Es war einer der letzten geradezu unwirklich schönen, hellen, klaren Herbsttage dieses Jahres, als wir uns in Zürich verabredet hatten. Natürlich in der Nähe des Opernhauses. Wo denn sonst…. Donna Leon, die zu diesem Zeitpunkt schon den ersten Schnee des Winters im Val Müstair erlebt hat, geniesst die Sonne und bestellt sich einen Espresso. Freundlich grüsst sie nach rechts und winkt nach links. Man erkennt Donna Leon, so von den Bildern her, auch wenn man sie nicht kennt…
Mehr als zwanzig Jahre ist es her, seit wir uns zum ersten Mal zum Interview getroffen haben. Zu jener Zeit war sie noch unbekannt. Eine amerikanische Autorin, die in Venedig lebt und einen Krimi geschrieben hat. Einen Krimi, auf den Diogenes-Verleger Daniel Keel aufmerksam geworden war. Mit sicherem Instinkt nahm er Donna Leon für seinen Verlag unter Vertrag. „Venezianisches Finale“ hiess dieses erste Buch dann auf Deutsch. Hauptfigur war ein gewisser Brunetti, Guido Brunetti, Commissario in Venedig.
Tatort Oper
Damals ermittelte Brunetti im Mordfall Wellauer. Dabei ging es um einen deutschen Stardirigenten, der im „Teatro La Fenice“, dem Opernhaus von Venedig, noch vor dem letzten Akt von Verdis „Traviata“ vergiftet in seiner Garderobe aufgefunden wird. Der Erfolg war durchschlagend: Brunetti löst den Fall selbstverständlich, Donna Leon kommt nicht umhin, weitere Folgen zu schreiben, ihre Bücher landen im Handumdrehen an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten, die Fernsehverfilmungen sind ein sicherer Publikumsrenner.
Und nun steht Commissario Brunettis vierundzwanzigster Fall bevor. „Endlich mein“ steht als Titel auf dem neuesten Band. Zum ersten Mal seit seinem Erscheinen auf der Krimi-Bühne, hat Brunetti wieder im Opernhaus „La Fenice“ zu ermitteln. Die Sopranistin Flavia Petrelli, die bereits im ersten Buch in der „Traviata“ auf der Fenice-Bühne stand, ist nun als „Tosca“ zurück. Und sie wird von einem Fan so sehr bedrängt, dass daraus ein Fall für Brunetti wird.
Die Oper als Tatort, das ist natürlich auch ein Fall für Donna Leon. Denn die Oper, das ist ihre Liebe und das ist ihre Welt. Dorthin nimmt sie diesmal auch ihre Leserschaft mit. „Mit Donna Leon backstage hinter die Kulissen des ‚La Fenice‘ blicken zu können, ist für Opernfans ein wahrer Hochgenuss“, schrieb die New York Times über dieses Buch.
Brunetti ermittelt weiter
Nun sitzen wir hier in Zürich, Donna Leon packt eine Quark-Schnecke zum Kaffee aus und schwärmt von diesem Gebäck, teilt das Stück und wir beissen beide hinein. Wie ist das denn nun, frage ich Donna Leon, schliesst sich jetzt der Kreis, wenn Brunetti wie in seinem ersten Fall wieder im „La Fenice“ auf Spurensuche geht? Wird er womöglich anschliessend pensioniert? „Oh nein“, wehrt Donna Leon gleich ab. „Das nächste Buch ist bereits geschrieben…!“ Brunetti, sympathisch und belesen, kämpft nun auch schon einige Jahre gegen das Verbrechen. Älter scheint er dabei kaum zu werden, sogar seine Kinder bleiben irgendwie alterslos. Die mehr als zwanzig Jahre seit dem ersten Buch sind an ihnen fast ebenso spurlos vorübergegangen wie an Brunettis Ehefrau Paola. Nur wir Leser sind älter geworden…
„Das Alter der Personen ist unwichtig, es spielt einfach keine Rolle. Und Brunetti wird so lange weiterarbeiten, wie ich Fälle für ihn finde. Als ich mit Brunetti angefangen habe, war das mehr zum Spass. Nie hätte ich mit diesem Erfolg gerechnet. Eine Fortsetzung war ohnehin nicht geplant. Ich habe ja erst in der zweiten Hälfte meiner beruflichen Laufbahn angefangen zu schreiben.“ Auf das neueste Thema ist Donna Leon schon vor etwa zehn Jahren gestossen. „Ich sprach damals mit einer Sängerin, die mir von einem verrückten Fan erzählte. Solche Fans wollen alles, sie vereinnahmen ihr Idol total. Als sogenannter Promi ist es ja wichtig, sich in der Öffentlichkeit gut zu benehmen. Eine freundliche Geste wird aber auch oft völlig missverstanden. Das kann sehr schwierig werden.“ Allerdings, fügt sie bei, seien die meisten Fans sehr nett, insbesondere hier in der Schweiz, wo sie auf taktvoller Distanz bleiben. Da kann sie aus eigener Erfahrung sprechen. „In Wien wird man sehr oft angesprochen, aber freundlich. Und in Venedig sind es vor allem Deutsche, die mich erkennen.“
Brunetti im „La Fenice“
Als Schriftstellerin, fügt sie noch bei, sei sie den Fans auch etwas weniger ausgeliefert, es gibt eine Art Sicherheitsdistanz durch das Buch. Wer aber auf der Bühne stehe, habe viel direkter mit seinem Publikum zu tun. Gibt es denn für diese Flavia Petrelli ein Vorbild? Man könne sich Cecilia Bartoli vorstellen, Joyce DiDonato oder Anna Netrebko, so einen Opern-Superstar eben, meint sie.
Gewidmet hat sie das neueste Buch Ada Pesch, der Konzertmeisterin des Orchesters „La Scintilla“ am Opernhaus Zürich. Sie ist im Laufe der Jahre eine gute Freundin für sie geworden. Womit auch hier der Bogen zur Oper wieder geschlagen wäre.
Dann erzählt Donna Leon noch eine kleine Anekdote. Als sie kürzlich in Venedig an einer Premiere im „La Fenice“ war, kam sie mit einem Herrn ins Gespräch, der ganz angetan war von der Aufführung und Donna Leon nach ihrer Meinung fragte. „Ich habe ihm gesagt, dass ich das ganz anders sehe, dass die Produktion schwach war und dass ein so schönes Theater auch dementsprechend gute Aufführungen haben müsste…!“ Der Herr stellte sich übrigens als „Brunetti“ vor. Er ist kein Commissario, sondern gehört zu den Freunden des „Teatro La Fenice“. Von seinem Namensvetter in Donna Leons Büchern weiss er vermutlich nichts. Denn auf Italienisch gibt es Brunetti immer noch nicht. Donna Leon möchte in ihrer Wahlheimat Venedig weiterhin einfach die nette Amerikanerin von nebenan sein, die so gut italienisch spricht. Von der man aber nicht weiss, was sie da in ihrer Wohnung so zusammenschreibt.
Donna Leon
Endlich Mein
Diogenes Verlag