Der Ständerat, 1848 in der Bundesverfassung zum Schutz der im Sonderbundskrieg unterlegenen, katholischen Kantone eingeführt, setzt sich aus je zwei Vertretungen pro Kanton zusammen. Diese werden meistens von bekannten Politik-Persönlichkeiten eingenommen, also „altgedienten“ Damen und Herren. Der Volksmund hat deshalb für den Ständerat die Bezeichnung „Stöckli“ kreiert. Dazu passt die Groteske, dass erst seit 2014 – nach langem Widerstand – elektronisch abgestimmt wird, dies nach Falschauszählungen als Resultat der antiquierten Handauszählung. Heute braucht es allerdings längst auch keinen Schutz mehr für die katholischen (Klein-) Kantone.
Damals und heute
Zweifellos wird der Föderalismus durch die oben beschriebene Situation gestärkt. Kritik wird jedoch verschiedentlich am „System Ständerat“ geübt. Nachdem mittlerweile mehr Katholiken als Protestanten in der Schweiz leben, ist die ursprüngliche Begründung für den Ständerat also längst überholt. Daneben liefert die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung der Kantone einen weiteren Grund, dass sich dieses Konstrukt sogar gegen die Volksmeinung richten kann. Viel zitiertes Beispiel: Appenzell Innerrhodens Bürgerinnen und Bürger haben bei Verfassungsabstimmungen mittlerweile 44x mehr Gewicht als jene Zürichs. Dies hat natürlich nichts mehr gemeinsam mit der urdemokratischen Formel „One man, one vote“ zu tun. In einem Extremfall können heute in der Schweiz neun Prozent der Stimmberechtigen auf diese Weise einen Mehrheitsentscheid des Volkes zu Fall bringen.
In der Vergangenheit übte der Ständerat nicht selten eine blockierende Wirkung auf gesellschaftliche oder politische Reformanliegen aus. Ländliche Kleinkantone denken eben oft anders als städtische Agglomerationen. Dies ist in Zeiten überfälliger Reformen in der Schweiz kein besonderer Leistungsausweis. Erfreulicherweise ist jedoch dieses negative Image in letzter Zeit am Verblassen. Es sind immer mehr Persönlichkeiten in den Ständerat gewählt worden, die durchaus fortschrittlich, ja kreativ/innovativ denken. Wer weiss, vielleicht mutiert der Ständerat vom „Chambre de réflexion“ zum „Chambre d’innovation“?
Eine Klimapolitik, die den Namen verdient
Der nüchtern politisierende Ständerat Werner Hösli (SVP Glarus) bringt es auf den Punkt: „Letztlich wird das Volk den Klimaschutz bezahlen müssen.“ Diese Aussage steht im Zusammenhang mit der geplanten CO₂-Abgabe, die Flugreisen und Benzinpreise erhöhen soll. Im Gegensatz zum Nationalrat, wo in der Winterberatung die bürgerliche Mehrheit das geplante Gesetz zum Klimaschutz laufend verschlechtert hatte, sodass es schliesslich in der Schlussabstimmung scheiterte, sprach sich diesen Sommer der Ständerat für ein Gesetz gegen die Klimaerwärmung aus, das den Namen verdient.
Fliegen ist viel zu billig. Dank unrühmlicher Subventionen von Kerosin und nationalen Fluglinien bezahlt die reisewütige Kundschaft heute nur einen Bruchteil der effektiven Kosten. Dass damit Fliegen auch gegenüber der Bahnalternative vorgezogen wird, kann man dem Publikum wohl nicht vorwerfen. Das neue Gesetz sieht eine Flugticketabgabe von 30 bis 120 Franken vor, ebenfalls eine Erhöhung des Benzin- und Dieselpreises von max. 10 Rappen – aus den Reaktionen der Parteien kann abgelesen werden, wer sich für ein zeitgemässes Gesetz einsetzt.
Entlarvende Diskussion auf Radio SRF
Am Beispiel des Kantons Zürich (Radiopodium der sieben Kandidierenden für den Ständerat) trennten sich Spreu vom Weizen. Die Diskussion zeigte eines klar und deutlich: die oben erwähnten Lenkungsabgaben von 30.– Franken auf Flugtickets, resp. 10 Rappen auf den Benzinpreis erachteten fast alle Teilnehmenden als ein Minimum (ohne wirklich eine lenkende Wirkung zu erzielen) und wenn wir das ehrlich betrachten – hat je eine Benzinpreiserhöhung um 10 Rappen den Verkehr überhaupt beeinflusst?
Warum ich in diesem Beitrag die Klimadiskussion herausgreife, wo es doch um die Wahlen in den Ständerat geht? Aus zwei Gründen: Erstens, weil das Beispiel aufzeigen soll, wie konservativ oder fortschrittlich die 46 Standesvertreter in den nächsten vier Jahren agieren werden. Zweitens, wie wichtig für jeden Kanton die ungeteilte Standesstimme dabei ist. Nochmals zum Kanton Zürich: Wenn von den zwei Stimmen die eine für, die andere gegen CO₂-Abgaben resultiert, ist der Einfluss dieses Kantons gleich null. Die Gewählten hätten ebenso gut zuhause bleiben können. Oder: – rein hypothetisch – Wenn Ruedi Noser (FDP) dafür votiert und Roger Köppel (SVP) einen solchen Entscheid als „hysterisch“ bezeichnet, dann spricht das Bände bezüglich Beurteilungsvermögen eines der wichtigsten Themen zur Zeit – der Klimaerwärmung.
Der ominöse Frauenanteil im Ständerat
In der zu Ende gehenden Legislatur sitzen sieben Frauen im Ständerat (Anteil 15 Prozent). Sollte das Parlament den Bevölkerungsanteil repräsentieren, wäre das eine klägliche Bilanz. Ganz im Sinne eines Aufbruchs aus der konservativen Grundhaltung ist es deshalb nicht verfehlt und täte es unserem Land enorm gut, wenn nach den Wahlen dieser bescheidene Anteil spürbar steigen würde.
Aus der Blockade ausbrechen – zusammen kooperieren
Neben der Klimaerwärmung beschäftigt sich die Bundespolitik seit Monaten, teilweise seit Jahren, mit anderen wichtigen Geschäften: unserem Verhältnis zur EU oder der Finanzierung der Altersvorsorge, als Beispiele. Sollte es der Schweiz nicht gelingen, eine Lösung für die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zu finden, wäre das sehr bedauerlich. Vergessen wir nicht: Wir wollen uns dem Club (EU) anschliessen, weil erwiesenermassen ein Grossteil unseres Wohlstands von einer erspriesslichen Zusammenarbeit mit den Ländern, die drei Viertel unseres Exports abnehmen, abhängig ist und bleiben wird.
Auch bei der Altersvorsorge blockieren sich die Parteien beharrlich. Doch eine Lösung wird nur gelingen, wenn Verzichte akzeptiert werden. Der Umwandlungssatz muss sinken (darauf hat die Schweiz eigentlich gar keinen Einfluss), die monatlichen Abgaben und Rückstellung zugunsten der Pensionierung müssen steigen, die behördlich angeordnete Pensionierung mit 65 ist nicht mehr zeitgemäss angesichts stark gestiegener Lebenserwartung und muss nach oben verschoben werden. Wer das aus ideologischen Gründen bekämpft, tut dem Land keinen Gefallen. Der Anteil der über 65-Jährigen steigt rapide, die Personalknappheit bei jenen Berufen, die den Ruf der Schweiz als Exportland begründen, steigt in Besorgnis erregendem Ausmass.
Fazit: Die wichtigste Aufgabe des neu zusammengesetzten Parlamentes ist jene, aus sturen parteipolitisch-ideologisch Blockadehaltungen auszubrechen um zeitgemässe kooperative Lösungen zu realisieren.