anderen Worten – die überwiegende Mehrheit der Deutschen hat den „traditionellen“ Parteien die Stimmen gegeben und damit ihr Vertrauen ausgedrückt, dass Konservative, Sozialdemokraten und inzwischen auch Grüne das europäische Schiff schon auf Kurs halten werden. Wirklich? So zu denken, wäre freilich höchst leichtfertig. Hört man sich auf der Straße, im Wirtshaus, im Sport- und Gesangsverein um, wo nun einmal des „Volkes Stimme“ zu vernehmen ist, dann wird schnell klar, dass zwischen Rhein und Oder, Nord- und Bodensee im Prinzip dieselben Ängste, Sorgen, Bedenken und diffusen Animositäten vorherrschen wie jenseits der diversen Grenzen.
Interessant dabei ist, dass das Misstrauen gegen „Brüssel“ zwar durchaus Namen hat – Euro, Regelungswut, Armuts-Zuwanderung, Fass ohne Boden (Rettungsschirme). Aber bei Nachfragen, bleibt es fast immer im Allgemeinen. Dass der Euro sich etwa mit seinen fest zementierten Wechselkursen gerade in Krisenzeiten als weitaus stabiler und Inflations-resistenter erwiesen hat als die angeblich so „sichere“ D-Mark, vernimmt der Bundesbürger zwar und erlebt es sogar täglich – aber er glaubt es einfach nicht. Dass das deutsche Gesundheitssystem schon seit langem nicht mehr ohne Ärzte und Pflegepersonal praktisch aus aller Welt auskäme, erlebt jeder Patient im Krankenhaus oder in der Privatklinik. Aber die öffentliche Diskussion wird von den Themen Sinti und Roma, Armuts-Zuwanderung und Sozialmissbrauch beherrscht. Dass die Finanzgarantien der Gemeinschaft für die südlichen Krisenländer das deutsche Wirtschafsgefüge bislang noch überhaupt nicht belastet, sondern - im Gegenteil – geölt haben, wird in aller Regel als plumpe Europa-Propaganda abgetan.
Müllhalde Europa
Dabei besteht natürlich überhaupt kein Zweifel daran, dass in der Union beträchtliche Fehlentwicklungen Platz gegriffen haben. Wobei eine der wichtigsten Ursachen dafür fraglos in der übereilten, unstrukturierten und in der Folge nicht mehr kontrollierten Massenaufnahme neuer Mitglieder liegt. Nicht nur, dass viele dieser Länder von ihrer inneren Verfassung und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit her die Beitrittskriterien bei weitem noch nicht erfüllten – die Union ihrerseits war (und ist) für die Erweiterung genau so wenig gerüstet. So besteht heute jene tiefe, nicht zu verleugnende ökonomische, kulturelle und mentale Kluft zwischen Nord und Süd. Und von überall wird auf den angeblichen Sündenbock Brüssel gezeigt und jeder Ärger auf der Müllhalde Europa abgeladen, selbst wenn die Ursache dafür daheim zu suchen wäre.
Dass die Europawahl in Deutschland diese scheinbar stabile, traditionelle Parteienpräferenz ergeben hat, liegt sehr wahrscheinlich auch an der Tatsache, dass zeitgleich damit in einer Reihe von Bundesländern die Zusammensetzung der kommunalen Parlamente verbunden war. Wer dafür sein Kreuz an „vernünftiger„ Stelle machte, tat es vermutlich häufig auch auf dem „europäischen“ Zettel. Das erklärt auch die im Vergleich zu vor vier Jahren ein wenig gestiegene Beteiligung. Bleibt die Frage, ob die senkrecht und erfolgreich gestartete Protestpartei „Alternative für Deutschland“ sich zu etablieren vermag, oder ob hier lediglich ein kurzes, politisches Strohfeuer abgebrannt wird. Auf jeden Fall müssen sich die „Etablierten“ mit diesem Phänomen in Zukunft ernsthaft auseinander setzen. Es ist eine Dummheit, die Partei weiterhin als ein dumpfes, nationalistisches Sammelbecken zu denunzieren. Das hat vor allem die bayerische CSU mit 7,6 Prozent Stimmenverlusten schmerzlich zu verspüren bekommen. Und keineswegs nur sie. Immerhin hat die Afd rund 900 000 Stimmen von der Konkurrenz als allen Lagern abgezogen, davon auch etwa 180 000 von den Sozialdemokraten. Warum? Weil die Partei jenes Unbehagen zu artikulieren verstand , das latent in der Öffentlichkeit verbreitet ist. Und weil sie zudem Persönlichkeiten an ihrer Spitze hat, denen nun wirklich kein rechtsextremes Gedankengut unterstellt werden kann.
Wer übernimmt die Führung?
Nein, dieser scheinbare Fels Deutschland in der europäischen Brandung ist keineswegs so stabil, wie es vielleicht den Anschein hat. Und man muss nicht über seherische Qualitäten verfügen, um zu wissen, dass im Kreise der Berliner Regierung alles andere als Freude herrscht, wenn jenseits der deutschen Grenzen bereits Stimmen laut werden, dass in dieser schwierigen Zeit vor allem die Deutschen Führungsstärke in Europa zeigen müssten. Abgesehen davon, dass solche Rufe in der Regel stets von besorgten Reaktionen vor angeblich drohenden deutschen Hegemonien begleitet sind – viel dramatischer ist, dass als Konsequenz des Erfolgs des „front national“ in Frankreich die sozialistische Regierung in Paris europapolitisch praktisch ausgehebelt wurde. Der deutschen Außenpolitik fehlt mithin auf erst einmal unabsehbare Zeit der wichtigste Partner.
Das ist im Grunde die dramatischste Lehre aus den Wahlen zum nächsten Europaparlament. Die EU hatte bereits in der Vergangenheit bei der Krisenbewältigung keine wirklich überzeugende Rolle gespielt. Beispiel: Der Balkan. Umso wichtiger wären jetzt erzeugende, einige, kraftvolle Auftritte, da jenseits der Ostgrenzen wieder Kräfte sichtbar werden, die man längst überwunden wähnte.