Mal regnet’s Schnürl von oben, mal scheint die Sonne grell vom Himmel, mal werden „Frankfurter“ gegessen (wie die „Wienerli“ hier heissen), mal Riesenportionen von Salzburger Nockerln verdrückt – auf jeden Fall wälzen sich Massen von Touristen aller Art durch die Getreidegasse. Ein Durchkommen ist schwierig, Fussgänger-Kollisionen sind unvermeidlich. Mozart würde sich kugeln vor Lachen… Das ist Salzburg zur Festspielzeit im Sommer.
Mitten in der Stadt die Festspielhäuser. Drinnen ist es schummrig, auf der Bühne wird geprobt, Orchester und Dirigent, alle noch in Jeans und T-Shirt, sind ganz bei der Sache.
Highlight
„Leb wohl, du warmes Sonnenlicht…“ singt der Chor im Hintergrund. „Nochmal“, ruft Franz Welser-Möst, der Dirigent. „Das darf nicht durchhängen!“ Wenige Tage vor der Premiere am 4. August wird im Grossen Festspielhaus in Salzburg mit äusserster Sorgfalt an Details gefeilt. Denn dieser „Fidelio“, Ludwig van Beethovens einzige Oper - das ist schon jetzt klar - wird das Highlight der diesjährigen Salzburger Festspiele und die Spannung ist geradezu physisch zu spüren. Bei denen, die auf der Bühne stehen, aber auch bei jenen, die im Orchestergraben spielen und nicht zuletzt beim Publikum, das bis zu 450 CHF pro Platz dafür bezahlt hat. Auf dem Schwarzmarkt noch mehr. Und sämtliche Vorstellungen sind bereits seit Wochen ausverkauft.
Franz Welser-Möst ist immer noch mit dem Chor beschäftigt. „Es muss Verzweiflung in der Hoffnung liegen“, erklärt er, „und Hoffnung in der Verzweiflung…. Dieses unglaublich Sehnsuchtsvolle muss spürbar werden…!“ Und noch einmal setzt der Chor an…“Leb wohl, du warmes Sonnenlicht, schnell schwindest du uns wieder, schon sinkt die Nacht hernieder, aus der so schnell kein Morgen bricht.“ Diesmal ist Franz Welser-Möst zufrieden: „Ja! Wunderschön!“
In Zürich in Schwung gebracht
Das Orchester, das Franz Welser-Möst hier leitet, sind die „Wiener Philharmoniker“. Auf der Bühne, in der Rolle des Florestan, steht Jonas Kaufmann. Beide, Welser-Möst wie Kaufmann, haben ihre Karriere im Zürcher Opernhaus zu Zeiten von Alexander Pereira so richtig in Schwung gebracht. Beide waren schon während Jahren Publikumslieblinge in Zürich, bevor sie die ganz grosse Weltkarriere starteten. Franz Welser-Möst stand dreizehn Jahre im Zürcher Orchestergraben, erst als Chefdirigent, dann als Generalmusikdirektor.
2002 wurde er Chef beim Cleveland Orchestra, einem der „big five“, also der fünf grossen US-Orchester. Und Jonas Kaufmann sang in Zürich als junger, noch unbekannter Sänger unzählige Partien, bevor er der begehrteste, umschwärmteste , beliebteste und vermutlich auch teuerste Tenor unserer Zeit wurde. Weltweit.
Kaufmanns Zürcher Fans der ersten Stunde müssen heute ihrem Idol weit nachreisen. In Zürich gehört er nicht mehr zum Ensemble und auch Franz Welser-Möst pendelt zwischen Cleveland, den Wiener Philharmonikern und Salzburg, aber auch die Mailänder Scala oder die Bayerische Staatsoper in München stehen auf seinem Programm. In Salzburg ist Franz Welser-Möst in diesem Sommer „der prägende Dirigent“, so umschreibt es Helga Rabl-Stadler, die umtriebige Präsidentin der Salzburger Festspiele. Denn neben dem „Fidelio“ dirigiert er auch den „Rosenkavalier“, der im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt hatte und nun wieder gespielt wird.
"Macht mit dem Text, was ihr wollt"
Aber auch andere Künstler, die seit Jahren in der Schweiz arbeiten, sind diesen Sommer wieder in Salzburg tätig. Allen voran natürlich Cecilia Bartoli als „Norma“ und in „Iphigénie en Tauride“ in der Titelrolle. Oder Martina Jankova in „Le Nozze di Figaro“. Die Barockformation des Zürcher Opernhauses, das Orchester “La Scintilla“ begleitet Cecilia Bartoli. Ebenso „I Barocchisti“, ein Ensemble aus Lugano. Festspielbesuchern aus der Schweiz kann es in diesem Sinne ganz heimelig in Salzburg werden….
Jetzt geht es aber erst einmal um diese prestigeträchtige „Fidelio“-Produktion, die so ganz anders daher kommt, als übliche Inszenierungen. Sämtliche Sprechtexte wurden gestrichen. Inhaltlich, so Franz Welser-Möst, gehe dabei nichts verloren. „Es gibt sogar einen Brief, den Beethoven nach Prag geschickt hatte, in dem er selbst schreibt: macht mit dem Text, was ihr wollt.“ Offenbar hatte Beethoven ebenfalls schon seine liebe Mühe mit diesem Libretto-Text.
Fidelio, "ein schwerer Brocken"
„Fidelio“ wird gern als „Befreiungsoper“ gesehen, in dem Leonore, als Mann verkleidet, ihren Ehemann Florestan aus dem Kerker und vor dem drohenden Tod rettet. Für Franz Welser-Möst ist es viel eher einfach eine Vision. „Es geht nicht nur um politische Freiheit, sondern auch um persönliche, und auch um kollektive Freiheit. Beethoven war ein Visionär, ein Realitätsverweigerer. Das Utopische ist die grosse Herausforderung. Das ist das Schwierigste für den Regisseur: eine Vision. Man kann sie haben, aber erreicht sie nie. Visionen kann man zwar spürbar machen, aber in Bildern nehmen sie eine feste Form an und werden zur Realität.“
Eine grosse Aufgabe insbesondere für den Regisseur Claus Guth. „Fidelio ist ein schwerer Brocken, um den ich immer einen grossen Bogen gemacht habe, aber Salzburg ist jetzt der richtige Ort dafür.“ Für Guth sind Menschen nicht nur in einem Gefängnis gefangen. „Menschen sind auch in ihren Abhängigkeiten gefangen. Ich versuche, diese Begriffe anders zu interpretieren.“ Seine Inszenierung kommt fast in Schwarz-Weiss daher, keine Farben, dafür eine dramatische Lichtregie. Die Schatten an der Wand erzählen manchmal mehr, als die Figuren auf der Bühne. Während die Personen noch weit auseinanderstehen, gehen die Schatten bereits ineinander über. Oder sie nehmen bedrohliche Dimensionen an. Dazu passen die neu hinzukomponierten „sounds“, düster grummelnde, elektronische Töne, die dort zum Einsatz kommen, wo die gesprochenen Textpassagen gewesen wären.
Keine Spur von Happy-End
Jonas Kaufmann schliesslich stand schon so oft im „Fidelio“ auf der Bühne, dass er gar nicht weiss, wie oft. Macht das nun eine Rolle einfacher, wenn man sie schon in- und auswendig kennt? „Wenn man eine Partie so oft gesungen hat, besteht die grosse Aufgabe darin, sich immer wieder zu verändern und weiterzuentwickeln“, sagt Kaufmann. „Meinen ersten Florestan habe ich 2002 gesungen, einmal auch in einer Aufführung mit Nikolaus Harnoncourt am Opernhaus Zürich“. Ein anderes Mal beim Lucerne Festival unter Claudio Abbado. Stimmlich, fügt er noch bei, sei er seither sicher gereift. „Die Arie, mit der Florestan zum ersten Mal auftritt, dieser Aufschrei zu Gott, ist eigentlich keine Arie“, sagt Kaufmann, „es ist die Illusion eines Menschen. Wir sehen in seinen Kopf hinein.“
Und wir sehen am Schluss, dass Florestan, traumatisiert durch die Haft im Kerker, nach seiner Befreiung durch Leonore nicht wirklich glücklich wird. Er wehrt sich gegen jede Annäherung und lebt weiter in seiner eigenen Gefangenschaft. „Jeder Rettungsversuch ist vergebens“, sagt Kaufmann. „Dieser Mann wird nie wieder ins richtige Leben zurückkommen.“ Keine Spur von Happy-End also in diesem „Fidelio“. Sondern ein Schluss, der Bilder wachruft an Soldaten in Afghanistan, Vietnam oder im Irak, die später in ihrer Heimat keinen Anschluss mehr gefunden haben ans sogenannt normale Leben.
Für Jonas Kaufmann hingegen geht das normale Leben nach der Probe weiter. Das heisst in seinem Fall: Fotografen und Kamerateams umringen ihn, er selbst steht mitten drin im prallen Promi-Leben. Nächstes Jahr werde er aber nicht in Salzburg dabei sein, sagt er. „Ich möchte dann eine Südamerika-Tournee machen. Letztes Jahr war ich ja in Australien unterwegs.“ Sagt’s und entschwindet… Zum „Fidelio“ ist er aber wieder da.