„Ni hao“ sagt die junge Frau statt „Bonjour“, denn sie ist Chinesin und heisst Guanqun Yu. Sie gehört zum Ensemble von „La Bohème“ und spielt eine Pariserin. Sportlich und bodenständig wirkt sie, wie sie jetzt, ganz privat mit Rucksack und festen Schuhen, die Treppe im Opernhaus hochsteigt und eine leer stehende Garderobe ansteuert. Nach ein paar Wochen Probenzeit und den ersten paar Vorstellungen fühlt sie sich inzwischen heimisch in diesem Haus.
Guanqun Yu ist die „Mimi“ in der Neu-Inszenierung von Puccinis „La Bohème“ und von Anfang an ist sie der Publikumsliebling in dieser Aufführung. Mehr noch: auch von Kritikern hat sie nur beste Noten für ihr Debüt hier in Zürich bekommen. Ganz im Gegensatz zur „Bohème“ selbst, die eher unter norwegischen Holzfällern spielt als in der Pariser Bohème mit ihren Künstlern, Musikern und Frauen. Aber wie dem auch sei: Guanqun Yu ist die Entdeckung des Abends.
„Seit fünf Jahren arbeite ich an dieser Rolle“, sagt sie. „Jetzt endlich kann ich sie zum ersten Mal auf der Bühne spielen. Es ist eine Oper, in der es um Liebe pur geht. Nicht um Machtspiele oder Rache, nur um Liebe.“ Sie schwelgt richtig, wenn sie von dieser Rolle schwärmt. „Das ist doch der Traum jedes jungen Mädchens: die reine Liebe. Mimi stirbt zwar in den Armen von Rodolfo, das ist natürlich tragisch. Aber sie hatte ja vorher mit Rodolfo eine gute Zeit und am Ende stirbt sie bei ihm zuhause. Damit schliesst sich für mich die Geschichte mit einem perfekten Finale.“
Im ungeheizten Zimmer
Dass Guanqun Yu die Geschichte der Mimi so nahe geht, hat auch mit eigenen Erlebnissen zu tun. „Während meines Gesangsstudiums in Bologna habe ich auch in einem ungeheizten Zimmer gelebt, weil ich mir nichts Besseres leisten konnte. Und im Winter schneit es in Bologna und es ist kalt. Da dachte ich an China zurück und welcher Komfort mir dort angeboten worden war… da hätte ich am liebsten aufgegeben und wäre zurückgereist…“ Zum Glück hat sie dies aber nicht getan. Stattdessen hat sie fleissig am Opernstudio in Bologna weitergelernt. Und nun ist sie auf bestem Weg, ein neuer Stern am Opernhimmel zu werden.
Dieser Weg war allerdings nicht immer geradlinig. Guanqun Yu stammt aus der Provinz Shandong. Musik war in ihrer Familie kein Thema, bis Guanquns Mutter ihr ein Akkordeon schenkte. „Aber der Klang hat mir überhaupt nicht gefallen“, resümiert sie heute ihre ersten Musik-Erfahrungen. Ein Lehrer auf dem College wurde dann auf ihre Stimme aufmerksam, fand sie sehr schön und ermunterte Guanqun Yu zum Gesangsstudium. Das war gleich was ganz anderes…“ Das war für mich einfach und ich musste nicht neun Stunden üben. Als ich dann einmal ein Stück aus ‚Carmen‘ hörte, war ich ganz aufgeregt. Was ist das? Das war für mich völlig neu. Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte nur noch herausfinden, was das war, was wir da gehört hatten. Oper war es! Vorher hiess Singen für mich: man lernt es und man singt es. Punkt. Dann, mit dieser ‚Carmen‘ hat es mich gepackt und ich wollte mehr wissen über Oper.“
Dieses Mehr-Wissen eignete sie sich in Shanghai an. „Dort hatte ich Lehrer, die gerade nach zwanzig Jahren aus den USA zurückkamen nach China. Sie haben mir die Oper näher gebracht.“ Und falls sie zu diesem Zeitpunkt noch Zweifel gehabt haben sollte, ob Oper wirklich das Richtige für sie ist, dann waren diese Zweifel nach Guanquns Besuch von Puccinis „Turandot“ wie weggefegt. „Es war mein erstes Opernerlebnis: als José Cura ‚nessun dorma‘ sang, war ich einfach weg… ich wusste, ich MUSS das machen, ich kann diesem Drang, dieser Sehnsucht in mir, nicht widerstehen…“
Erfolg in New York
Den Belvedere-Gesangswettbwerb in Wien gewann sie auf Anhieb. „Aber mein Agent sagte, mein Italienisch sei zu schlecht und ich müsste jetzt erst mal nach Italien gehen. Er brachte mich in Bologna im Opernstudio unter, und tja, jetzt mache ich meinen Weg…“ Verdi, Puccini, Mozart, all diese Komponisten sind im Moment ihr Fach. Musikalisch schafft sie das problemlos und ihr Italienisch lässt nichts zu wünschen übrig.
Das haben inzwischen auch verschiedene grosse Opernhäuser gemerkt. Sogar die Metropolitan Opera in New York ist schon vor drei Jahren auf die junge Chinesin aufmerksam geworden. Als Leonore in Verdis „Trovatore“ wurde sie zum gefeierten Star der Aufführung. Und nun also „La Bohème“ in Zürich. Zum ersten Mal, richtig auf der Bühne. Zuvor war es nur eine konzertante Aufführung der „Bohème“ in Japan, aber unter der Leitung von Fabio Luisi, der jetzt Generalmusikdirektor am Zürcher Opernhaus ist. „Die Mimi möchte ich in meinem Repertoire behalten“, sagt sie und erzählt, dass sie die Rolle anschliessend auch an der Deutschen Oper in Berlin und an der Bayerischen Staatsoper in München singen wird.
Und wie wäre es mit Wagner, fragt man sich, wenn man ihre kräftige schöne Stimme hört. „Ah, Wagner…“, seufzt sie…. „das ist mein Lieblingskomponist…. aber da bin ich noch etwas zu jung….“ Eine ganz kleine Rolle habe sie schon mal im „Tannhäuser“ gesungen, und in dieser Richtung möchte sie in Zukunft unbedingt weitermachen. „Wagner ist für mich wie ‚Turandot‘. Ich habe das Gefühl, ich muss das eines Tages machen. Aber jetzt im Moment konzentriere ich mich erst einmal auf belcanto.“
Oper, globalisiert
In der Schweiz und in Zürich ist sie zum ersten Mal. „Es ist eine schöne Stadt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, hier auch zu wohnen. Am Anfang war ich ganz überrascht, dass das Opernhaus so klein ist..! Dabei treten doch so grossartige Sänger hier auf. Aber ich fühle mich wohl auf dieser Bühne und unter meinen Kollegen. Ich wohne im Tiefenbrunnen und vom Balkon meiner Wohnung habe ich den schönsten Blick auf den See. Das Wasser ist so klar und sauber, man kann bis auf den Grund sehen. Das habe ich noch nie erlebt.“
Bevor sie sich ernsthaft überlegt, sich in Zürich niederzulassen, spielt die Chinesin eine Französin in einer Oper des Italieners Puccini, mit einem Amerikaner als Rodolfo, einem Norweger als Regisseur, einem Ukrainer, einem Moldawier und einem Russen als Partner und einem Italiener als Dirigent. Und das alles auf einer Schweizer Bühne. „Ja…das ist Oper“, sagt sie. Und zumindest auf dieser Bühne funktioniert die Globalisierung. Singen vereint.