Aufgeheizte Stimmung, rechtsradikale Slogans, Hitlergrüsse, Ausschreitungen, Wasserwerfer, Tränengas – Bilder, die Angst machen.
Wie soll man reagieren? Die einen sagen: nur nicht übertreiben, das legt sich wieder. Bauscht das Treiben dieses rechtsnationalen Mobs nur nicht auf, das bringt ihnen nur Publizität und zieht weitere Kreise.
Andere sagen: Wehret den Anfängen! Ähnlich hat es in Deutschland schon einmal begonnen. Schiebt einen Riegel! Lasst eure Institutionen nicht von diesem Mob untergraben!
Und da gibt es eine dritte Kategorie von Leuten: Lasst die doch toben, das sind armselige Loser. „Ich interessiere mich ohnehin nicht für Politik.“
Soll man diesen destruktiven, rechtsextremen Chaoten freie Bahn lassen? Die Reaktionen auf ihr Gebrüll und ihre Aufmärsche fallen erstaunlich zahm und zögerlich aus. Soll man ihnen nicht unmissverständlich klarmachen, dass man sie nicht will?
Damit wertet ihr diese Leute nur auf, heisst es. Lasst sie doch einfach machen. Ist das wirklich das richtige Rezept? Macht man sich dann nicht mitschuldig, dass sie an Anhängerschaft gewinnen? Dazu gehören auch jene, die sich aus der Verantwortung stehlen und sagen: „Ich interessiere mich halt nicht für Politik“. Wer nicht stösst, der wird gestossen. Wer sich nicht wehrt, gerät in die Defensive.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas hat am Sonntag in einem Zeitungsinterview Klartext gesprochen: „Der Chor der Anständigen muss lauter werden“, sagte er. Mit der abwartenden Haltung der schweigenden Mehrheit müsse es vorbei sein. „Da müssen wir denn auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen.“ Es bräuchte heute viele Heiko Maas.
Wieso stehen die Intellektuellen nicht auf, die Kirchen, die Künstler, die Wissenschaftler? Ausser ein paar Floskeln kommt da wenig. Wieso veröffentlichen sie keine Aufrufe? Wieso treten keine Bands auf, die gegen die Rechtsextremen ansingen? Auch Künstler haben eine Verantwortung – und Politiker sowieso. Wieso gibt es keine Lichterketten? Wieso bildet sich nicht eine Front gegen das unsägliche rechtsnationale Treiben. In der DDR gab es die berühmten Montagsdemonstrationen. Wieso finden solche Anlässe nicht heute statt?
Natürlich würden dann die brüllenden Stierennacken nicht zu handzahmen Demokraten. Aber sie müssen wenigsten einsehen, dass man ihr Treiben nicht billigt und dagegen angeht.
Die Rechtsaussen-Demonstranten von Chemnitz spielen sich als biedere Bürger auf, denen das Wohl der Bundesrepublik und ihrer Kinder am Herzen liegt. Dass man sich nicht täusche. Angeführt wurde die Demonstration vom AfD-Politiker Björn Höcke mit seinem erwiesenermassen völkischen, rassistischen, geschichtsrevisionistischen und teils nationalsozialistischen Gedankengut.
Es ist nicht so, dass alle nur zuschauen. Schon gibt es viele, die gegen die Rechtsextremen auf die Barrikaden steigen. Doch viele von ihnen werden gleich verunglimpft und als naive Gutmenschen und Multikultis belächelt.
Nein, übertreiben wir nicht: Chemnitz ist nicht Deutschland, die demokratische Bundesrepublik ist nicht in Gefahr. Die Nazis stehen nicht vor der Tür. Gerade wegen ihrer braunen Vergangenheit sind die demokratischen Institutionen in Deutschland gefestigter als in manchen anderen Ländern. Es weht kein „Hauch von Weimar“, wie ängstliche Bürgerinnen und Bürger schon sagen. Deutschland hat – im Westen mehr als im Osten – seine Vergangenheit grösstenteils bewältigt.
„Seien wir tolerant, unsere Demokratie ist stark genug und verträgt auch solche Schreihälse“, heisst es. Aus Bequemlichkeit verharmlost ein grosser Teil der lethargischen Gesellschaft jede Unannehmlichkeit und jedes Problem.
Doch Verharmlosen und Verniedlichen ist kein Rezept. Die AfD, die nun zusammen mit der fremdenfeindlichen Pegida und der sehr rechten Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ marschiert, frisst sich schon weit ins bürgerliche und linke Lager hinein. Man täte gut daran, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten und endlich darauf zu reagieren.
Toleranz soll kein Freipass sein und hat Grenzen. Toleranz kann auch Dummheit sein.