So auch auf der politischen Bühne Südostasiens, wo vergangene Woche die zwei jährlichen Gipfeltreffen der Region stattfanden.
Letzlich geht es um das Verhältnis zwischen dem globalen ‘Numero Uno’ und seinem Herausforderer. Es geht auch darum, wo sich die anderen Länder des Grossraums in diesem Spannungsfeld positionieren und dieses mit beeinflussen. Europa, und damit die Schweiz, können sich nicht mit der Zuschauerrolle begnügen.
Kindisches Geblödel der Republikaner
Die verschiedenen archetypischen Figuren im Wayang Kulit sind allen bekannt und werden vom Publikum kategorisch verlangt. Indes fehlte der traditionelle Hauptprotagonist diesmal auf der Politbühne im Grossraum Asien Pazifik (AP). Barack Obama wurde bekanntlich vom kindischen Geblödel erzkonservativer Politiker in Washington zurückgehalten.
Er musste sich sowohl am Jahrestreffen des APEC-Forums in Bali (Asia-Pacific Economic Cooperation), als auch am Ostasien-Gipfel EAS (East Asia Summit) in Brunei, von seinem Aussenminister Kerry vertreten lassen. Das ist ein Gesichtsverlust für den amerikanischen Präsidenten persönlich und für die USA als Land, welche in diesen beiden wichtigsten Strukturen des AP als weiterhin dominierende Weltmacht sowohl ihre eigenen, als auch die ‘antichinesischen’ Interessen zahlreicher anderer Länder der Region vertreten.
Adler gegen Drachen
Antichinesische Intressen? Aus historischen Gründen (Japan, Vietnam), wirtschaftlichen und sozialen (Indonesien, Malaysia) sowie geopolitischen (Indien, Australien, Korea, Russland) sind die Beziehungen dieser Länder zum grossen Emporkömmling im AP, China, durchaus vielschichtig. Auf der einen Seite ist das chinesische Wirtschaftswunder sowohl die Hauptstütze der regionalen Wirtschaftsentwicklung als auch weithin sichtbares Symbol für den globalen Aufstieg der Schwellenmächte; ‘the Rest catching up with the West’, wie das vom kolonialgeschundenen Geschichtsempfinden in Asien genannt wird. Auf der anderen Seite traut man den schützenden Adlerflügeln von Onkel Sam grundsätzlich noch immer mehr als dem loderndem Feuer aus chinesischem Drachenschlund.
Gerade im jetzigen Zeitpunkt wäre die persönliche Teilnahme ‘des mächtigsten Mannes der Welt’ als Zeichen der unbeirrten Fortführung der seit rund fünf Jahren geltenden amerikanischen Kehrtwende nach Asien (‘Asian pivot’) speziell nötig gewesen. Zu einem Zeitpunkt, wo die mittelöstliche Vergangenheit (Iran, Irak) und Gegenwart (Syrien, Israel/Palästina) der USA deren aussenpolitische Aufmerksamkeit und Kapazität wieder völlig zu absorbieren scheinen. China hat dies sehr schnell realisiert und in den beiden Gremien sowohl im politischen Bereich (Vorschlag eines neuen, bilateralen Freundschafts- und Kooperationsvertrages mit der ASEAN) als auch mit Bezug auf Wirtschaft (Aufwertung des Freihandelsabkommens mit der ASEAN) neue Vorschläge eingebracht.
Trans-Pacific Partnership
Indien seinerseits hat einen bilateralen Besuch von Premierminister Singh in Washington - entgegen gewissen Erwartungen – nach kürzlichen Grenzverletzungen Beijings nicht dazu verwendet, antichinesische Zeichen zu setzen.
Zudem ist im Wirtschaftsbereich gegenwärtig der chinesisch-amerikanische Wettlauf um Vorherrschaft im AP relativ klar zu sehen. Von Washington wird Druck aufgesetzt, um den TPP (Trans-Pacific Partnership)-Vertrag, ein Freihandelsvertrag modernen Zuschnitts, welcher weit über ungehinderten Handelsverkehr hinausgeht, möglichst schnell zur Vollendung zu bringen. Zusammen mit dem vorgesehenen Transatlantischen Freihandelsabkommen EU-USA (und später NAFTA) würde der TPP zu einem Freihandelsraum führen, welcher, unter gegenwärtigem Ausschluss Chinas, einen sehr beträchtlichen Teil der globalen Wirtschaftsströme kontrollieren würde, an dem sich später auch Beijing - in einem bereits festgelegten Rahmen - beteiligen könnte, respektive aus eigenem Intresse müsste.
Immer selbstbewussteres Auftreten Beijings
Diese Beschleunigung der Einigung im Rahmen TPP ist durch die fehlende Präsenz von Obama nun ausgeblieben, was wiederum die Verhandlungen zum anderen umfassenden, den TPP konkurrenzierenden Freihandelsvertrag RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership), in den Vordergrund rückt. Diese Verhandlungen vereinen die wirtschaftlichen Schwergewichte aus dem AP, eingeschlossen China, aber, im Moment zumindest , ohne die USA mit der ASEAN. Es handelt sich um einen konventionellen Freihandelsvertrag, indes ist ungewiss ob Kompatibilität mit einem künftigen TPP ohne weiteres möglich wäre.
Diesen eher chinafreundlichen Realitäten stehen aber auch grundsätzlich andere entgegen, bedingt durch das immer selbstbewusstere Auftreten von Beijing in der Region, welches die eingangs erwähnten Bedenken gegenüber dem ständig weiter ausgreifenden asiatischen Drachen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kurz vor der asiatischen Gipfelwoche hat Präsident Xi Jinping Zentralasien besucht, um dort die Grundlagen für eine ‘Neue Seidenstrasse’ zu legen, über welche allerdings nicht primär feines Tuch sondern Energie ostwärts und chinesische Kosumgüter westwärts fliessen sollen, und dies unter Umgehung von Russland und Beiseitelassen von Südostasien.
China versus Japan
Während der asiatischen Gipfelwoche hat Xi zudem Indonesien und Malaysia bilaterale Besuche abgestattet, um für den bereits erwähnten neuen Freundschafts- und Kooperatonsvertrag zu werben. In der ASEAN fragt man sich nun, ob dies ein Einlenken Beijings zu multilateralen Verhandlungen über die Grenzstreitigkeiten im Südchinesischen Meer bedeutet oder doch eher ein Ablenken von einem multilateralen Verhaltenskodex über diese Inseldispute, den die ASEAN einfordert zur Vermeidung bilateraler Schwäche in Einzelverhandlungen mit dem Gigant China.
Keineswegs kooperativ gegenüber einem wichtigen Nachbar im AP bleibt das Verhalten Chinas gegenüber Japan. Dem Vernehmen nach hat Beijing informelle Avancen Tokios im Umfeld der zwei Gipfel zur Verbesserung der bilateralen Atmosphäre barsch zurückgewiesen. Sei es die belastete japanisch-chinesische Geschichte oder die chinesische Perzeption einer ohnehin vorgegebenen Nähe der Regierung von Premierminister Shinzo Abe zu den USA, oder beides zusammen. Eine nachhaltige Verbesserung in den Beziehungen zwischen der zweiten und der dritten Wirtschaftsnation der Welt scheint nicht bevorzustehen.
“Grosse Macht, grosse Verantwortung”
Relativ wenig beachtet - weil durch Kerry und nicht Obama unterzeichnet - wurde schliesslich ein bemerkenswerter Vertrag zwischen den USA und Vietnam am Rande des EAS: das sogenannten "123 Agreement on peaceful nuclear cooperation". Die vietnamesische Wirtschaft stottert und das gut 100 Millionen Einwohner zählende Land droht dadurch in noch grössere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit gegenüber dem übermächtigen Nachbar mit zehn Mal grösserer Bevölkerung und Wirtschaftskraft zu geraten. Vor weniger als 50 Jahren noch in einen mörderischen Kampf miteinenader verwickelt, werden die amerikanisch-vietnamesischen Beziehungen immer enger, sogar im ABC-Bereich, wo sie historisch speziell belastet sind (amerikanischer Einsatz von Agent Orange, wo noch heute Spätfolgen bestehen).
Wer nun ob so verschiedenen Realitäten, und den zahlreichen Abkürzungen, im AP den Überblick aus den Augen verliert, ist keineswegs allein. Indes, wie auf der Theaterbühne des Wayang, lässt sich auch auf der Politbühne ein Grundmotiv verfolgen: Das Hin und Her zwischen den zwei Hauptprotagonisten, welches seinerseits durch kleinere und kleine Kulitfiguren (Kulit = malayisch für Kupfer) beeinflusst wird. Der Altmeister schweizerischer Strategiekommentatoren Kurt Spillmann hat lakonisch dazu “den beiden grössten Mächten dieser Erde (..) Glück und Erfolg” gewünscht. Etwas spezifischer wird ein Experte aus dem reputierten Singapurischen Think Tank RSIS zitiert. Er zitiert Voltaire, der sagt, dass mit grosser Macht auch grössere Verantwortung einhergeht.
Mit gutem politischen Beispiel vorangehen
In grosse Verantworung genommen wird auch unser Kontinent. Wie verschiedene Kommentatoren letzte Woche hervorgehoben haben, muss erstens das europäische Wirtschaftshaus in Ordnung gebracht werden, auf dass die EU mit der global grössten Wirtschaftskonzentration wieder Zugkraft und nicht das Gegenteil für die Weltwirtschaft entwickelt. Zweitens wird Europa immer mehr auch politische - eingeschlossen sicherheitspolitische - Verantwortung für Krisenbewältigung in seiner weiteren Nachbarschaft wahrnehmen müssen, in dem Masse wie dies die USA weniger wollen und können. In Libyen und Mali ist dies erfolgt, in Ägypten und Syrien kaum.
Die stark auslandorientierte Schweiz ist Teil dieses Europas, dem viel an einem geordneten Weltgeschehen gelegen sein muss - und wie! Beim ersten und wirtschaftlichen Kriterium schneiden wir gut ab, beim zweiten und politischen Bereich sind wir praktisch inexistent. Besser als sich selbst auf die Schultern zu klopfen wegen unseres Beitrags an die OPCW, die eben nobelpreisgekrönte Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, wäre eine muskulöse schweizerische Vertretung auch bei deren aktuellem, schwierigen und gefährlichen Einsatz in Syrien; so wie schweizerische Experten halfen, Saddam Hussein im Irak zu entwaffnen.
Aber wer weiss, vielleicht ist dies ja in Vorbereitung; gerne liesse man sich für einmal von unserem Verteidigungsminister und Bundespräsidenten positiv überraschen. Anstatt zu klagen, können ja ‘Kleine’ auch mit gutem politischen Beispiel vorangehen. So wie das vergleichbare andere Länder in Europa regelmässig tun.