Klassische Musik ist was für Alte? Stimmt nicht. Junge Musiker und junge Dirigenten, aber natürlich auch junge Musikerinnen und Dirigentinnen, sorgen für einen frischen Blick auf Klassisches, wischen den Staub auf festgefahrenen Interpretationen gründlich weg und lüften durch. Einer der «shooting stars» der jungen Dirigenten-Generation hat dies soeben in der Zürcher Tonhalle bewiesen: Patrick Hahn aus Österreich.
Im Gespräch seien sie schon länger gewesen, er und die Tonhalle Zürich, sagt Patrick Hahn. Sein erstes Konzert in der Tonhalle ist dann aber schneller gekommen als geplant. Kurzfristig ist er für David Zinman eingesprungen, der aus gesundheitlichen Gründen nicht aus den USA angereist war. Mozart und Bruckner stand auf Zinmans Programm und so hat es auch Patrick Hahn übernommen.
Mozart, klar, das Violinkonzert Nr. 5 A-Dur passt zu einem jungen Dirigenten und einer noch jüngeren Solistin. Die Geigerin Noa Wildschut ist erst 22 Jahre alt, Patrick Hahn 27 und damit zurzeit der jüngste Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum und zwar in Wuppertal.
Aber Bruckner und ein junger Dirigent? Bruckner, der doch eher schwer und düster daherkommt und immer so ernst. Aber schon in der Probe klingt es heiter, luftig und beschwingt.
Bruckner ist wie ein Glasl Bier …
«Also Bruckner liegt mir sehr am Herzen», betont Hahn ausdrücklich. «Ich habe noch nicht so viel Bruckner aufgeführt, aber einiges schon. Es herrscht da so eine Art Missverständnis oder eine falsche Konzeption, dass Bruckner oft so super schwer und fast depressiv daherkommt und das ist er eigentlich gar nicht. Er schreibt relativ genau vor, was er will. Aber man muss wissen, dass die Orchester damals viel leiser waren als heute und wenn man die Noten heute ein bisschen fragiler und heiterer liest, dann klingt das ganz anders. Ich glaube nicht, dass Bruckner ein depressiver Mensch war. Er war tiefreligiös. Und wohl auch ein komischer Kauz …!» Patrick Hahn lacht und macht noch einen Vergleich: «Wenn Gustav Mahler ein Glas Wein gewesen wäre, dann wär’ Anton Bruckner ein Glasl Bier. Das hat was Irdisches, was Tänzerisches, was Volkstümliches auch und das merkt man immer wieder in der Musik.»
Bei der Probe und im Konzert wirkt Patrick Hahn ebenso entspannt wie das Tonhalle-Orchester. Manchmal strahlt er komplizenhaft einen Musiker an oder freut sich über den Einsatz einer Musikerin. Die Stimmung ist gut, man versteht sich.
Patrick Hahn kommt aus Österreich und wurde in Graz geboren. Nichts deutete zunächst auf eine musikalische Laufbahn hin, denn der Vater war Schlosser. «Ich habe das als Vorteil angesehen, denn ich konnte mich frei entwickeln», sagt er rückblickend. «Warum ich so eine Affinität zur Musik habe und woher das kommt, weiss ich nicht. Zum Dirigieren bin ich über den Knabenchor und das Singen gekommen. Das hat mich von klein auf fasziniert. Ich konnte alles ausprobieren, ohne dass meine Eltern gesagt hätten, ‘du musst was G’scheits lernen.’ Ich wurde nirgendwo hingezwängt.» Viel Glück habe er gehabt, sagt er, und immer die richtigen Leute an seiner Seite. «Die richtigen Pädagogen vor allem», präzisiert er. Das fing beim Knabenchor an und ging bis zur Uni, wo er schon als Zwölfjähriger Klavier studieren durfte und anschliessend ein Dirigierstudium absolvierte. Mit 19 Jahren gab er sein Debüt als Dirigent mit einem Galakonzert an der Ungarischen Staatsoper in Budapest und wurde dann von den verschiedensten Orchestern engagiert. 2019 war er mit damals 24 Jahren der jüngste Dirigent, der in der Elbphilharmonie auftrat. Japan, Salzburg, Wien, München …, geradezu schwindelerregend geht es weiter. Dirigenten wie Bernard Haitink oder Kurt Masur haben ihn auf seinem Weg geprägt. Einer aber ganz besonders. «Als ich schon ein bissl in diesem Zirkus unterwegs war, habe ich bei Kirill Petrenko in München assistiert und wahnsinnig viel gelernt. Ich bewundere ihn sehr, weil er so ein atypischer Dirigent ist. Er interessiert sich für nichts, das nicht mit Musik zu tun hat. Er ist geradezu manisch in dem, was er macht. Das ist total beeindruckend und die Resultate sind phantastisch.»
Frittatensuppe zum Hören
Neben dem vielen, was er bereits erreicht und ausprobiert hat, gibt es auch Zeitgenössisches. Jazz, Chansons und sogar eine kleine Oper, die er mit zwölf Jahren komponiert und vor fünf Jahren in Graz uraufgeführt hat: «Die Frittatensuppe». «Ein Jugendstreich …!», sagt er fast entschuldigend … und aufgeführt wurde es seither nicht mehr. «Vielleicht irgendwann noch mal als Gag, aber im Moment muss das wirklich nicht sein …» Vielleicht ist diese «Frittatensuppe» auch nur der erste Gang für ein Menu, dem weitere Werke folgen? Wer weiss. Immerhin hat Patrick Hahn auch bereits etwas für den Chor des Bayerischen Rundfunks komponiert. «Das war ein Auftragswerk und das war super, denn es ist einer der besten Chöre. Aber ich merke, dass ich für das Komponieren nicht mehr genug Zeit habe und auch nicht die Musse. Komponieren ist aber ein Handwerk, das mir beim Dirigieren zugute kommt, weil ich die Sicht des Komponisten besser nachvollziehen kann.»
Was aber sein muss, ist die Zusammenarbeit mit dem Klangforum Wien, einem der führenden Ensembles für Neue Musik. «Ich mache relativ viel zeitgenössische Musik», sagt Hahn, «und fast ausschliesslich mit dem Klangforum Wien. Ich liebe die Gruppe heiss und innig. Wir haben ein tolles Verhältnis, musikalisch und auch persönlich. Sie sind totale Freaks … natürlich im positiven Sinne!»
Vorsichtiger ist er zunächst mit Alter Musik. «Also von Bach habe ich die grossen Werke fast alle gesungen, die kenne ich vom Knabenchor her. Mein erstes grosses Bach-Dirigat wäre die h-moll-Messe gewesen, das ist aber Corona zum Opfer gefallen …» Alte Musik aus Barock und Renaissance interessiert ihn sehr, aber er kenne sich da noch zu wenig aus, sagt er und hat allen Respekt davor. «Da muss ich noch reinwachsen.»
Zeit zum Trödeln?
Das halbe Jahr in Wuppertal als Generalmusikdirektor, das andere halbe Jahr unterwegs. Bleibt da überhaupt noch Zeit, um einfach mal herumzutrödeln …? «Ja, das gibt es schon», sagt er, «Ich geniesse es immer sehr, wenn ich in die Steiermark nachhause komme. Das ist in der Nähe von Graz und ganz auf dem Land. Die Nachbarn sind alles Verwandte vom Papa. Da ein Onkel, dort eine Tante und dann noch ein Onkel und Kinder und Cousins … und weil keiner von ihnen Musiker ist, muss man sich auch nicht über Musik unterhalten. Das ist das Schönste: Abschalten und nichts mit Beruf oder Berufung zu tun haben. Es geht dann nur um alles andere!»
Das Zürcher Publikum, das Patrick Hahn schon bei seinem Tonhalle-Debüt herzlich und heftig applaudiert hat, wird ihn spätestens in der nächsten Spielzeit wieder erleben können, dann aber im Opernhaus. Dann wird er «Die lustige Witwe» von Franz Lehar dirigieren und ihr mit Sicherheit den nötigen Wiener Schmäh verpassen. «Das wird lustig», freut er sich heute schon. «Ich mag das Stück sehr. Es ist gute Musik … und eine echte Herausforderung. Operette gut zu machen, damit es so leichtfüssig und unbeschwert klingt, ist mindestens so schwer wie eine Wagner-Oper. Barrie Kosky inszeniert, es wird also bestimmt toll!»